• Er hatte bereits Angela Merkel in Sachen Beliebtheit überholt, galt als aussichtsreicher Kandidat für das kommende Rennen um die Kanzlerschaft.
  • Dann kam der Absturz: Nach einer missglückten Bewerberrede für Armin Laschet und einem vermasselten Impfstart kann sich Jens Spahn die Kanzlerkandidatur so gut wie abschminken.
  • Experten erklären, warum der Gesundheitsminister seine Ambitionen trotzdem erstmal gelassen begraben kann.
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Es ist nicht lange her, da wurde er noch gefeiert: als junger, rhetorisch begabter Politiker, als Pandemie-Manager während der ersten Corona-Welle, als CDUler mit konservativen Gegenakzenten zur Kanzlerin. Gesundheitsminister Jens Spahn – er galt vielen bereits als künftiger Kanzlerkandidat.

Noch Ende Dezember zog er in puncto Beliebtheit an der Kanzlerin vorbei, 52 Prozent der Menschen wünschten sich damals, dass Spahn "eine möglichst große Wirkung in der Politik" haben soll, wie die "Bild" berichtete. Doch nach dem nur schleppend angelaufenen Impfstart büßt der Gesundheitsminister deutlich an Beliebtheit ein.

Niedrigster Zufriedenheitswert seit Mai

Die Umfrageinstitute attestieren ihm den niedrigsten Zufriedenheitswert seit Mai. Die "Forschungsgruppe Wahlen" weist für Spahn auf einer Skala von +5 bis -5 aktuell nur noch einen Wert von 1,3 aus. "Spahn hat eine steile Flugbahn hinter sich, hat aber Fehler gemacht und Pech gehabt – und befindet sich jetzt deutlich im Sinkflug", sagt Herfried Münkler von der Humboldt Universität zu Berlin im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die Fehler: Die missglückte Rede auf dem CDU-Parteitag. Spahn hatte die Fragerunde für Werbung für seinen Parteikollegen Armin Laschet genutzt, der schließlich zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt wurde. "Spahn hat sich damit als nervöser und vordrängelnder Typ gezeigt", meint Münkler. Auch in den eigenen Reihen sorgte Spahns Vorpreschen für Irritation.

Pandemie-Politik fällt ihm auf die Füße

"Er hat außerdem in Bezug auf die Impfkampagne Erwartungen geweckt, die er nicht erfüllen konnte", sagt Münkler. Spahn sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, nicht rechtzeitig ausreichend Impfstoff bestellt zu haben und keine konkreten Angaben zu Lieferungen des Impfstoffs zu machen.

Auch Politikwissenschaftler Frank Decker von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn meint, dass Spahn Potenzial verspielt hat. "Er ist als jemand gestartet, der sich nicht ganz als loyaler Merkel-Unterstützer eingereiht hat", sagt der Experte. Mit einer konservativeren Haltung als die Kanzlerin – etwa in der Flüchtlingspolitik – habe er Unterstützer innerhalb der Partei gefunden.

Stress mit Laschet schon vor Parteitag

"Wolfgang Schäuble hat ihn deshalb beispielsweise zum parlamentarischen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium gemacht, wodurch Spahn Regierungserfahrung sammeln konnte", erinnert Decker. Für Merkel sei es 2018 dann naheliegend gewesen, ihren Kritiker auch in die Regierungsverantwortung einzubinden – Spahn wurde Gesundheitsminister.

"Vor der Coronakrise hat Spahn als Gesundheitsminister einen guten Job gemacht. Als aktiver Minister war er dann ein natürlicher Aspirant für die Merkel-Nachfolge", zeichnet Decker nach. 2019 initiierte Spahn beispielsweise eine bundesweite Debatte zum Thema Organspende.

Rennen ist für Spahn gelaufen

Sein jetziger Sinkflug habe sich jedoch bereits vor der strategisch ungeschickten Rede angekündigt, meint der Experte: "Spahn hat schon im Vorfeld versucht, auszuloten, wie seine eigenen Chancen stehen, um Laschet eventuell wegen dessen schlechten Umfragewerten zu verdrängen."

