Relativierende Äußerungen über den russischen Aggressor, das Friedensmanifest mit Alice Schwarzer und Sahra Wagenknechts Pläne, eine neue Partei zu gründen, sorgen in der Linken für Turbulenzen. Am Zustand der Partei sei aber nicht die umstrittene Politikerin Schuld, meint die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Gesine Lötzsch, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Frau Lötzsch, zerstört sich die Linke gerade selbst?
Gesine Lötzsch: Das muss auf jeden Fall verhindert werden. Ich setzte mich dafür ein, dass unsere Partei zusammenbleibt und wir uns weiterhin für unsere Ziele gemeinsam einsetzen. Mit der Kommunistischen Partei Österreichs haben wir doch in Salzburg ein linkes Vorbild: Durch eine gute Arbeit vor Ort ist die Partei nach 74 Jahren wieder in den Landtag eingezogen.
In Deutschland läuft es für die Linke Partei dagegen alles andere als gut. Laut der Sonntagsfrage Bundestagswahl von infratest dimap liegt Ihre Partei bei vier Prozent. Dazu kommen die internen Streitigkeiten mit Sahra Wagenknecht, die eine eigene Partei gründen möchte. Deswegen haben Sie und andere Linken-Spitzen den Aufruf "Es reicht!" unterzeichnet. Wie soll die "existenzielle Krise mit selbstzerstörerischen Elementen" gelöst werden? Doch nicht nur mit Selbstbeherrschung und Disziplin, wie es der Appell fordert.
Ohne Disziplin funktioniert keine Großorganisation wie eine Partei. Wir müssen uns wieder auf unsere Ziele konzentrieren: für soziale Gerechtigkeit, Frieden und der Einsatz für Ostdeutschland. Dazu gehört auch, dass man nicht alles, was man bei Twitter oder in anderen Sozialen Medien liest, sofort kommentiert. Besser ist die gute alte Tugend, zum Telefon zu greifen und Sachen persönlich zu klären.
Zurzeit wird im Zusammenhang mit der Linken nur über die Querulanten und chaotischen Zustände berichtet. Wie sehr schadet das der Partei insgesamt und was macht das mit Ihnen persönlich?
Ich versuche immer wieder über positive Dinge zu sprechen. Am 1. Mai waren Mitglieder der Linken an ganz vielen Orten auf der Straße. In meinem Wahlkreis im Bezirk Lichtenberg haben wir wieder traditionell Tomatenpflanzen mit dem schönen Namen "Harzfeuer" verteilt. Das haben wir uns bei der Einführung von Hartz-IV ausgedacht und soll direkte Hilfe anbieten.
Natürlich bin ich mit der negativen Berichterstattung unzufrieden. Konflikte in der eigenen Familie gehen einem mehr unter die Haut als beim Nachbarn. Aber schaut man etwa auf die Wahl im Berliner Abgeordnetenhaus, mit den drei Anläufen des neuen Regierenden Bürgermeisters
Der Linke Bezirksbürgermeister Michael Grunst wurde in Ihrem Wahlkreis durch die Wiederholungswahl in Berlin von einem CDUler abgelöst – damit regiert seit den 1990er Jahren kein Sozialist mehr den Ost-Bezirk. Nimmt man die desolaten Umfragewerte und den inneren Zwist dazu: Verschwindet die Linke in der Versenkung?
Wir haben in Lichtenberg noch immer die größte Linken-Fraktion in Berlin. Dazu kommen direkt gewählte Abgeordnete. Ich habe sechsmal mein Direktmandat gewonnen. Aber man darf natürlich nicht leichtfertig sein. Mit Petra Pau habe ich 2002 erlebt, wie es ist, nur zwei Direktmandate zu haben. Da mussten wir alleine im Bundestag die linke Fahne hochhalten – und haben uns zurückgekämpft.
