Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erntete nach seinen Äußerungen zur Kinderarmut am Wochenende vor allem Kritik vom Koalitionspartner.
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann erwartet eine baldige Einigung des Bundeskabinetts über die Kindergrundsicherung und das Wachstumschancengesetz. "Wir werden sicher im Umfeld von Meseberg relevante Entscheidungen treffen", sagte Haßelmann am Montag im ZDF-"Morgenmagazin".
Im brandenburgischen Meseberg trifft sich das Kabinett Ende August zur Klausur. Anschließend, in der Woche ab dem 4. September, tritt der Bundestag wieder zusammen – bis dahin soll es laut Haßelmann "Beschlüsse im Kabinett geben".
Grünen-Fraktionschefin Haßelmann verteidigt Familienministerin Paus
Das Parlament werde dann beide Gesetzesvorhaben beschließen. Familienministerin
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Haßelmann verteidigte das Vorgehen ihrer Parteikollegin: Wenn es noch offene Fragen gebe bei Gesetzesvorhaben, dann sei es "auch ein Stück weit normal, dass man die stellt und die beantwortet werden". Es brauche zudem beides – "wirtschaftliche Impulse und soziale Impulse" –, sagte sie zu den zwei strittigen Gesetzesvorhaben. Eine soziale und ökologische Marktwirtschaft lebe davon, "dass wir einerseits eine gute wirtschaftliche Entwicklung haben und gleichzeitig etwas tun für den sozialen Zusammenhalt".
Die Kindergrundsicherung soll bisherige familienpolitische Leistungen zusammenfassen und das Verfahren für deren Bezug erleichtern. Die entsprechenden Pläne der Familienministerin werden seit Wochen kontrovers diskutiert.
Lindner sieht Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kinderarmut
Finanzminister Lindner sieht sie kritisch. Beim Tag der offenen Bundesregierung am Wochenende stellte er einen Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Zuwanderung her. Er fragte dabei, ob es nicht zumindest diskussionswürdig sei, stärker "in die Sprachförderung, Integration, Beschäftigungsfähigkeit der Eltern zu investieren und die Kitas und Schulen für die Kinder so auszustatten, dass sie vielleicht das aufholen können, was die Eltern nicht leisten können?". Vor allem Familien, die seit 2015 eingewandert sind, seien besonders von Kinderarmut betroffen, so Lindner.
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) geben Lindner recht. Sie zeigen einen Anstieg der Zahl ausländischer Kinder, die Hartz IV oder Bürgergeld erhalten. Während ihre Zahl im Dezember 2010 bei rund 305.000 lag, waren es im Dezember 2022 rund 884.000. Nach Angaben der BA erhielten im März 2023 als größte Gruppe rund 275.500 ukrainische Kinder und Jugendliche Bürgergeld. Die mit Abstand zweitgrößte Gruppe waren mit rund 213.400 Beziehern Kinder und Jugendliche aus Syrien. Anders als Asylbewerber erhalten ukrainische Kriegsflüchtlinge unmittelbar Zugang zum deutschen Sozialsystem, was den zuletzt sprunghaften Anstieg erklärt. Der Trend zeigte sich aber schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, etwa an syrischen Flüchtlingen.
Jedoch scheint an Lindners Aussage, "es gibt also einen ganz klaren statistischen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kinderarmut", nicht viel dran zu sein. Die Bertelsmann Stiftung bezweifelt das. Sie hat im Januar eine umfangreiche Studie zum Thema vorgelegt. "Kinderarmut in Deutschland ist seit Jahrzehnten ein strukturelles Problem, das nicht in erster Linie mit Zuwanderung zu tun hat", sagt Stiftungs-Expertin Stein. "Von Kinderarmut betroffen sind oft Alleinerziehende und Familien mit drei oder mehr Kindern." Vollzeitjobs, die eine Familie ernährten, seien aber kaum möglich, wenn immer noch 400.000 Kita-Plätze in Deutschland fehlten.
Es sei auch unerheblich, aus welchem Land Kinder stammten, ergänzte Stein. "Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention unterschrieben. Danach steht jedem Kind soziale und kulturelle Teilhabe zu. Es ist eine befremdliche Diskussion, wenn Politiker dabei jetzt nach Herkunft unterscheiden."
Job-Experten verweisen darauf, dass es bei geflüchteten Eltern allein schon durch den Erwerb von Sprachkenntnissen dauere, bis sie im Arbeitsmarkt Fuß fassen könnten und weniger staatliche Unterstützung für ihre Familien benötigten. 54 Prozent der 2015 nach Deutschland Geflüchteten waren im Jahr 2021 erwerbstätig, ermittelte das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Ende Juli. Von den Erwachsenen, die aus der Ukraine flohen, arbeitete nach einem Jahr mehr als ein Viertel (28 Prozent), heißt es vom Institut. Das sei schnell und viel. Anders als andere Geflüchtete hatten Ukrainer aber auch sofort eine Arbeitserlaubnis.
DGB äußert sich auch zur Kindergrundsicherung
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte die Bundesregierung auf, 12,5 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung zu veranschlagen. "Das ist die Mindestsumme, von der wir sagen: Damit kann man eine Basis dafür schaffen, dass Kinder und Jugendliche zu beruflichen und schulischen Erfolgen kommen", sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel im Sender rbb24 Inforadio.
Werde weniger investiert, müsse offen gesagt werden, dass nicht alle Kinder abgesichert werden könnten, sagte Piel weiter. "Wir sagen als DGB ganz klar: Das muss für alle Kinder gelten."
Kindergrundsicherung sollte nicht wegen des Geldes erfolgreich sein
Paus hatte zunächst einen Kostenrahmen von zwölf Milliarden Euro genannt. Nach Informationen von "Zeit online" sieht der Gesetzentwurf mit 3,5 Milliarden Euro jährlich nun eine deutlich niedrigere Finanzierung vor.
Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen kritisierte, dass sich die Diskussion über die Kindergrundsicherung vor allem auf Geldsummen konzentriere. Im rbb Infradio sagte sie: "Wenn die Kindergrundsicherung erfolgreich sein soll, dann reden wir nicht in erster Linie über Zahlen, sondern dann reden wir darüber: Wie können wir zukünftig hinbekommen, dass Leistungen digitalisiert, mit einem Ansprechpartner, ausgezahlt werden?"
Die FDP-Politikerin verwies darauf, dass Kinderzuschlag und Kindergeld zum Anfang des Jahres erhöht wurden. Allerdings rufe etwa nur ein Drittel der Anspruchsberechtigten den Kinderzuschlag auch ab. "Ich glaube, da kann man definitiv besser werden."
Kritik an Lindners Äußerungen auch aus der Opposition
Kritik an den Aussagen Lindners wie auch an den veranschlagten 3,5 Milliarden Euro übte die Linke. Sie fordert von der Ampel-Koalition ein Ende des Streits über die Kindergrundsicherung und mehr Geld für die geplante Sozialleistung. Mit dem erwogenen Budget lasse sich die Kinderarmut in Deutschland nicht bekämpfen, sagte Parteichefin Janine Wissler am Montag in Berlin. Rund 2,8 Millionen Kinder seien betroffen oder gefährdet.
Kinderarmut sei auch nicht importiert, wie Bundesfinanzminister Christian Lindner nahelege, fügte Wissler hinzu. "Sondern Kinderarmut ist ein strukturelles Problem." Betroffen seien vor allem Alleinerziehende und das unabhängig von der Nationalität. Gründe seien niedrige Löhne, Teilzeitarbeit und niedrige Sozialleistungen, sagte die Linken-Politikerin. (afp/dpa/the)
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