• Er ist erst einen knappen Monat im Amt des Parteivorsitzenden, schon musste sich Linken-Chef Martin Schirdewan im "ZDF"-Sommerinterview den Fragen von Moderatorin Shakuntala Banerjee stellen.
  • Dabei wurde schnell deutlich, dass das Erbe, das der 46-Jährige antritt, schwer wiegt.
Eine Kritik

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Die Linke musste in den vergangenen Monaten nicht nur bittere Wahlschlappen bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und im Saarland mit Ergebnissen von unter drei Prozent der Wählerstimmen hinnehmen, sondern wirkte zuletzt durch den Sexismus-Skandal auch wieder mit sich selbst beschäftigt.

Schirdewan zeigt sich uneinsichtig

Schirdewan wollte von Krisenmodus seiner Partei allerdings nicht viel wissen. Der Ostdeutsche hat sein Wahlkreisbüro im thüringischen Jena, wo die Linke mit Bodo Ramelow noch den Ministerpräsidenten stellt. Als Moderatorin Banerjee ihn daran erinnerte, dass Linkspolitiker Gysi auf dem Parteitag von einer "existenziellen Krise" der Partei gesprochen hatte, sagte er: "Wir stehen vor einer existenziellen Krise, aber nicht als Linke, sondern in dieser Gesellschaft".

Wenn man Schirdewan zuhörte, kam man kaum auf die Idee, dass die Linke ums Überleben kämpft. "Wir haben eine starke und gut funktionierende Bundestagsfraktion", sagte er. Auf dem Parteitag seien inhaltliche und personelle Weichen gestellt worden, man werde sich "aus dieser Krise, die zum Teil hausgemacht ist, wieder herausarbeiten", kündigte er an.

Ansage in Richtung Wagenknecht

Das war’s dann aber auch schon mit Selbstkritik. "Wir sind uns bewusst, wie man Erfolge organisiert", gab Schirdewan sich großspurig. Es brauche eine starke linke Opposition, die der Regierung auf die Füße trete. Banerjee ließ ihn mit dieser Selbstwahrnehmung allerdings nicht davonkommen und machte zuerst das Fass Sahra Wagenknecht auf.

Schirdewan versuchte die Kritik von Wagenknecht beiseite zu wischen. Die bekannte Linkspolitikerin hatte nach der Wahl des neuen Vorstands gespottet: "Never change a losing team". In ihre Richtung sagte der Co-Vorsitzende: "Ich erwarte, dass die führenden Politikerinnen und Politiker meiner Partei die Positionen, die wir miteinander demokratisch verhandeln und bestimmen nach außen auch vertreten."

Konfrontation mit Russland-Politik

Banerjee blieb im Modus "Kreuzverhör" und kam auf den Sexismus-Skandal zu sprechen. "Ist die falsche Parteivorsitzende zurückgetreten?" wollte sie mit Blick auf Wisslers ungeklärte Rolle in der Debatte wissen. Schirdewan verteidigte seine Co-Vorsitzende, gab aber zu, man sei dem "Anspruch als feministische Partei" in der Vergangenheit nicht immer gerecht geworden. Jetzt schaffe man aber "alle Voraussetzungen, dass solchen Fällen und Gelegenheiten keinen Raum mehr gegeben wird", kündigte er an.

Als es um die Politik gegenüber Russland ging, konfrontierte ihn Banerjee: "Nennenswerte Teile Ihrer Partei relativieren die Verantwortung Russlands." Das sei wohl kaum mit einem einfachen Beschluss auf dem Parteitag aus der Welt zu schaffen.

Verurteilung des Angriffskriegs

Schirdewan versuchte eine Verteidigung: "In beiden entscheidenden Anträgen ist deutlich geworden, dass wir als Linke den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine aufs Schärfste und ohne Wenn und Aber verurteilen und das gilt auch für unsere Solidarität mit der Ukraine."

Banerjee hatte aber noch die Debatte um das Linkenparteimitglied Sofia Fellinger im Ärmel. Die junge Frau mit Familie in der Ukraine hatte in einer Wutrede auf dem Parteitag die Russlandhaltung ihrer Partei scharf kritisiert. "Fellinger hat also nicht recht mit ihrer Wahrnehmung? ", wollte Banerjee wissen.

Engagement für die Ukraine

Schirdewan umging eine deutliche Antwort und breitete das Engagement der Linkspartei für die Ukraine aus: "Wir unterstützen die Ukraine finanziell, indem wir als einzige Partei in Deutschland einen Schuldenschnitt für die Ukraine fordern, damit die Ukraine auch in Kriegszeiten Löhne und Renten zahlen kann", sagt er und schob nach "Wir unterstützen, wo wir können."

Im entscheidenden Moment hatte Moderatorin Banerjee ihn aber. Sie erinnerte Schirdewann, dass er zusammen mit der Linkspolitikerin Özlem Demirel als einziger Abgeordneter gegen die Resolution stimmte, die den russischen Überfall verurteilte und die Aufnahme der Ukraine als EU-Mitgliedskandidat beschloss. "Wie solidarisch finden das denn die Menschen in der Ukraine?", fragte Banerjee scharf.

"Das ist ja Radikal-Pazifismus"

Schirdewan entgegnete: "Wogegen ich gestimmt habe, ist ein genereller Kurswechsel in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik in Richtung Militarisierung und Aufrüstung." Doch die Moderatorin kommentierte: "Sie hätten sich ja auch enthalten können. Das ist ja Radikal-Pazifismus".

Damit war das Thema noch nicht vom Tisch. Schirdewan setzte noch einmal nach: "Ich bin gar kein radikaler Pazifist an dieser Stelle. Aber ich sehe so wie 40 Prozent der deutschen Bevölkerung die Gefahr einer massiven Eskalation dieses Krieges, indem immer weitere Waffen geliefert werden."

Was deutlich fehlte

Ergebnis des Interviews? Wenig Selbstkritik und wenig Einsicht, wie es um die Linkspartei wirklich steht. Schirdewan gab sich aber angriffsbereit und geladen – das roch eher nach weiteren Konflikten in der Zukunft, als Streitschlichtung.

Banerjee hatte Schirdewan an der entscheidenden Stelle, verpasste aber auch ihm die Möglichkeit zu geben, darüber zu sprechen, wie die Linke Politik gestalten will. Welche diplomatischen Maßnahmen sind aus ihrer Sicht geboten? Wie soll der Krieg beendet werden? Wie sollen die steigenden Preise in Deutschland für die Bevölkerung konkret abgefedert werden? Inhaltlich war das entschieden zu wenig.


Verwendete Quellen:
ZDF: Sommerinterview mit Martin Schirdewan vom 10.07.2022

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