Aktuell müssen wir uns wieder auf die praktische Arbeit konzentrieren und zurückschauen. Warum waren wir bei den Berliner Wahlen nicht erfolgreich? Alle haben unsere ehemaligen Senatoren gelobt – Klaus Lederer für die Kultur und Katja Kipping für die Sozialpolitik. Warum hat das aber nicht zu mehr Stimmen geführt?
Gesine Lötzsch: Können Linke-Projekte nicht durchsetzen
Was ist Ihr Verdacht?
Aus der Parteienforschung und aus persönlichen Gesprächen weiß ich, dass Wahlentscheidungen keine Lebensentscheidungen mehr sind. Bei der einen Wahl wird dies und bei der anderen das gewählt. Ein anderer Punkt ist die praktische Politik. In Berlin spaltet sich die Wählerschaft zwischen innerhalb des S-Bahnrings und außerhalb davon. In Lichtenberg konnten wir etwa nicht die Bebauung von Innenhöfen stoppen – obwohl wir dort regiert haben. Das ist den Wählerinnen und Wählern nur schwer zu vermitteln und kann zu Enttäuschung führen.
Ihre Parteigenossin
Für mich wäre das nichts. Ich bin seit 1990 für unsere Partei auf verschiedenen Ebenen Abgeordnete und stehe öffentlich dafür. Das alles habe ich der Partei Die Linke und den Vorgängerparteien zu verdanken. Außerdem würde eine Aufsplitterung oder eine weitere Aufteilung nicht für mehr Erfolg sorgen. Klar würde es erstmal viel Aufmerksamkeit erregen.
Laut Umfragen könnten sich 19 Prozent der Deutschen vorstellen, die neue Wagenknecht-Partei zu wählen.
Vorstellen kann man sich vieles. Ob man es dann wirklich tut, steht auf einem anderen Blatt. Ich bin dafür, dass wir wieder gemeinsam in der Linken arbeiten - für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Deshalb habe ich ja auch den Appell unterschrieben.
"Der Vorwurf einer fehlenden Abgrenzung zur AfD empfinde ich als absurd"
Hätte sich Sahra Wagenknecht bei Ihrer Friedens-Kundgebung Ende Februar nicht mehr von der AfD und Rechten abgrenzen müssen?
Der Vorwurf einer fehlenden Abgrenzung zur AfD empfinde ich als absurd. Schaut man sich an, wie im Bundestag Abstimmungen verlaufen, stimmen viele AfD-Positionen mit denen der Regierung oder der Union überein. Ein solcher Vorwurf ist haltlos. Auf der Kundgebung haben aktive Genossen den Chefideologen der Neuen Rechten, Jürgen Elsässer, abgedrängt. Und zur AfD: Keine Partei hat augenscheinlich ein Rezept dafür, dass die AfD nicht mehr gewählt wird. Das ist eine Denkaufgabe für uns alle.
Halten Sie einen Parteiausschluss von Wagenknecht für sinnvoll?
Nein. In der Wendezeit 1989/90 haben wir uns entschlossen, dass die Zeit der Parteiausschlüsse vorbei ist. Und eine Doppelmitgliedschaft ist in unserer Partei nicht möglich. Sollte Sahra Wagenknecht also eine neue Partei gründen, wäre sie nicht mehr Mitglied unserer Partei. Das halte ich für falsch. Man muss mit ihr gemeinsam für eine Verbesserung der Gesellschaft sorgen – statt sich ständig an ihr abzuarbeiten.
Haben Sie Kontakt zu ihr?
Natürlich. Wir sind Mitglieder einer Fraktion. Wichtig ist, dass sich alle Partei-Funktionäre zusammensetzen, sich verständigen und so ein Symbol senden: Wir stehen zusammen.
"Wir müssen eine Spaltung der Linken verhindern"
Hat Wagenknecht nicht einen Keil in die Partei getrieben?
Noch gibt es zum Glück keine Spaltung. Wir müssen das verhindern. Sie spielt seit über 20 Jahren eine besondere Rolle in der Partei. Entweder wurde sie verehrt oder heftig kritisiert. Etwas dazwischen gibt es nicht. Ganz im Gegensatz zu Gregor Gysi, den alle sympathisch finden. Es ist schade, dass wir es als Partei nicht schaffen, mit dem Phänomen Sahra Wagenknecht so umzugehen, dass es uns allen nützt.
