Tröglitz und Freital sind in diesem Jahr zu Synonymen für Fremdenfeindlichkeit geworden. Doch auch an anderen Orten gibt es Demonstrationen - vor allem gegen Flüchtlinge. Dabei kommt es auch immer wieder zu Gewaltexzessen. Offenbar ist rechtes Gedankengut weit verbreitet. Das Alarmierende daran: Ausländerfeindlichkeit gibt es in allen Schichten.

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Die Stimmung gegen Asylbewerber hat mittlerweile eine gefährliche Dimension erreicht. Flüchtlingsunterkünfte sind immer häufiger rechtsextremistischen Straftaten ausgesetzt. Dass Menschen dabei zu Schaden kommen, wird "billigend in Kauf genommen", schreibt der Verfassungsschutz in seinem Bericht für 2014. Insgesamt kam es im vergangenen Jahr zu 512 fremdenfeindlichen Gewalttaten, es ist der Höchststand seit Beginn der Erfassung 2001.

"Wenn ich Angst habe, werfe ich keine Molotow-Cocktails"

Zu den Asylgegnern gehören keineswegs nur Neonazis. Auf den Demonstrationen gegen Flüchtlingsheime mischen sich Rechtsextremisten mit angeblich "besorgten Bürgern". Die "Sorge" glaubt ihnen Beate Küpper, Expertin für Rechtsextremismus, nicht. "Wenn ich Angst habe, werfe ich keine Molotow-Cocktails", betont sie.

"Asylbewerber sind dankbare Sündenböcke: Sie kennen sich nicht aus, beherrschen die Sprache nicht und können sich kaum wehren", sagt die Professorin von der Hochschule Niederrhein. "Damit werden die Flüchtlinge zur Zielscheibe für all diejenigen, die sowieso schon unzufrieden sind."

Die schrecklichen Bilder aus dem Krieg in Syrien sind schnell vergessen, wenn die Opfer des Krieges in Deutschland Hilfe suchen und womöglich in der Nachbarschaft unterkommen sollen. Doch weshalb richtet sich der Hass ausgerechnet gegen eine so besonders schutzbedürftige Gruppe wie Flüchtlinge?

"Da geht es eigentlich um das Verteidigen von Privilegien", erläutert Küpper. "Viele, die dagegen demonstrieren, haben das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Und jetzt glauben sie, dass jemand ihnen etwas wegnehmen will."

Ausländerfeindlichkeit ist in Deutschland weit verbreitet

Rund 75 Prozent der Deutschen lehnen es ab, dass der Staat bei Asylanträgen großzügig sein sollte, ermittelten jüngst Forscher der Universität Leipzig. Vor vier Jahren waren es nur knapp 26 Prozent. Jeder Zweite bezweifelt, dass Flüchtlinge in ihrer Heimat wirklich verfolgt werden.

Die Mitte-Studie der Universität Leipzig untersucht seit 2002 anhand von Merkmalen wie Ausländerfeindlichkeit oder Antisemitismus rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Die aktuelle Erhebung für 2014 zeigt, dass Ausländerfeindlichkeit nach wie vor weit verbreitet ist, in Ostdeutschland etwas stärker als im Westen.

So stimmte jeder vierte Befragte im Westen der These zu, dass "Ausländer nur hierher kommen, um unseren Sozialstaat auszunutzen". Im Osten war es sogar jeder Dritte. Dabei leben in den ostdeutschen Bundesländern vergleichsweise wenige Menschen mit ausländischen Wurzeln. "Tatsächlich sind Menschen mit Kontakt zu Migranten seltener fremdenfeindlich", sagt Johannes Kiess, Co-Autor der Mitte-Studie.

Fischen am rechten Wählerrand ist "ein riesengroßer Fehler"

Scharfe Kritik übt der Soziologe an der Politik. Gegen Asylbewerber gerichtete Parolen aus den Reihen einiger demokratischer Parteien würden die "pogromartige Stimmung" mancherorts noch weiter anheizen. Das Buhlen um die Gunst von rechten Wählern ist jedoch trügerisch. "Die Politiker bestätigen damit nur die Behauptungen der Rechtspopulisten", warnt Kiess. "Die Bürger wählen dann aber lieber das Original." Um die Rechten zu schwächen, müsse man sie komplett ausgrenzen. Sigmar Gabriels Annäherung an Pegida sei daher ein "riesengroßer Fehler" gewesen.

Der anfängliche Erfolg von Pegida und der AfD war für die Leipziger Forscher "nicht überraschend". Rechtsextreme Parteien haben laut Kiess ein Wählerpotenzial von zehn Prozent, in abgeschwächter Form teilen zwischen 30 bis 40 Prozent der Deutschen deren Überzeugungen.

