Im vergangenen Herbst rummste es bei den Grünen: Erst traten die beiden Vorsitzenden zurück, dann auch noch der gesamte Vorstand der Jugendorganisation. Die Führungsriege der Grünen Jugend verließ die Partei mit weiteren Nachwuchs-Grünen. Jetzt haben sie etwas Neues gegründet.
Sarah-Lee Heinrich sieht ausgeschlafen aus. Sie sitzt in einem Berliner Kaffee mitten in Kreuzberg und schmiert sich ein Brot. Ihr geht’s gut, meint sie. Hinter Heinrich liegen turbulente Wochen: der Bruch mit ihrer Jugendorganisation, der Mutterpartei und damit ihrer jahrelangen politischen Arbeit und Heimat, die Gründung eines neuen linken Jugendverbands. Der Name: "Zeit für was Neues". Mit dabei unter anderem eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der Grünen Jugend.
Zu Erinnerung: An dem Tag, als die Grünen-Vorsitzenden
Heinrich und Mitstreiter wollen gesellschaftliche Linke stärken
"Wir haben mit jungen Menschen auf der Straße darüber geredet, wie es ihnen geht, und über die gestiegenen Preise. Wir wollten sie natürlich einladen, mit zur Grünen Jugend zu kommen und sich dagegen einzusetzen – wir hätten ihnen aber nicht versprechen können, dass die Partei, zu der wir gehören, sich wirklich dagegen einsetzt", erinnert sich Heinrich. Das habe sich falsch angefühlt. Sie hätte sich gewünscht, dass sich die Grünen ändern – irgendwann sei ihr aber auch aufgefallen, dass sie sich selbst verändert hat.
Mit der neuen Jugendbewegung wollen die abtrünnigen jungen Grünen die gesellschaftliche Linke stärken. Heinrich sagt: "Die gesellschaftliche Spaltung nimmt immer weiter zu. Leute wissen nicht, wie ihre nächsten Monate und Jahre aussehen. Auch ich habe Angst vor der Zukunft." Deswegen seien sie und ihre Mitstreitenden überzeugt: Es braucht eine Kraft, die dieser Unsicherheit etwas entgegensetzt. "Eine Kraft, die versucht, die Gesellschaft grundsätzlich zu verändern – und zu verbessern. Weil es für viele gerade eben nicht so gut läuft."
Heinrich und ihr Jugendverband hätten nicht die Antwort auf die Frage, wie eine linke Kraft genau das erreichen kann. Aber sie wollen gemeinsam einen Weg finden und dafür mit jungen Menschen zusammenarbeiten und fragen, was sie gerade brauchen.
Forscher sieht geringes Potenzial
Wie aber schätzt ein Wissenschaftler die neue Bewegung ein? Hat sie überhaupt eine Chance, Gehör zu finden? "Das Problem von Bewegungen ist, dass sie Politik nie im Wesentlichen beeinflussen können. Vielmehr reagieren Gesellschaft und Politik auf diese Bewegungen – oder eben nicht", sagt Constantin Wurthmann mit Blick auf die neue Jugendbewegung. Der Politikwissenschaftler lehrt und forscht an der Universität Mannheim zur politischen Kultur.
Heinrich hingegen ist überzeugt: Regierungen müssen von außen angetrieben werden. Ihr Ziel ist es, der Regierung etwas entgegenzusetzen – bislang komme grundsätzliche Kritik hauptsächlich von rechts. Als politische Linke sollte man die aktuellen Regierungen nicht mit Samthandschuhen anfassen, findet sie.
Aus Sicht von Wurthmann gibt es aber ein weiteres Problem: Soziale Bewegungen würden irgendwann immer wieder verschwinden. "Eine Bewegung ist wie eine Welle. Die kommt und dann schwappt sie ab, zieht sich zurück und ist weg. Und deswegen braucht es diese Institutionalisierung in irgendeiner Art und Weise irgendwann."