Damit habe er sich nicht als loyaler Unterstützer erwiesen und seine Chancen auf eine eigene Kanzlerkandidatur verschlechtert. "Hätte Spahn das nicht getan, wäre es für Laschet unter Umständen eine Option gewesen, zugunsten von Spahn auf eine Kanzlerkandidatur zu verzichten", schätzt Decker.

Nun bestehe diese Möglichkeit sicherlich nicht mehr. "Mit dem Hinweis in der Parteitagsrede, Laschet sei der natürliche Kanzlerkandidat, hat Spahn eingestanden, dass das Rennen für ihn gelaufen ist", meint Decker.

Zu beschäftigt als Gesundheitsminister

Aber noch weitere Gründe bremsen Spahns Karriere: "Er steht durch die Pandemie sehr unter Druck, die Fehler der jetzigen Politik werden an ihm haften bleiben", erklärt der Experte. Spahn sei in seinem Amt als Gesundheitsminister außerdem so beschäftigt, dass es schwierig war, weitere Funktionen unter einen Hut zu bekommen. "Das Rennen um die Kanzlerkandidatur wird zwischen Armin Laschet und Markus Söder entschieden", sind sich beide Experten sicher.

Wäre Spahn für die CDU überhaupt eine taktisch kluge Wahl gewesen? "Ich denke schon", sagt Decker. Spahn habe ein konservatives Image, habe als Gesundheitsminister aber auch gezeigt, dass er sozialstaatsaffin ist und sich damit in die Tradition der Union gestellt.

Als offen homosexuell lebender Mann strahle er "eine gewisse Liberalität" aus. "Man kann ihn nicht als typischen Konservativen abstempeln, der ein traditionelles Rollen- und Familienbild verkörpert", sagt Decker weiter.

Ambitionen gelassen begraben

Münkler aber meint: "Für eine strukturell konservative Partei wie die CDU ist Spahn eigentlich noch zu jung. Dort gilt die Erwartungshaltung, dass ein Kandidat sich mit mehreren Erfolgen erst bewähren muss." Der Achtungserfolg, den Spahn bei seiner Kandidatur um den Parteivorsitz 2018 erzielt habe, reiche dafür nicht aus.

Damals unterlag Spahn zwar Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz, die "Süddeutsche Zeitung" bezeichnete Spahn trotz seiner Niederlage im Nachgang aber als den "wahren Gewinner", weil er an Reputation gewinnen konnte.

Wird ein wichtiger Faktor bleiben

Decker sagt: "Spahn ist erst 40, er kann seine jetzigen Ambitionen also mit einer gewissen Gelassenheit begraben." In vier oder acht Jahren könne er immer noch einen neuen Anlauf nehmen. Dann, so meint auch Münkler, könnte Spahn gute Chancen haben. "Die Umfragen zeigen, dass es in der Gesellschaft eine gewisse Sehnsucht nach klarer Führung gibt", sagt der Experte.

Spahn habe durch seine Art zu sprechen und durch seine Performanz unter Beweis gestellt, dass er eine Führungspersönlichkeit ist. "Damit hat er ein Pfund in der Bevölkerung, welches Laschet beispielsweise nicht hat", meint Münkler.

Zum jetzigen Zeitpunkt sind sich beide Experten einig: Auch wenn Spahn aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur ist, wird er weiterhin ein wichtiger Faktor bleiben. "Er könnte zum Beispiel Fraktionsvorsitzender werden", schätzt Decker. Politisch verbrannt ist Spahn also bei weitem nicht.

Über die Experten: Prof. Dr. Frank Decker ist Politikwissenschaftler an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Er lehrt am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen westliche Regierungssysteme, Parteien, Populismus, Föderalismus und Demokratiereform.
Prof. Dr. Herfried Münkler ist Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Politischen Theorie und Ideengeschichte.

Verwendete Quellen:

  • Bild.de: Raten Sie mal, wer jetzt beliebter als Merkel ist
  • Forschungsgruppe Wahlen e.V: Politbarometer Januar II, 28.01.2021
  • Süddeutsche.de: Jens Spahn – der wahre Gewinner

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