Die Wirksamkeit von Homöopathie ist wissenschaftlich nicht belegt. Trotzdem dürfen gesetzliche Krankenkassen Kosten für die Behandlungsmethode übernehmen. Frankreich schiebt dem nun einen Riegel vor. Ein Thema, das auch in Deutschland stark polarisiert.
Deutschland streitet über die Homöopathie. Die einen schauen erleichtert nach Frankreich, die anderen besorgt: Das Nachbarland stoppt die Erstattung für homöopathische Behandlungen und Arzneimittel durch Krankenkassen: Derzeit übernehmen diese 30 Prozent der Kosten, ab dem kommenden Jahr werden es nur noch 15 Prozent sein, 2021 müssen sie die Kostenübernahme ganz einstellen.
Nach Einschätzung der Obersten Gesundheitsbehörde des Landes (HAS) weisen die Arzneimittel "keine wissenschaftlich ausreichende Wirksamkeit auf, um eine Rückerstattung zu rechtfertigen".
Neun Monate lang untersuchten die Experten knapp 1.200 homöopathische Arzneimittel und mehr als 1.000 wissenschaftliche Publikationen. Die HAS fordert, dass Homöopathie vor allem im Fall von schweren und fortschreitenden Krankheiten die "erforderlichen Behandlungen" nicht verzögern darf.
SPD-Fraktionsvize Lauterbach appelliert an Vernunft
In Deutschland ist Homöopathie zwar kein fester Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen – aber sie dürfen die Kosten erstatten. Das ist dem SPD-Gesundheitsexperten
"Im Sinne der Vernunft und der Aufklärung sowie des Patientenschutzes ist es auch in Deutschland falsch, dass Kassen aus Marketinggründen Homöopathie bezahlen", twitterte der Fraktionsvize, als der Vorstoß aus Frankreich bekannt wurde. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Union, Karin Maag, sieht das anders: "Wir führen keinen Kreuzzug gegen Heilpraktiker und Naturheilverfahren", sagte sie dem Berliner "Tagesspiegel".
"Es ist den Gegnern gelungen, das Narrativ der Unwirksamkeit in den Medien zu etablieren", bedauert Stefan Reis, Sprecher des Verbands klassischer Homöopathen Deutschlands (VKHD) im Gespräch mit unserer Redaktion. Viele Studien würden "dem Grundsatz der Individualisierung nicht gerecht", kritisiert er: Die Tatsache, dass sich Homöopathie ganzheitlich und ganz individuell nach dem Patienten richte, mache seriöse Untersuchungen extrem aufwendig.
"Unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass Homöopathie wirkt. Das kann nicht alles der Placebo-Effekt sein, das ist völlig ausgeschlossen." Wenn ein Patient davon überzeugt ist, dass eine Behandlung ihm helfen wird, kann er dadurch Selbstheilungskräfte aktivieren – auch ohne dass das dabei eingesetzte Mittel wirkt. Tritt dies ein, sprechen Experten vom Placebo-Effekt.
Alleinstellungsmerkmal und Angriffsfläche: die Potenzierung
Bei der Homöopathie handelt es sich um eine eigenständige Therapieform. Sie betrachtet nie nur das aktuelle Leiden, sondern immer den Patienten in seiner Gesamtheit. Sie beruht auf der Ähnlichkeitsregel: der Vorstellung, dass eine Arznei die Beschwerden heilt, die sie in ähnlicher Form selbst erzeugen kann.
Patienten werden Mittel wie Globuli oder Tropfen in potenzierter Form – sprich stark verdünnt – verordnet: zum Beispiel in Zehnerpotenzen (D) und Hunderterpotenzen (C). Dabei wird die Arznei bei jedem Herstellungsschritt im Verhältnis 1 zu 10 oder eben 1 zu 100 verdünnt.
Genau das ist ein wesentlicher Angriffspunkt für Kritiker: Hochpotenzierte homöopathische Mittel würden so stark verdünnt, dass die Ursprungssubstanz gar nicht mehr nachweisbar sei.
Die Erklärungen für Homöopathie "sind unplausibel und widersprechen etablierten wissenschaftlichen Konzepten", schreibt der European Academies Science Advisory Council (EASAC), ein Zusammenschluss von Wissenschaftsakademien in der EU. Dessen Vertreter erkennen lediglich an, dass es bei einzelnen Patienten zum Placebo-Effekt kommen kann.
Marketinginstrument für Krankenkassen
Trotz mangelnder Nachweise bieten nach Angaben des Bundesverbands "Patienten für Homöopathie" knapp 70 Prozent der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland entsprechende zuzahlungsfreie Sondertarife an.
Für die Versicherer geht es dabei durchaus um Wettbewerb, denn viele Deutsche sind der alternativmedizinischen Methode nicht abgeneigt: Nach einer Forsa-Umfrage aus 2017 finden es 73 Prozent wichtig bis sehr wichtig, dass die gesetzlichen Krankenkassen Kosten für homöopathische Behandlungen übernehmen. Auftraggeber der repräsentativen Studie war der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie.
