Die AfD muss künftig mit empfindlichen Stimmverlusten an das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) rechnen. Trotz inhaltlicher Überschneidungen scheint eine Zusammenarbeit beider populistischer Parteien eher unwahrscheinlich. Parteienforscher Benjamin Höhne ordnet die Auswirkungen der BSW-Gründung auf die AfD ein.

Eine Analyse
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In der AfD dürften vielen mit Sorge auf diese Zahlen geblickt haben: Laut dem Meinungsforschungsinstitut Insa käme das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aus dem Stand bundesweit auf 14 Prozent, wie die "Bild-Zeitung berichtet. Am meisten verlöre dagegen die Alternative für Deutschland. Dort hält man sich derzeit aber mit Kommentaren zu einer möglichen Wagenknecht-Partei zurück. Offenbar suchen die Rechtspopulisten noch nach der richtigen Antwort auf den neuen Akteur in der politischen Landschaft.

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"Die AfD verhält sich nach außen ruhig", sagt Parteienforscher Benjamin Höhne unserer Redaktion. "Intern dürften deren Strategen aber sehr genau beobachten, was um Sahra Wagenknecht herum geschieht." Der Politikwissenschaftler der Universität Magdeburg spricht dem BSW das Potenzial zu, "der AfD Stimmen abzujagen". Es sei bisher aber "völlig offen", ob dafür auch "die parteiorganisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden können". Noch gibt es die neue Partei offiziell nicht: Sie soll erst im Januar 2024 den bisherigen Verein BSW ablösen.

AfD-Chefin Weidel fürchtet "Spaltung des regierungskritischen Lagers"

Welche Gefahr die AfD in einer Wagenknecht-Partei sieht, ließ Alice Weidel bereits Anfang September durchblicken. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich die Neugründung schon deutlich ab. Die AfD-Bundessprecherin sagte im ARD-Interview, "dass jede Spaltung des regierungskritischen Lagers die AfD von der Regierungsbeteiligung abhalten soll". Mit ihren Plänen sei Wagenknecht eine "willige Erfüllungsgehilfin für die Ampel als auch für die CDU". Gilt das noch immer? Eine Nachfrage unserer Redaktion ließen Weidel und ihr Co-Sprecher Tino Chrupalla bisher unbeantwortet.

Im September zeigte sich die AfD-Chefin noch betont entspannt. Wagenknecht werde bald merken, dass es für eine Partei "nicht nur Häuptlinge braucht, sondern auch Indianer". Eine Neugründung sei "in erster Linie für die Linke eine Gefahr". Gleichzeitig fand Weidel für die lange als "rote Sahra" bekannte Politikerin lobende Worte. Sie schätze Wagenknecht "persönlich" und begrüße ihre "Positionierung in der Coronamaßnahmen-Politik und auch im Ukrainekrieg", sagte die AfD-Chefin.

Darin drückt sich die Ambivalenz in der AfD-Sicht auf Sahra Wagenknecht aus: Einerseits erkennt man zahlreiche politische Überschneidungen mit der Ex-Linkspolitikerin und bewundert sie womöglich für ihre große Popularität. Genau diese Beliebtheit fürchtet man aber andererseits auch. Denn am Ende konkurriert man um eine ähnliche Wählerklientel.

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Björn Höcke lud Wagenknecht im Februar in die AfD ein

Nicht wenige AfDler hätten Wagenknecht daher wohl lieber in den eigenen Reihen gesehen. Zu ihnen zählt auch Björn Höcke, der Fraktionsvorsitzende der AfD Thüringen. Auf einer Kundgebung im Februar hatte der rechtsextreme Politiker Wagenknecht dazu aufgefordert, der AfD beizutreten. Im Fernsehsender Phoenix erläuterte Höcke kurz darauf seine Einladung: "Ich sehe durchaus Schnittmengen, gerade in der Außenpolitik mit der AfD und einer alternativen Linken."

Sowohl die AfD als auch Wagenknecht stehen für eine russlandfreundliche Politik und eine skeptische Haltung gegenüber den USA und der Nato. Anknüpfungspunkte gäbe es auch in der Klima- und Energiepolitik sowie in den Bereichen Migration und Asyl, in denen Wagenknecht stets deutlich rechts ihrer alten Partei "Die Linke" stand.

