Der Vorhang hat sich erneut geöffnet. Aufgeführt wird auf der politischen Bühne Europas: der Brexit. Die beiden Hauptdarsteller, die Europäische Union und Großbritannien, haben für einen Abgang mit Applaus nicht mehr viel Zeit, aber vier große Probleme zu lösen.

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2016 beschlossen die Briten per Referendum, die Europäische Union, der sie seit 1973 angehörten, zu verlassen. Dieser sogenannte Brexit wurde Ende Januar 2020 vollzogen. Bis zum Jahresende 2020 aber gehört Großbritannien dem kontinentalen Verbund noch an. Wie das politische und vor allem wirtschaftliche Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich danach aussehen wird, ist Gegenstand erneuter Verhandlungen. Diese drohen ähnlich schwierig zu werden wie jene, die Anfang des Jahres zum Brexit-Abkommen führten.

Die Rückkehr der "Seifenoper" Brexit

Zur Ausgangslage schrieb die spanische Zeitung "Público": "Die Seifenoper des Brexits ist zurück. Die (britische) Regierung von Boris Johnson bereitet ein Gesetz vor, um die Verpflichtungen zu beseitigen, die sie im Rahmen des Austrittsabkommens gegenüber der Europäischen Union eingegangen ist."

"Alles in allem", fasste ein Kommentator in der italienischen Zeitung "La Repubblica" zusammen, "scheint es auf ein Déjà-vu zuzulaufen: Ein Oktober der dramatischen Verhandlungen über die letzten Möglichkeiten."

Die strittigsten Punkte nannte Anfang Juli im Interview mit unserer Redaktion David McAllister. Der frühere Ministerpräsident von Niedersachsen ist der aktuelle Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments.

"Spätestens Ende Oktober muss ein fertiger, unterschriftsreifer Text ausverhandelt vorliegen", kündigte McAllister bereits im Hochsommer an. Damals blieben beiden Seiten für eine Einigung noch vier Monate Zeit. Jetzt sind es nur noch zwei, um einen harten wirtschaftlichen Bruch mit Zöllen und Handelshemmnissen zu verhindern.

Die vier strittigsten Verhandlungspunkte sind:

  • die Forderung der Europäischen Union nach gleichen Wettbewerbsbedingungen, das sogenannte "Level-Playing-Field",
  • ein "ausgewogenes" Fischereiabkommen,
  • die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit in Strafsachen,
  • Governance-Fragen, also die administrative Ausgestaltung der künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien.

Wie ist der Stand der Verhandlungen?

Der britische Premierminister Boris Johnson schockte alle Europapolitiker mit einer Art Ultimatum: Entweder man einige sich bis zum 15. Oktober oder beide Seiten sollten ihrer Wege gehen, erklärte der Regierungschef. Er verband dies mit der fast euphorischen Einschätzung, dass auch künftige Beziehungen ohne Vertrag "ein gutes Ergebnis für das Vereinigte Königreich" wären.

Zum zweiten ließ die Regierung über die "Financial Times" Pläne für ein Binnenmarktgesetz in die Öffentlichkeit sickern, die das bereits besiegelte und gültige Austrittsabkommen zum Teil aushebeln würden.

CSU-Europapolitiker Manfred Weber konterte sogleich, Europa werde sich "nicht erpressen lassen". Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, setzte entschlossen nach: "Wenn die britische Regierung einen No-Deal will, dann wird sie einen solchen bekommen."

Johnsons Erpressungsversuch hinsichtlich der Ausgestaltung der künftigen Beziehungen zur EU stößt auch im eigenen Land auf Unverständnis. "Zweifellos ist jedwede Andeutung der Regierung, sie könne das EU-Austrittsabkommen brechen, zutiefst beunruhigend", schreibt die "Times". "Großbritannien ist ein Land, das die Rechtsstaatlichkeit respektiert und seine internationalen Verpflichtungen erfüllt. Einen internationalen Vertrag ein Jahr nach der Unterzeichnung zu brechen, würde das Ansehen Großbritanniens in der Welt schwer beschädigen und seine moralische Autorität untergraben."

Brexit: Angebote und Ablehnungen

Die EU bietet ein Handelsabkommen, mit dem Großbritannien seine Waren ohne Zölle und Mengenbegrenzung in den Binnenmarkt exportieren könnte. Dafür verlangt Brüssel gleich hohe Umwelt- und Sozialstandards sowie einheitliche Regeln zur Wirtschaftsförderung, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Das Stichwort dazu heißt "Level Playing Field". Großbritannien lehnt die Forderungen der EU hierzu ab.

Beim Thema Fischerei will Großbritannien künftig die Fangquoten in seinen Gewässern von Jahr zu Jahr neu festlegen, damit die heimische Flotte besser zum Zuge kommt. Fischer aus EU-Ländern, die auf die besonders reichen britischen Gewässer angewiesen sind, sollen zurückstecken. Brüssel will hingegen, dass alles beim Alten bleibt.

Auch für den Handel wird der Austritt der Briten aus Binnenmarkt und Zollunion in keinem Fall folgenlos bleiben. Die Regierung in London geht davon aus, dass auf britische Unternehmen durch den erhöhten Verwaltungsaufwand beim Warenverkehr jedes Jahr Kosten in Milliardenhöhe zukommen werden. Beispielsweise, weil künftig ein Herkunftsnachweis für Güter erbracht werden muss, die in die EU exportiert werden.

McAllister betont das Entgegenkommen der EU

"Wie keinem anderen Drittstaat hat die Europäische Union dem Vereinigten Königreich ein Angebot gemacht: zollfreier Zugang ohne Einfuhrquoten für Waren zum weltweit größten Binnenmarkt, aber zu fairen Wettbewerbsbedingungen, eben dem 'Level-Playing Field'", ergänzte McAllister im Juli im Rahmen des Interviews mit unserer Redaktion.

Dazu kommentierte die "Neue Zürcher Zeitung": "Auch Brüssel ist stur, sitzt aber wohl am längeren Hebel. Denn die Stärke in Handelsgesprächen wird letztlich von der Stärke der Wirtschaftskraft bestimmt." (dpa/hau)

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