"Wir wissen aus Kundenbefragungen, dass Versicherte sich sogenannte komplementärmedizinische Angebote wünschen", teilte vor eineinhalb Jahren auch die Techniker Krankenkasse (TK) mit – zum Thema Wirksamkeit steht aber nichts in dem Statement.
Zuvor war auf Twitter ein heftiger Streit darüber ausgebrochen, auf dessen Höhepunkt ein TK-Mitarbeiter die Kritiker aufforderte, "saubere Studien" vorzulegen, die die Nicht-Wirksamkeit von Homöopathie belegen. Am Folgetag ruderte der Versicherer zurück. Mitbewerber Barmer räumt auf seiner Webseite ein, dass Homöopathie "eine wissenschaftlich nicht anerkannte" Behandlungsmethode ist. Aber: "beliebt und verbreitet".
Sorge um Apothekenpflicht
Der Deutsche Zentralverband homöopathischer Ärzte will den Vorwurf der mangelnden Wirksamkeit nicht auf sich sitzen lassen. Er verlinkt auf seiner Informationswebseite ein Frage-Antwort-Stück zum Thema Forschung: Dass es keine wissenschaftlichen Nachweise für die Wirksamkeit von Homöopathie gibt, sei eine "völlig unzutreffende Aussage", heißt es dort.
Aus einer Studienauswahl (Stand: Ende 2014) hätten Wissenschaftler in 41 Prozent der Untersuchungen festgestellt, dass sie wirksam seien – und nur fünf Prozent sagten deutlich aus, dass dies nicht der Fall sei.
"Wir erleben eine breitgesteuerte und gut organisierte Kampagne gegen Homöopathie", bedauert Stefan Reis. Als Heilpraktiker ist er selbst zwar nicht vom Thema Kostenerstattung betroffen – diese betrifft nur Ärzte, die auch Homöopathen sind. Jedoch hänge ein "ganzer Rattenschwanz" daran: "Wenn die Erstattung verboten würde, könnte es auch passieren, dass die Apothekenpflicht kippt."
Eine Pflicht, durch die die Qualität der Arzneimittel streng kontrolliert würde. "Fällt diese weg, dann können in Zukunft auch Konzerne wie Nestlé homöopathische Mittel herstellen", warnt Reis.
Globuli ja, Brille nein – das sorgt für Unverständnis
Das Bundesgesundheitsministerium antwortet auf konkrete Fragen zu diesem Thema lediglich sehr allgemein: Das Ministerium, die Aufsichtsbehörden, die gesetzlichen Krankenkassen sowie deren Verbände hätten dem Wunsch nach Vielfalt in der therapeutischen Behandlung Rechnung zu tragen, teilt eine Sprecherin mit.
Die Möglichkeit, zusätzliche Satzungsleistungen anzubieten, stärke den "wettbewerblichen Spielraum" der Krankenkassen. 2010 hatte sich der heutige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch offen gezeigt, die Kostenübernahme zu verbieten.
Ein weiterer Aspekt, der viele Versicherte ärgert: Die Kosten für notwendige – und nachgewiesen wirksame – Mittel wie Sehhilfen werden gar nicht oder nur begrenzt erstattet, die für homöopathische Behandlungen und Arzneimittel hingegen schon. Das Bundesgesundheitsministerium äußert sich dazu auf Nachfrage nicht.
Natürlich sollten die Kosten für Brillen erstattet werden, sagt indes Heilpraktiker Stefan Reis. Aber das eine habe nichts mit dem anderen zu tun. Den Vorwurf, dass die Solidargemeinschaft für homöopathische Behandlungen einzelner zahlen muss, kann er nicht nachvollziehen. "Sie zahlt auch für Opfer von Rasern oder für gesundheitliche Folgen bei Kettenrauchern", sagt er. Patienten seien krank – und würden auch dann Kosten verursachen, wenn sie sich statt für die Homöopathie für eine schulmedizinische Behandlung entschieden.
Homöopathie-Gegner Karl Lauterbach ärgert indes vor allem, dass klare Forschungsergebnisse ignoriert werden. Auf Twitter bezeichnete er das als "Abkehr von der Wissenschaft".
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Stefan Reis, Sprecher des Verbands klassischer Homöopathen Deutschlands
- Pressestelle des Bundesgesundheitsministeriums
- European Academies Science Advisory Council: Homeopathic products and practices: assessing the evidence and ensuring consistency in regulating medical claims in the EU
- Tagesspiegel: SPD-Politiker will Kostenerstattung von Homöopathie verbieten
- Techniker Krankenkasse zu Homöopathie
- Barmer zu Homöopathie
- Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte
- Homeopathy Research Institute
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.