Der Bundestag hat am Freitag ein Gesetz mit härteren Regeln für Abschiebungen beschlossen. Grüne, Linke und Nichtregierungsorganisationen laufen gegen die von Horst Seehofers Innenministerium initiierte Neuregelung Sturm. Pro Asyl spricht vom "Hau-ab-Gesetz". Zusätzliche Kritik muss Seehofer einstecken, weil er ganz unumwunden erklärt hat, wie er versucht, umstrittene Vorhaben stillschweigend durchzudrücken.

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Man kann Horst Seehofers Ehrlichkeit erfrischend finden - oder sich über sein Demokratieverständnis wundern: Vor laufender Kamera hat der Bundesinnenminister (CSU) erklärt, dass er Gesetze gerne absichtlich kompliziert hält, weil Komplexität eine öffentliche Diskussion unwahrscheinlicher mache.

Seehofer: "Man muss Gesetze kompliziert machen"

In einem Video-Ausschnitt, den die ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" auf Twitter verbreitet hat, spricht Seehofer vom sogenannten Datenaustauschgesetz. Wörtlich sagt er, man habe das Gesetz "ganz stillschweigend eingebracht. Wahrscheinlich deshalb stillschweigend, weil es kompliziert ist, das erregt nicht so. Ich hab' jetzt die Erfahrung gemacht in den letzten 15 Monaten: Man muss Gesetze kompliziert machen. Dann fällt das nicht so auf." Und weiter: "Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges. Aber auch Notwendiges wird ja oft unzulässig infrage gestellt."

Die Kernpunkte des "Geordnete-Rückführung-Gesetzes"

Das Datenaustauschgesetz ist Teil eines Gesetzespakets zu Asyl und Migration, über das der Bundestag am Freitag abstimmt hat. Vor allem eine Neuregelung ist - auch nach der Billigung - höchst umstritten.

Horst Seehofer, dessen Innenministerium die Vorlage ausgearbeitet hat, nennt es das "Geordnete-Rückführung-Gesetz". Pro Asyl spricht hingegen vom "Hau-ab-Gesetz". Im Kern geht es um folgende Punkte:

  • Abschiebungen: Das Gesetz soll erreichen, dass abgelehnte Asylbewerber tatsächlich das Land verlassen. Wem die "fehlende Durchsetzung seiner Ausreisepflicht zuzurechnen ist", soll "stärker sanktioniert werden". Befürworter halten es für zumutbar, dass die Betroffenen zur Klärung ihrer Identität beitragen und "zumutbare Handlungen zur Beschaffung eines Passes" auf sich nehmen. Kritiker wenden ein, dass die Betroffenen häufig an der Bürokratie scheitern und befürchten, dass gleich in Haft genommen wird, wer mal einen Termin bei der Ausländerbehörde verpasst.
  • Abschiebehaft: Abgelehnte Asylbewerber können künftig in Haftanstalten untergebracht werden, in denen auch Strafgefangene einsitzen. Nach geltendem EU-Recht ist die Unterbringung von Asylbewerbern in regulären Gefängnissen statt in gesonderten Einrichtungen nur in "Notlagen" erlaubt. Die Befürworter sehen diese Notlage, die Kritiker nicht.
  • Duldung: Das Gesetz sieht einen neuen Duldungsstatus für "Personen mit ungeklärter Identität'" vor. Ihn soll bekommen, wer "Abschiebungshindernisse selbst herbeiführt", etwa, indem er falsche Angaben zu seiner Staatsangehörigkeit macht. Menschen mit diesem Status können ohne Ankündigung abgeschoben werden. Bislang musste die Abschiebung bei Menschen, die länger als ein Jahr geduldet sind, mindestens einen Monat vorher angekündigt werden.
  • Sozialleistungen: Wer bereits von einem anderen EU-Staat Schutz gewährt bekommt, aber dennoch nach Deutschland weitergewandert ist, hat nach zwei Wochen keinen Anspruch auf Sozialleistungen mehr.
  • Unterbringung: Die Bundesländer können künftig alle Asylbewerber verpflichten, bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen. Pro Asyl kritisiert, die Menschen würden so von ehrenamtlichen Unterstützern ferngehalten. Unicef will nicht hinnehmen, dass davon auch Kinder nicht ausgenommen sind, weil Kinder in mehreren Bundesländern erst nach der Entlassung aus der Erstaufnahme zur Schule gehen können.

Kipping: "Schäbiger Höhepunkt"

Für den Entwurf der Regierung stimmten 372 Abgeordnete, dagegen 159. Es gab 111 Enthaltungen. Stimmen dazu:

Innenminister Horst Seehofer hat die Regelungen bei den abschließenden Beratungen verteidigt. Die Menschenrechte würden keinesfalls "mit Füßen getreten", sagte er. Er bezeichnete das Gesetzespaket als "Zäsur in unserer Migrationspolitik", mit dem Deutschland das modernste Integrationsgesetz bekomme.

Linken-Chefin Katja Kipping nannte das Gesetz einen "neuen, schäbigen Höhepunkt" der Asylpolitik von Union und SPD. Sie sprach von einer "Totalsanktionierung von Menschen", die "durch Aushungern" aus dem Land vertrieben werden sollten.

Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt erklärte: "Das Hau-ab-Gesetz öffnet den Weg für schrankenlose Inhaftierungen und Abschiebungen nach vorheriger Entrechtung durch die Isolation in den Ankerzentren". Zudem warnte er unter anderem vor einer Zunahme von Abschiebungen nach Afghanistan, wie sie die Koalition beabsichtige. Er verwies dabei auf die "katastrophale Sicherheitslage" in dem Land.

Die Grünen warfen der SPD vor, sie habe sich aus Machtkalkül und gegen die eigene Überzeugung für diesen Gesetzesentwurf entschieden. Die Abgeordnete Filiz Polat sprach von einem "schwarzen Tag für die Demokratie".

Der SPD-Innenpolitiker Helge Lindh wies das zurück. Er verwies auf die Abschiebungen aus Bundesländern, in denen die Grünen mitregieren. Lindh erntete Applaus, als er sagte: "Manchmal gibt es einen ganz schmalen Grat zwischen Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit." Das Gleiche gelte für den Grat "zwischen Heiligkeit und Scheinheiligkeit".

Verwendete Quellen:

  • dpa
  • afp
  • Twitter
  • Stellungnahme von "Pro Asyl"
  • Stellungnahme von "Unicef"
  • "Zeit online" vom 17. April: "Wie Horst Seehofer schneller abschieben will"
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