Ein Beispiel, wie sich Bewegungen langfristig verankern können, ist die Jugendorganisation der KPÖ in Österreich. Seit 2022 stehen die Jungen Linken im Vorfeld der Kommunistischen Partei Österreich. Sie sind ebenso wie "Zeit für was Neues" aus jungen Grünen entstanden. Das Beben, das in diesem Jahr durch die deutsche grüne Partei ging, haben die österreichischen Ökos schon vor ein paar Jahren erlebt. Die Mutterpartei trennte sich im Rahmen der Hochschulwahlen von den jungen Grünen. Die Geschassten gründeten einen neuen Jugendverband – unabhängig von einer Partei: die Jungen Linken.
Heinrich will weg von Parteilogik
Politikwissenschaftler Wurthmann irritiert, dass der neue Jugendverband um Heinrich sich nicht direkt einer Partei angeschlossen hat: "Wo ist Platz dafür? Denn eigentlich ist die Partei Die Linke genau dort zu verorten, wo diese Bewegung hin möchte." Mit Blick auf die Umfragewerte könnte die Linkspartei wohl jede Unterstützung im Wahlkampf gebrauchen.
Heinrich schließt auch nicht aus, dass die neu gegründete Organisation irgendwann mit der Linkspartei und deren Jugendverband zusammenarbeitet. Das Ziel sei aber nicht vorrangig, sich einfach erneut einer Partei anzuschließen.
Vielmehr wollen Heinrich und die anderen Gruppen vor Ort verankern, die konkret etwas an der Situation junger Menschen verbessern können. Es gehe darum, erst einmal ein paar Ortsgruppen zu gründen und dann zu schauen: Wie lässt sich solidarische Praxis leben? Heinrich sagt: "Wir sind eine eigene Gruppe mit eigenen Überzeugungen und Zielen. Wir sind aus bestimmten Gründen aus einer anderen Organisation ausgetreten. Deswegen finden wir es wichtig, zusammenzuarbeiten, wo es Sinn ergibt, aber nicht auf Krampf Organisationen zusammenzulegen, die womöglich einen unterschiedlichen Fokus haben."
"Zeit für was Neues" soll konkret Dinge verbessern
Prinzipiell sind soziale Bewegungen aus Sicht des Politikwissenschaftlers Wurthmann gute Vorfeldorganisationen für Parteien – besonders erfolgreich seien damit aktuell vor allem rechte Akteure. Gerade an Orten, die er als "Lost Places" identifiziert, würden sie es schaffen, Menschen Stabilität zu geben. Gemeint sind damit vor allem strukturschwache und abgehängte Regionen.
Ob die neue Jugendbewegung viele Menschen mobilisieren kann, ist aus Sicht von Wurthmann hingegen fraglich: "Sie tritt sehr urban auf und ich frage mich: Bräuchte es eine solche Kraft nicht eigentlich außerhalb der urbanen Zentren?" Denn bislang wirke die neue Bewegung mit ihren Führungspersönlichkeiten vor allem "überproportional akademisch, jung, urban".
Heinrich ist wichtig, nicht nur in urbanen, hippen Räumen aktiv zu sein. Es gehe darum, eben nicht innerhalb der spezifischen Blase zu bleiben. "Als Linke beschäftigt man sich viel zu oft nur mit sich selbst. Wir wollen das nicht. Wir wollen an der Basis etwas verbessern", sagt sie. Zum Konzept der neuen Jugendbewegung gehört aber mehr als die praktische Arbeit vor Ort. "Zeit für was Neues" will ausloten, wie eine neue solidarische Gesellschaft entstehen könnte. "Wir schauen uns an: Was wurde in der Vergangenheit bereits versucht? Was können wir daraus lernen?"
Es klingt teilweise wie eine kleine Utopie. Junge Menschen, die gemeinsam losziehen, um die Welt zu verbessern. Ganz konkret, mit Graswurzelarbeit vor Ort – aber auch theoretisch, mit klassischen linken Diskussionskreisen.
Was aus Sicht von Wurthmann aber fehlt: eine Galionsfigur, ein Aushängeschild, das jeder kennt – wie etwa Greta Thunberg bei Fridays for Future oder Sahra Wagenknecht. Bei "Zeit für was Neues" sei das nicht gegeben. "Solche Bewegungen verfangen nicht, wenn niemand die Akteure kennt." Dann könnte es auch ganz schnell wieder vorbei sein mit der neuen Bewegung der Grünen-Rebellen.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Dr. Constantin Wurthmann von der Universität Mannheim
- Gespräch mit Sarah-Lee Heinrich
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