Der Innenausschuss des Bundestags hat sich in einer Sondersitzung mit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt beschäftigt. Taleb A. war den Behörden bekannt. Doch seine Gefährlichkeit hat offenbar niemand richtig eingeschätzt. Innenministerin Nancy Faeser sagt: "Solche Täter passen in kein Gefährderprofil."
Die Stimmung soll bedrückt, aber konstruktiv gewesen sein. Doch Licht ins Dunkle hat die Sondersitzung offenbar kaum gebracht. Der Innenausschuss des Bundestags hat am Montag über den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt beraten. Der 50-Jährige Taleb A. war dort am 20. Dezember mit einem Auto in die Menschenmenge gerast. Fünf Menschen kamen ums Leben, mehr als 230 wurden verletzt.
In Berlin ging es nur am Rande um mögliche Versäumnisse und Sicherheitspannen vor Ort am Weihnachtsmarkt. Stattdessen standen die Nachrichtendienste und andere Behörden im Fokus. Alles drehte sich um die Frage: Warum hat niemand den Täter aufhalten können?
Täter drohte schon 2013
Denn es gab Hinweise, dass von Taleb A. eine Gefahr ausgehen könnte. Er kam 2006 aus Saudi-Arabien nach Deutschland und erhielt 2016 als politisch Verfolgter Asyl. Zuvor macht er in Mecklenburg-Vorpommern eine Facharztausbildung. Als er die Ärztekammer 2013 bedrohte und dabei auch einen Anschlag andeutete, wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt. 2015 sprach er erneut eine Drohung aus. Später behandelte Taleb A. trotzdem als Facharzt für Psychiatrie in Sachsen-Anhalt unter anderem suchtkranke Straftäter. Auch in anderen Bundesländern fiel er den Behörden auf.
Mit der Zeit radikalisierte sich Taleb A. und legte sich ein teils wirres Weltbild zu. Einerseits forderte er Deutschland zur Aufnahme von Flüchtlingen auf – warf den hiesigen Behörden aber auch vor, zu viele Muslime ins Land zu lassen. Einem Bericht der "Zeit" (Bezahlinhalt) zufolge fühlten sich muslimische Verbände vom selbsternannten "aggressivsten Islamkritiker" geradezu terrorisiert.
Mehrmals soll Taleb A. sogenannte Gefährderansprachen bekommen haben. Auch die Behörden aus Saudi-Arabien wiesen die deutschen Kollegen auf eine mögliche Gefahr hin: Im sozialen Netzwerk X raunte Taleb A. demnach auf Arabisch, demnächst werde in Deutschland "etwas Großes" passieren. Er zeigte sich dort auch als Anhänger der AfD und Fan von Elon Musk.
"Die Behörden kannten diesen Täter"
Diese Kombination hat es offenbar auch den Sicherheitsbehörden schwergemacht, die Gefahr durch Taleb A. richtig einzuschätzen. "Solche Täter passen in kein Gefährderprofil", sagt Bundesinnenministerin
Stattdessen gab es aber offenbar niemanden, der einen Überblick über die vielen Vorfälle an unterschiedlichen Orten hatte. Der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio spricht im Bundestag von einem "systemischen Behördenversagen": An 80 verschiedenen Stellen sei Taleb A. "einschlägig bei den Behörden aufgeschlagen", sagt er. Diese Zahl rückt der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann danach zurecht: Es habe insgesamt 80 Hinweise gegeben – darunter seien aber auch doppelt erfasste Meldungen.
Klar ist jedoch: "Die Behörden in Bund und Ländern kannten diesen Täter." So sagt es FDP-Politiker Kuhle. Allerdings wussten die staatlichen Stellen offenbar nicht vom Wissen der anderen Stellen. "Es sind zwar Daten weitergeleitet worden aus dem internationalen Raum, vom Bund an die Länder", sagt der SPD-Abgeordnete Hartmann. Aber offenbar wurden eben nicht alle Daten weitergeleitet – auch nicht zwischen den Bundesbehörden. Und offenbar fügte niemand aus den vielen Meldungen ein Bild zusammen.
"Es ist unverständlich, warum der Täter nicht stärker unter Druck gesetzt worden ist", so Hartmann. Warum passierte das nicht? Und wer wäre dafür zuständig gewesen? Das bleibt nach der Sitzung offen.
Bisher keine Schuldzuweisungen
Mit Schuldzuweisungen halten sich die Politiker am Montag trotzdem zurück. Zumal auf den verschiedenen Staatsebenen unterschiedliche Parteien Verantwortung tragen: Das Bundesinnenministerium wird von der SPD geführt, die Landesregierung in Sachsen-Anhalt von der CDU. "Es gibt keine klare Verantwortung nur an einer Stelle", sagte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Andrea Lindholz, schon vor der Sitzung.
Irene Mihalic, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion sagt danach: Irgendwer werde dafür die politische Verantwortung übernehmen müssen, dass die Tat trotz allen Wissens nicht verhindert wurde. Aber wer? Diese Frage zu beantworten – dafür ist es aus Sicht der meisten Ausschussmitglieder zu früh. Die parlamentarische Aufarbeitung der Todesfahrt von Magdeburg hat gerade erst begonnen.
Verwendete Quellen
- Stellungnahmen vor und nach der Sitzung des Innenausschusses im Bundestag
- Zeit.de: Täter von Magdeburg – Was trieb ihn an?
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