Vor einem Jahr hat in München der Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund begonnen. Mit Beate Zschäpe und ihren vier Mitangeklagten sitzen einige Schlüsselfiguren des Rechtsterrorismus vor Gericht. Die Neonazi-Szene habe sich durch das Auffliegen des Netzwerks allerdings kaum schwächen lassen, sagt der Buchautor Björn Menzel.
Es war einer der am meisten erwarteten Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik: Vor einem Jahr eröffnete Richter Manfred Götzl vor dem Oberlandesgericht München die Verhandlung gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und ihre vermeintlichen Helfer Ralf Wohlleben, Carsten S., André E. und Holger G. Dazu die Selbstmorde von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die mit Zschäpe bis 2011 das NSU-Trio gebildet haben sollen – ein schwerer Schlag für die Szene.
Die Gefahr weiterer Terrorakte sei damit aber nicht gebannt, ist der Journalist und Buchautor Björn Menzel überzeugt. "Es gibt zahlreiche rechtsextremistische Netzwerke, auch wenn diese nicht im Untergrund agieren oder vergleichbar mit dem NSU sind", sagt der Experte, der zusammen mit seinem Kollegen Jens Kiffmeier das Buch "OhneMacht – Zerfall der Gesellschaft-Kampf gegen Rechts" veröffentlicht hat.
Als Beleg nennt der 35-Jährige das "Objekt 21" aus Österreich. 200 Neonazis waren in diesem Netzwerk über mehrere Ländergrenzen hinweg engagiert. Mindestens sieben enge Mitglieder stammten aus Deutschland, darunter mindestens vier aus Thüringen, dem Herkunftsland des NSU-Trios. 2013 erfolgten Festnahmen, bei denen die Polizei unter anderem Sturmgewehre, Maschinenpistolen und Munition sicherstellte. Drei Deutsche wurden in Österreich bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Im Dunkeln liegt hingegen noch das direkte Umfeld des NSU. Neben den vier Mitangeklagten könnten bis zu 200 Personen zum erweiterten Unterstützerkreis gehört haben. Das Münchner Gericht hat die Strukturen nach wie vor nicht restlos aufgedeckt. Es ist sicher nicht gewagt zu sagen: Das wird nie komplett festgestellt werden können", sagt Björn Menzel.
Verfassungsschutz zu Zurückhaltung gezwungen
Die Ziele und Methoden der Neonazis haben sich nach dem Ende des NSU nicht grundlegend verändert. "Sie wollen die Macht, rollen dazu mit ihrer Propaganda über das Land", sagt Menzel. "Und sie warten auf den Tag X, an dem sie das Sagen haben." Durch das Internet ist die rechte Szene besser vernetzt denn je. Waren es vor ein paar Jahren noch SMS, Handy und Rufnummern, dienen heute auch soziale Netzwerke der Kommunikation. Außerdem trifft man sich in eigenen Immobilien sowie auf Konzerten und Festen. Die Überwachung bleibt eine Herausforderung.
Dem viel kritisierten Verfassungsschutz wird nach unzähligen nachgewiesenen Verfehlungen genauer auf die Finger geschaut. Aber dieser ist wegen des geplanten NPD-Verbotsverfahrens gezwungen, zurückhaltender mit V-Leuten zu hantieren. Das erste Verfahren war 2004 daran gescheitert, dass die Szene zu stark mit Informanten der Geheimdienste durchsetzt war. Wäre es demzufolge möglich, dass eine rechte Terrorzelle aktuell ohne Beobachtung durch die Schlapphüte neue Morde plant? "Das ist genauso wahrscheinlich wie vor dem Bekanntwerden des NSU", lautet Menzels ernüchternde Antwort.
Rechtsextremisten vor Sprung ins EU-Parlament
Auch die aktuellen Statistiken des Bundesinnenministeriums geben keinen Grund zur Entwarnung. Zwar sank die Zahl politisch motivierter Straftaten von Rechts 2013 im Vergleich zum Vorjahr leicht um 3,3 Prozent auf 17.042. Mit 3.149 fremdenfeindlichen Delikten gab es hingegen ein Plus von 11,6 Prozent. Eine Schwächung der Szene ist nicht zu erkennen – ob bei militanten Kameradschaften, Netzwerken oder Parteien. "Rechtsextremisten und ihre Straftaten sind nicht gleichzusetzen mit der NPD und ihren Mitgliedern, auch wenn es eine Schnittmenge gibt", sagt Menzel.
Während die Mitgliederzahlen der "Nationaldemokraten" seit Jahren rückläufig sind und gegenwärtig bei rund 5.000 liegen, haben beispielsweise die teils gewalttätigen Proteste gegen Asylbewerberheime in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen. "Die Anzahl der Partei-Mitglieder ist nicht das Entscheidende. Die Fragen sind doch: Wie viel rechtes Gedankengut steckt in den Köpfen? Wie hoch ist der Alltagsrassismus?", fragt Menzel. In Initiativen wie dem "NSU-Watch-Blog" und der Veranstaltungsreihe "Gegenstand Rassismus", die gerade in Dresden begonnen hat, sieht er positive Signale.
Nach den zehn Morden, die dem NSU zur Last gelegt werden, seien Gesellschaft, Politik und Medien sensibilisierter für den Blick auf rechte Gewalt und Rechtsextremismus. Trotzdem steht die NPD bei den Europa-Wahlen am 25. Mai vor dem Einzug ins Parlament, auch weil das Bundesverfassungsgericht die Drei-Prozent-Hürde gekippt hat. Ein Verbot der Partei, deren Spitze die Gewalttaten des NSU offiziell ablehnt, hält der Experte nicht für die Patentlösung. Freie Kameradschaften seien finanziell unabhängig, die Rechten auch ohne Parteien exzellent vernetzt. "Ein Parteienverbot alleine reicht nicht aus, um den braunen Sumpf trocken zu legen", sagt Björn Menzel. Letztlich könnte es sogar mehr Extremisten in den Untergrund treiben.
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