Bilder russischer Panzer an der Grenze zur Ostukraine beunruhigen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Doch ist die Panikmache überzogen? Was hat Russlands Präsident Wladimir Putin vor? Welche Gefahr geht von ihm aus? Matthias Platzeck, ehemaliger brandenburgischer Ministerpräsident und Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, mahnt zur Besonnenheit: "Ich halte Putin für einen rational handelnden Präsidenten." Doch die Lage sei ernst - eine Frage von Krieg und Frieden. Die Russen hätten eine "Einkreisungsangst".
Merkel wählte drastische Worte, redete mit ernster Stimme, bemühte besorgniserregende Vergleiche. In Sydney war das. Anfang der Woche. Die Bundeskanzlerin übte scharfe Kritik am russischen Präsidenten
Putin, der Eroberer?
Weil nur ein Mann Machtgelüste hegt? Nein, lautet auch hier die Antwort Platzecks' im Gespräch mit diesem Portal: "Man muss sich sachlich fragen, ob tatsächlich Eroberungspläne dieser Politik zugrunde liegen", sagt der SPD-Politiker. "Die offiziellen Erklärungen lauten, dass man auf keinen Fall vorhat, die Ostukraine einzunehmen." Er glaube diesen Verlautbarungen. Entgegen anderslautender Medienberichte habe er aber nie gefordert, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim einfach zu legalisieren. Die Meinung Platzecks' deckt sich mit der weiterer Experten, die sagen, dass Putin nicht im Traum vorhabe, dem Westen durch seine Truppen zu drohen. Die Mehrzahl der Bürger halte zwar gerade zu Putin, weil dieser für die Größe Russlands stehe und nach angemessener Anerkennung verlange, heißt es. Russland sei aber mit seiner Größe zufrieden, habe ganz andere Interessen. Nur welche?
Was hat Putin wirklich vor?
"Russland hat wie andere Staaten auch vor allem wirtschaftliche Interessen", erklärt Platzeck. Das Land braucht einen Modernisierungsschub, meint der 60-Jährige. Und die dafür nötige Hilfe. "Sie sind mit ihrer Volkswirtschaft, die immer noch rohstoffabhängig ist, wenig vorangekommen", schildert er. Das wisse auch Putin. Auf dem Weg zu diesem Ziel sei dieser nicht an großen Wirtschaftsbündnissen oder gar einem Gegenmodell zur Europäischen Union interessiert. Russen klärten so etwas lieber vis-a-vis und belächelten die EU dafür, dass sie ewig über Themen verhandle und nur langsam vorankomme, meinen Kritiker.
Doch wer sind mögliche Partner? Im Osten China. Selber eine Riesenwirtschaftsmacht. Noch wichtiger seien jedoch wir, meint Platzeck: "Weil wir einer der wichtigsten Handelspartner sind." Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, warum am späten Dienstagabend Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) unvermittelt von seinem Amtskollegen Sergej Lawrow und Putin selbst in den Kreml gerufen wurde, um sich zu beraten. Platzeck, der die Mechanismen politischer Zugeständnisse bestens kennt, warnt jedoch: "Wir werden diese Partnerschaft nur wieder aufbauen können, wenn wir sie mit einer Sicherheitspartnerschaft auf Augenhöhe kombinieren."
Was macht Putin Angst?
Und darum geht es nicht nur nach Meinung des SPD-Politikers eigentlich. "Ich erinnere daran: Derselbe Putin stand 2001 vor dem Bundestag, hat eine Rede gehalten und stehende Ovationen von den Abgeordneten erhalten. Aber viele der Vorschläge, die er damals gemacht hat, sind nicht umgesetzt worden", erzählt er. Es folgten unter Präsident Dmitri Medwedew Vorschläge für eine gemeinsame Sicherheitsstrategie. Die Amerikaner hätten stattdessen mit einem Raketenabwehrschirm geantwortet, sagt er, "der den Russen noch mehr Angst gemacht" habe. Aber wovor?
Wie schlimm ist die Lage?
Die Furcht beschreibt Platzeck als "Einkreisungsangst". Die Nato sei bis vor die Tore Russlands auch nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs stark präsent. Auch die EU-Osterweiterung habe ihr Übriges getan. "Es hilft nicht weiter, wenn man die Ängste eines Gegenübers nicht ernst nimmt. Das ist Teil der Vorgeschichte dieses Konflikts", sagt Platzeck und warnt vor der aufgeheizten Stimmung. "Aus meiner Sicht ist es dramatischer als im Kalten Krieg. Wenn man Ende der 1970er oder in den 1980er Jahren in Russland war, stellte man fest, dass nur die Führung auf Konflikt aus war", erzählt er. Heute sei der Zustand gefährlicher, weil die Bürger offen für antiwestliche Propaganda seien. Und die Medien befeuerten kräftig alte Klischees. "Im russischen Fernsehen läuft eine Propagandamaschinerie ab, die absolut kontraproduktiv ist", kritisiert Platzeck und nennt ein Beispiel: "Die Ukraine als Land darzustellen, dass aus Nazis und Faschisten besteht, ist falsch und eine Zumutung."
Die Sicherheitsinteressen Russlands vor diesem Hintergrund endlich ernst zu nehmen, sei das Gebot der Stunde, meint Platzeck. Denn inzwischen sei man an "Fragen von Krieg und Frieden" angelangt. Und dies, sei nicht die Schuld von Putin alleine.
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