Mit seiner Krankenhausreform will Karl Lauterbach viel erreichen. Die Kliniken sollen abgesichert und die Behandlungen besser und effizienter werden. Doch auch nach Beschluss des Gesetzes reißt die Kritik daran nicht ab. Wird die Reform auf den letzten Metern nochmal ausgebremst?

Eine Analyse
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Wenn jetzt nichts passiere, "hätten wir ein beispielloses Krankenhaussterben im nächsten Jahr vor uns", mahnte Lauterbach zuletzt. Seit Monaten wirbt der SPD-Gesundheitsminister energisch für seine Krankenhausreform. Auch den offenen Konflikt mit den Ländern scheute er dafür nicht. Zeitweise stand sogar das Scheitern von Lauterbachs größtem politischem Projekt im Raum.

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Nun hat der Bundestag die Reform beschlossen. Und die Zeit drängt, schließlich sind viele Krankenhäuser finanziell massiv angeschlagen.

Dieser Diagnose widerspricht auch Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), nicht. "Dass eine Reform notwendig ist, ist völlig unstrittig", erklärt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Aufgrund der finanziellen Lage und der unklaren Zukunftsaussichten könnten schon jetzt viele Kliniken "ihren Mitarbeitern nicht klar sagen: Uns gibt es morgen noch".

Nur: Dass mit Lauterbachs Plänen alles besser wird, daran hat Neumeyer erhebliche Zweifel. Und auch wenn das Gesetz beschlossen ist: Das Gezerre um die Reform dürfte noch nicht beendet sein.

Weniger Fälle, stärkere Spezialisierung

Vor allem beim Geld hakt es aus Sicht der DKG. "Wir sehen keine finanzielle Entlastung und damit auch keine Entlastung vom wirtschaftlichen Druck", so Neumeyer mit Blick auf den finalen Gesetzestext.

Bislang finanzieren sich die Kliniken fast ausschließlich über die sogenannten Fallpauschalen. Pro Patient und Behandlung bezahlen die Krankenkassen ihnen einen festen Betrag. Doch die Zahl der Patientinnen und Patienten ist in den vergangenen Jahren, im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie, deutlich gesunken.

Für die Kliniken bedeutet das, dass sie weniger Umsätze machen. Dazu erzeugt das System auch Anreize, möglichst viele Behandlungen durchzuführen. Selbst wenn diese gar nicht notwendig sind oder ihre Qualität nicht ausreichend sichergestellt werden kann.

Um die Lage zu verbessern, sieht Lauterbachs Reform vor, dass Krankenhäuser künftig nur noch 40 Prozent ihrer Einnahmen über die Pauschalen erwirtschaften müssen. Die verbleibenden 60 Prozent erhalten sie künftig pauschal über die sogenannte Vorhaltefinanzierung. Das soll sie in die Lage versetzen, immer ein gewisses Level an Leistungen zu einer festen Qualität anbieten können.

Im Gegenzug sollen sich die Kliniken aber stärker spezialisieren. Künftig darf nicht mehr jedes Krankenhaus alle Leistungen anbieten, sondern nur noch die, bei denen sie festgelegte Standards einhalten kann. Dazu werden den Krankenhäusern sogenannte Leistungsgruppen zugeteilt. Nicht nur die Behandlungen sollen so verbessert, sondern auch das System schlanker, effizienter und günstiger gemacht werden.

Krankenhausgesellschaft: Reform leistet keinen "Beitrag zur Entökonomisierung"

Doch aus Sicht der DKG wird diese Rechnung nicht aufgehen. So lasse der finale Gesetzestext etwa "die inflationsbedingten Mehrkosten und die enorm gestiegenen Personalkosten außer Acht", so Neumayer. Und die Kliniken können diese Kosten nicht einfach an die Patienten weitergeben.

Vor allem an der Ausgestaltung der Vorhaltefinanzierung stört man sich. In ihrer jetzigen Form sei diese zu niedrig angesetzt und würde die tatsächlichen Kosten, "die eine Klinik hat, damit sie handlungsfähig ist", nicht abdecken. Vor allem, weil sie "weiterhin nur an der Zahl der bearbeiteten Fälle berechnet" werde. Im Ergebnis sei sie deshalb "kein Beitrag zur Entökonomisierung, aber ein Beitrag zur Steigerung der Bürokratie", so Neumeyers Fazit.

Statt die Finanzsorgen der Kliniken zu verringern, könnte die Reform aus Sicht der DKG sogar das Gegenteil bewirken. Laut Neumeyer geht man davon aus, dass durch die Reform bis 2027 eine Mehrbelastung von "von mindestens neun Milliarden Euro" auf die Krankenhäuser zukommt. "Vor allem der enorme Anstieg an Bürokratie steht in keinem Verhältnis zu der nahezu ineffektiven geplanten Vorhaltefinanzierung."

SPD weist Kritik zurück

Bei Lauterbachs Partei will man das so nicht stehen lassen. "Es sollte jetzt Schluss sein mit solchen Schreckensszenarien", erklärt Heike Baehrens in einer schriftlichen Antwort auf Anfrage unserer Redaktion.