Ist also die Parteiführung an der desolaten Lage, am Bild der zerstrittenen Partei, Schuld? Und nicht Wagenknecht, der viele vorwerfen, eine Querfront mit den Rechten zu bilden, die sich während des Ukraine-Kriegs immer wieder positiv über den russischen Aggressor äußerte und nun sogar eine Konkurrenz-Partei gründen will?
Schuldzuweisungen helfen uns nicht weiter. Sahra Wagenknecht hat den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteilt. Sie sagt, was sogar hohe US-Militärs sagen, dieser Krieg ist von keiner Seite zu gewinnen. Deshalb muss es sofort einen Waffenstillstand geben.
Was haben Sie für Reaktionen auf Ihren "Es reicht!"-Appell bekommen?
Unsere Mitglieder finden die Streitereien auch nicht toll und wollen, dass wir zusammenhalten und unsere Arbeit machen. Ein Genosse von der Sozialistischen Partei der Niederlande sagt immer: 80 Prozent der Aktivität einer Partei muss nach außen und 20 Prozent nach innen gehen. Bei uns ist es ja gerade eher umgekehrt. Das muss sich ändern.
"Die größte Umweltzerstörung ist der Krieg"
In Zeiten von Ukraine-Krieg und immer mehr militärischen Konflikten auf der Welt: Passt da noch das Motto der Linken "Frieden schaffen ohne Waffen"? Oder müssten man sich beispielsweise mehr ökologischen Themen widmen?
Was mich immer wundert, ist, dass der Zusammenhang zwischen Krieg und Umweltzerstörung nie gesehen wird. Selbst in meiner eigenen Partei. Ich sage seit Jahren, dass die größte Umweltzerstörung der Krieg ist. Allein die Rüstungsproduktion ist hoch energie- und materialintensiv. Vom Krieg ganz zu schweigen. Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist Friedenspolitik. Das passt sehr gut zusammen.
Sind Sie denn trotzdem komplett gegen die Lieferung von Waffen – auch, wenn ein Land, wie die Ukraine, angegriffen wird?
In Deutschland brauchen wir keine weitere Partei, die nach Waffen ruft. Vielmehr brauchen wir starke Versuche und Initiativen, um Frieden durch Verhandlungen zu schaffen. Es stirbt immer das Volk im Krieg. So werden die Ärmsten aus Russland rekrutiert, die sogenannten "Nationalen Minderheiten". Auch bei den Ukrainern sterben die normalen Menschen und nicht die Oligarchen. Solange Menschen daran verdienen, wird es Kriege geben.
Wenn die Linke in der Regierung wäre, würde sie auch keine Waffen liefern?
Erstens sind wir ja nicht in der Regierung. Zweitens hätte man seit vielen Jahren darauf hinwirken müssen, dass der Konflikt um die Krim friedlich gelöst wird. Der Krieg kam nicht überraschend, darauf habe ich in mehreren Reden im Bundestag hingewiesen.
Eine Überraschung anderer Art gab es kürzlich für Sie selbst: Ihre Reden im Bundestag haben in einer Studie der Uni Hohenheim und des Deutschlandfunks den ersten Platz belegt. Untersucht wurden insgesamt die Reden von hundert Abgeordneten – und Ihre fielen als besonders positiv auf. Warum?
Wenige Fremdwörter, kurze Sätze, eine klare Gliederung und die Position der Linken deutlich machen – das ist mein Gerüst für Reden. Ich prahle nicht mit meinem Wissen, weil ich für die Menschen auf der Besuchertribüne oder am Bildschirm spreche. Politiker müssen Übersetzer von komplizierten Sachverhalten sein. Wer sich immer kompliziert ausdrückt, kann vielleicht nicht anders, weil er das Thema selbst nicht verstanden hat.
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