In vielen anderen europäischen Staaten wie Frankreich oder Österreich feiern rechtspopulistische Parteien große Erfolge. Die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland verhinderte bisher eine ähnliche Entwicklung. Zudem sind rechte Parteien hier aufgrund der deutschen Geschichte stärker stigmatisiert.

So verlor die AfD nach ihrem Rechtsruck in Umfragen deutlich an Zustimmung. Vielleicht kehrt sich dies aber wieder um. Der neuen AfD-Chefin Frauke Petry bescheinigt Wissenschaftler Kiess jedenfalls genug Charisma und Cleverness: "Sie weiß ganz genau, wie weit sie gehen kann."

Pegida – von Facebook in die Parlamente?

Auch Pegida ist immer noch aktiv. Die islamfeindliche Bewegung brachte im vergangenen Winter mehrere zehntausend Menschen auf die Straße. Politisch erfolgreich war sie vor allem in Dresden. Dort nahm Pegida im Juni an den Oberbürgermeisterwahlen teil und erreichte zehn Prozent der Stimmen. Initiator Lutz Bachmann kündigte an, auch an Landtagswahlen teilnehmen zu wollen.

Das Phänomen Pegida entstand zunächst auf Facebook. Soziale Netzwerke seien das "Propaganda-Medium Nummer eins", meint Simone Rafael, Sprecherin der Amadeu Antonio Stiftung. "In der Anonymität des Internets fallen gesellschaftliche Tabus."

Die rechtsextreme Szene weiß um diese Macht und ködert im Netz neue Mitglieder, berichtet Rafael. Erst kürzlich brachte die rechtsextreme Gruppierung "Der III. Weg" eine Karte auf Google Maps in Umlauf, in der die Asylbewerberheime in Deutschland eingetragen waren.

Fremdenfeindliche Gerüchte werden von Tausenden auf Facebook geteilt

Auch mit Mythen aus dem Internet machen die Rechten Stimmung. Seit Jahren geistert beispielsweise das Gerücht durch Facebook, dass Muslime die Begrüßung "Grüß Gott" an Stuttgarter Schulen verbieten wollen. Die gleiche Geschichte gibt es auch für österreichische Schulen. Sie ist frei erfunden. "Ein emotionaler Ton und das Gefühl von Authentizität erwecken den Anschein, dass es wirklich so passiert ist", sagt Rafael. "Dagegen hilft nur aufklären, aufklären, aufklären."

Deutschland braucht Zuwanderer, betonen viele Wirtschaftsverbände und Arbeitgeber und machen sich wegen des Fachkräftemangels für Migration stark. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: "Alle, die nicht nützlich sind, werden abgewertet", gibt Rechtsextremismus-Expertin Küpper zu bedenken. Solange beispielsweise Nationalspieler mit Migrationshintergrund Tore schießen und für Deutschland den WM-Pokal holen, werden sie bejubelt. "Wenn Mesut Özil in der fünften Liga spielen würde, sähe das ganz anders aus", erklärt Küpper.

Ihr Wissenschaftskollege Johannes Kiess beobachtet mit Sorge einen "selbstgefälligen Nationalismus", der sich derzeit in Deutschland wieder ausbreite. Die gute Konjunktur sorgt auch für Überheblichkeit.

Mehr Engagement für Asylbewerber

Doch es gibt auch positive Signale: Im Vergleich zu den 1990er-Jahren gibt es heute weit mehr Menschen, die sich für Asylbewerber einsetzen. Auch wächst die Sensibilität beim Thema Rassismus und das Verständnis, dass zu Integration zwei Seiten gehören.

Eine wichtige Rolle spielen dabei positive Vorbilder, hebt Forscherin Küpper hervor. Das können Politiker wie Bundespräsident Joachim Gauck sein, aber auch Sänger Farin Urlaub oder NDR-Moderatorin Anja Reschke, die mit ihrem Kommentar gegen die Flüchtlings-Hetze in den Tagesthemen offenbar vielen aus der Seele sprach.

Professorin Beate Küpper und Johannes Kiess gehören zu den führenden Experten für Rechtsextremismus in Deutschland. Küpper lehrt und forscht an der Fakultät für Sozialwesen der Hochschule Niederrhein. Kiess promoviert an der Universität Leipzig und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Siegen. Simone Rafael ist Sprecherin der Amadeu Antonio Stiftung. Die Organisation ist nach einem der ersten von 184 Todesopfern rechter Gewalt in Deutschland seit der Wende benannt und kämpft gegen Rechtsextremismus und für Zivilcourage.
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