Baehrens ist gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag. Sie hält die von der DKG angeführten Zahlen für "unseriös." Man habe im Gesetz "an vielen Stellen Maßnahmen zum Bürokratieabbau vorgesehen". Auch solche, die von der DKG selbst vorgeschlagen worden sein. Von einem Anstieg des bürokratischen Aufwands könne deshalb "keine Rede sein".

Auch die Generalkritik an der Vorhaltefinanzierung kann sie nicht nachvollziehen. Inwieweit diese die Kosten der Kliniken abdeckt, lasse sich noch gar nicht final beurteilen. Dazu müsse erst noch geklärt werden, "wie die Länder im Rahmen ihrer Krankenhausplanungen die Leistungsgruppen an die Krankenhäuser zuweisen".

Zudem würden zukünftig für die Weiterentwicklung der Vorhaltefinanzierung auch "bevölkerungsbezogene und fallzahlunabhängige Faktoren berücksichtigt". Behrens ist sich deshalb sicher, dass sie dazu beitragen werde, "dass Krankenhäuser nicht mehr gezwungen sind, aus ökonomischen Gründen zu behandeln."

Zustimmung im Bundesrat ist nicht gesichert

Inkrafttreten soll die Reform laut dem Gesundheitsministerium zum 1. Januar 2025. Doch zuvor müssen sich die Länder mit dem Gesetz noch im Bundesrat befassen. Und schon vor Beschluss des Gesetzes hatten mehrere unionsgeführte Bundesländer angekündigt, die Reform dort blockieren zu wollen.

"Wer dem Gesetzentwurf zustimmt, handelt verantwortungslos gegenüber den Patientinnen und Patienten und den Beschäftigten der Kliniken", erklärte etwa die Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein, Kerstin von der Decken (CDU).

Bei der DKG sieht man das ähnlich. "Wenn man danach geht, was die Länder bislang zu der Reform gesagt haben, dürften sie dem Gesetz im Bundesrat nicht zustimmen", so Neumeyer. Sie müssten sich fragen, "ob sie die Katze im Sack kaufen wollen": Denn die finanzielle Sicherheit der Krankenhauslandschaft sei in der Reform noch immer nicht geklärt.

SPD-Politikerin Baehrens zeigt sich trotzdem optimistisch, dass die Reform nicht weiter ausgebremst wird. Der Bund sei den Ländern in vielen Stellen entgegengekommen und der Ton "viel versöhnlicher geworden".

Eine Blockade des Gesetzes wäre aus ihrer Sicht "ein gewagtes Manöver." Unter einer weiteren Verzögerung hätten "die Krankenhäuser zu leiden, die dann länger auf die dringend erforderlichen finanziellen Verbesserungen" warten müssten.

Krankenkassen wollen die Zeche nicht zahlen

Aber selbst, wenn der Bundesrat das Gesetz nicht in den Vermittlungsausschuss schickt, kann sich Gesundheitsminister Lauterbach noch nicht zurücklehnen. Denn die Krankenkassen haben bereits Widerstand dagegen angekündigt, dass sie die Reform-Zeche zahlen sollen.

Stein des Anstoßes ist der im Gesetz vorgesehen Transformationsfonds. Der soll die Kosten der Kliniken abfangen, die durch die Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft entstehen. Zum Beispiel, weil Abteilungen zusammengelegt werden.

Insgesamt 50 Milliarden Euro sollen dafür ab 2026 über zehn Jahre fließen – bezahlt, jeweils zur Hälfte, von den Ländern und den Krankenkassen. Sowohl die gesetzlichen als auch die privaten Krankenkassen halten das allerdings für verfassungswidrig.

Gesundheitspolitikerin Baehrens kann diese Kritik nicht von der Hand weisen. Die SPD hätte den Fonds ihr zufolge lieber aus Steuermitteln finanziert. "Denn es handelt sich um Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge, für die die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen nicht zuständig sind." Doch: "Unter den derzeitigen Bedingungen ist das aber objektiv nicht realisierbar."

Anders gesagt: Die schwierige Haushaltslage der Ampel-Koalition steht einmal mehr im Weg.

Zumindest mit Blick auf die privaten Kassen ist es laut Baehrens auch "verfassungsrechtlich schwierig", diese "gesetzlich zu verpflichten". Gleichzeitig sei es "gerecht, diese Last nicht nur den gesetzlich Versicherten aufzubürden".

Zur Not will Lauterbach deshalb auch einen offenen Konflikt mit den privaten Kassen in Kauf nehmen. Im Handelsblatt kündigte er jüngst an, er werde rechtliche Schritte ergreifen, sollten sie "versuchen, sich rein egoistisch zu verhalten und nur die Vorteile zu nutzen, ohne sich finanziell zu beteiligen".

Sollte sich der Bund in dem Zwist um den Fonds durchsetzen, dürfte das für die Bürgerinnen und Bürger erstmal eines bedeuten: höhere Versicherungsbeiträge. Dass sich mit der Krankenhausreform im deutschen Gesundheitswesen etwas tut, dürfte dann schnell spürbar werden – wenn auch erstmal nur im Geldbeutel.

Verwendete Quellen:

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