Jetzt, wo die Gründung der Wagenknecht-Partei beschlossene Sache ist, schlägt Höcke jedoch weniger versöhnliche Töne an. Im sozialen Medium X, ehemals Twitter, macht er sich über den Namen des Bündnis Sahra Wagenknecht lustig. "Drückt er Selbstbewußtsein [sic] aus, oder entlädt sich hier eine narzisstische Störung?", fragt Höcke in einem Beitrag und zieht in Zweifel, dass "eine echte alternative Linke ihren Ausgang in der Inszenierung einer Person" haben könne.

Höcke nennt Start der Wagenknecht-Partei "mutlos"

Auch in seiner Antwort auf die Anfrage unserer Redaktion lässt der Thüringer Rechtsaußen kaum ein gutes Haar an der neuen Partei. "Der Start wirkt mutlos", kommentiert er die Pressekonferenz von Mitte Oktober, auf der Wagenknecht und vier ihrer Getreuen das BSW vorstellten. Ihr bisheriges politisches Programm wirke zudem "wenig alternativ" und stelle keine Ablösung von der "Regenbogenlinken" dar. Nur die AfD, ist sich Höcke sicher, habe "wirklich alternative Inhalte" und sei "das Original für alle die Bürger, die einen echten Politikwechsel wünschen".

Eine mögliche Zusammenarbeit der AfD mit dem BSW in Thüringen könne sich Höcke nur unter der Bedingung vorstellen, dass sich das Wagenknecht-Bündnis als echte Opposition zu den etablierten Parteien erweist. "Dafür gibt es aber keine begründete Hoffnung", konstatiert Höcke.

Spricht aus diesen Worten auch die Kränkung eines Geschmähten? Schließlich ist Wagenknecht nie auf seine Einladung zum AfD-Beitritt eingegangen. Im Interview mit unserer Redaktion sagte sie im September: "Die AfD ist eine Partei mit einem rechtsextremen Flügel, und Rechtsextremismus ist brandgefährlich." Gemeint war damit insbesondere auch Björn Höcke, einst wichtigster Vertreter des mittlerweile aufgelösten rechtsextremen "Flügel" innerhalb der AfD.

Wagenknecht will "keine gemeinsame Sache mit der AfD" machen

Bei der Vorstellung des BSW hatte Wagenknecht die Absicht bekundet, mit der neuen Partei möglichst an allen der drei Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg teilzunehmen, die im September 2024 anstehen. Dabei wolle man "selbstverständlich keine gemeinsame Sache mit der AfD" machen, sagte Wagenknecht. Stattdessen soll das BSW als seriöse Alternative für diejenigen Wählerinnen und Wähler dienen, die bisher aus Frust über die herrschende Politik der AfD ihre Stimme gaben. Gegenüber der "Zeit" erwog Wagenknecht sogar, in den ostdeutschen Bundesländern eine Koalition mit der CDU, um eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern.

Trotz einiger inhaltlicher Überschneidungen und früheren AfD-Avancen Richtung Wagenknecht: Es sieht nicht danach aus, dass sich die beiden Parteien in den anstehenden Wahlen viel schenken werden. Zwischen BSW und AfD ist ein harter Konkurrenzkampf um die Wählerinnen und Wähler zu erwarten, die derzeit noch Sympathien für beide populistische Kräfte haben – die eine mit klar rechtem, die andere mit eher links-konservativem Profil.

Die größte Verliererin dieser Entwicklung könnte die Demokratie werden, fürchtet Parteienforscher Höhne. "Das Schmieden von Koalitionen ist schon jetzt alles andere als einfach, insbesondere in Ostdeutschland", sagt der Experte. "Mit einer weiteren Partei, mit der die etablierten Parteien nichts zu tun haben wollen, verstärkt sich dieser Trend weiter." Statt dem politischen System in Deutschland neuen Schwung zu geben, könnte das Wagenknecht-Bündnis dieses also weiter lähmen. Das wiederum wäre möglicherweise durchaus im Interesse der AfD.

Über unseren Experten:

  • Benjamin Höhne ist promovierter Politikwissenschaftler und forscht zu Parteien und dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland. Einer seiner Schwerpunkte liegt dabei auf Ostdeutschland. Im Sommersemester 2023 war Höhne Vertretungsprofessor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Münster. Aktuell ist Höhne Lehrbeauftragter an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Sprecher des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.

Verwendete Quellen:

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