• Ihre Rede war mit Spannung erwartet worden: Die Grüne Kanzlerkandidatin Annalena-Baerbock hat auf dem Parteitag gesprochen.
  • Sie gesteht Fehler ein, gibt sich empathisch und fordert die Union zum Duell heraus.
  • Eine wichtige Botschaft kann sie aber nicht vermitteln.

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Langen Atem hat sie schon einmal bewiesen: Knapp 40 Minuten dauerte die Rede, die Kanzler- und Spitzenkandidatin Annalena Baerbock am Samstag auf dem Online-Parteitag hielt. Zuvor war sie mit 98,5 Prozent offiziell als Kanzlerkandidatin bestätigt worden.

Diesen Rückenwind konnte die 40-Jährige gebrauchen: In den vergangenen Wochen war der Grünen-Politikerin jede Menge Gegenwind entgegengeschlagen – Ungenauigkeiten im Lebenslauf, Nachmeldungen von Nebeneinkünften, falsche politische Zuordnung der sozialen Marktwirtschaft hatten die Umfragewerte der Grünen sinken lassen.

Rede hätte Befreiungsschlag für Baerbock sein können

Die Rede auf dem Parteitag – sie hätte zum Befreiungsschlag für Baerbock werden können, mit dem sie sich von diesen Lasten hätte freischwimmen können. Gleich zu Beginn gab sie zu: "Ich habe Fehler gemacht, über die ich mich tierisch geärgert habe". Die Solidarität in der Partei und von Spitzenkandidat Robert Habeck gebe ihr volle "Power", um nun in den Wahlkampf zu gehen.

Ihr äußerer Auftritt – selbstsicherer Stand, rosa-rotes Kleid, silberne Ohrringen – war einer Kanzlerkandidatin zumindest würdig und unterstrich: Die Grünen haben längst ein neues Gesicht. Aus der Reihe fallen sie längst nicht mehr. Anders als noch vor knapp 40 Jahren, als Joschka Fischer mit Strickpulli und Turnschuhen im Bundestag für Aufruhr sorgte.

Aufbruchsstimmung bei den Grünen: "In diesem Sommer dreht sich der Wind"

Aufbruchsstimmung und Neuanfang verbreiten wollte Baerbock trotzdem. "In diesem Sommer dreht sich der Wind nach einem Winter der Pandemie", sagte die Kanzlerkandidatin. Es gehe jetzt darum, die "Energie der Öffnung für einen Aufbruch zu nutzen". Das Ende vom Alten sei auch ein "Aufbruch zu etwas Neuem, zu mehr Freiheit".

Ein Großteil ihrer Rede drehte sich um das Programm der Grünen. Minutenlang arbeitete sich Baerbock an den einzelnen Forderungen ab – von Energiegeld über Kindergrundsicherung, digitale Bürgerämter bis zum Industrie-Pakt war alles dabei. Teilweise wirkte das etwas detailliert – gerade im Vergleich zur Rede von Spitzenkandidat Robert Habeck, in der er am Tag zuvor eher den großen Überblick gegeben hatte.

Botschaft "Ich kann Kanzlerin" fehlt

Während Baerbock die Steuererleichterung des Limousine-fahrenden Spitzenmanagers mit der der freiberuflichen Hebamme mit Kleinwagen verglich, hatte Habeck für Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit geworben. Baerbock begründete aber auch: "Wir wollen die Politik beenden, die ganz allgemein auf Veränderung setzt, aber dann im Konkreten immer wieder dagegen ist".

Trotzdem: Wer von den beiden eigentlich Kanzlerkandidat ist, stellte Baerbocks Rede jedenfalls nicht eindeutig klar: Inhaltlich war wenig von der Botschaft "Ich kann Kanzlerin" zu hören. Zwar erntete sie für Sätzen wie "Mein Ziel ist es, klimagerechten Wohlstand zu schaffen" oder "Ich kämpfe mit allem, was ich habe, dafür, dass unsere Kinder auch in Zukunft in Freiheit leben können" langen Applaus der etwa 100 zugelassenen Delegierten, die Kanzlerin Annalena Baerbock war aber noch nicht zu sehen.

Wählbar für breite Bevölkerung?

Die Botschaft dahinter, sie könnte auch sein: Wahlkampf wollen die Grüne über Inhalte machen, nicht über die Person – mehr "Wir" als "Ich". Innerparteilich dürfte das gut angekommen sein, die Resonanz gegenüber den politischen Mitbewerbern steht aber auf einem anderen Blatt Papier. An die Wählerinnen und Wähler gerichtet machte Baerbock klar: Wir sind in der Breite wählbar. So streckte sie die Hand auch über die Parteigrenzen aus und warb dafür, aus einem Umbruch einen Aufbruch zu machen – auch für Handwerker, Pendler und Stahlarbeiter.

Punkten konnte Baerbock mit ihrer nahbaren Art. So gelang es ihr nicht nur, persönliche Anekdoten vom beruflichen Werdegang ihrer eigenen Mutter einzuflechten, sondern sie gab sich mit Ausdrücken wie "scheißegal" auch bürgernah. Bemüht war Baerbock auch, sich besonders ehrlich und transparent zu positionieren: Ja, es werde Arbeitsplätze geben, die durch eine Transformation wegfallen.

Persönliche Anekdoten

"Es wird Regionen geben, die nicht profitieren", gab Baerbock zu. Genau in diesem Umbruch wolle sie aber Sicherheit bieten. Die Kritik, der Klimaschutz, gefährde den Wohlstand, sei rückwärtsgewandt: "Das war vielleicht im 20. Jahrhundert so, aber das ist vorbei", sagte sie.

Ebenso erzählte sie von ihrer persönlichen Freiheit, als junge Frau Auto zu fahren. "Ich bin zwischen Zuckerrüben auf dem platten Land aufgewachsen. Dort konnte man nicht Bahn fahren und der Bus fuhr zu selten", so Baerbock.

Absage an Koalition mit Union

Auf eine grün-schwarze Koalition ließ Baerbock allerdings nicht hoffen: Sie ging auf Angriffskurs gegenüber der Union. Es dürfe keine Ausreden, kein Wegducken, kein Weiterdurchwurschteln mehr geben. "Niemand hindert die Union daran, endlich einen Mindestlohn von 12 Euro zu beschließen", sagt Baerbock. Ihre Partei habe 40 Jahre darauf gewartet, um nun Aussicht auf das Kanzleramt zu haben – nun sei der Moment gekommen.

Es sei ein "Armutszeugnis", dass sich die Union verweigert habe, starke Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben. Mit dem Thema "Kinder" drückte Baerbock auf die emotionalen Knöpfe: Kinder in Hartz-4-Familien müssten noch immer zu viele "Neins an einem Sonntag" hören – kein Eis, kein Freibad, keine neuen Fußballschuhe.

In der Pandemie hätten 12-Jährige den Eindruck "Corona-Kinder sind scheißegal" und 6-Jährige hätten das ABC vergessen. Sie werde Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt ihrer Regierung stellen. Ihr Appell: "Machen wir diesen Sommer zu einer Hochzeit des demokratischen Ringens um die besten Konzepte unseres Landes."

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