Eine Reihe von europäischen Staaten will Palästina als Staat anerkennen. Die israelische Regierung reagiert darauf erzürnt und warnt vor "Belohnung für den Terrorismus". Experte Steffen Hagemann schätzt die Lage anders ein und erklärt, welche Hintergründe die Entscheidung hat, welche Türen sie offen hält und wie sich Israel und Deutschland nun verhalten dürften.
Mehrere europäische Staaten, darunter Norwegen, haben angekündigt, Palästina als Staat anzuerkennen. In einer Presseerklärung schrieb die norwegische Regierung von einem "grundlegenden, unabhängigen Recht auf einen eigenen Staat".
Doch es gibt auch Kritik: Den Palästinensergebieten mangele es an wichtigen Kriterien und die Grenze zwischen Israel und den Palästinensern sei strittig, argumentieren Gegner. Israel wiederum ist empört und holt seine Botschafter für Konsultationen zurück.
Spanien, Irland und Norwegen wollen in der kommenden Woche offiziell einen Palästinenserstaat anerkennen. Kam das überraschend?
Steffen Hagemann: Wir dürfen nicht vergessen: Es haben bereits sehr viele Staaten Palästina anerkannt, es fehlen aber viele europäische Staaten und die USA. Auch die UN-Generalversammlung hat den Palästinensern schon in diesem Jahr weitergehende Rechte innerhalb der Vereinten Nationen eingeräumt. Lediglich das Stimmrecht fehlte ihnen damit noch zur Vollmitgliedschaft. Im Sicherheitsrat ist die Anerkennung Palästinas als Staat letztlich nur am Veto der USA gescheitert.
Aber jetzt ändert sich gerade etwas?
Ja, aber es ist auch richtig, dass die Anerkennung eines palästinensischen Staates viele Hürden nicht beseitigen würde, die einer effektiven Staatlichkeit im Weg stehen. Die Anerkennung Palästinas würde schließlich auch keine Regelung der weiteren Streitfragen zwischen Israel und den Palästinensern herbeiführen.
Geht es denn derzeit darum?
Nein, es geht derzeit vor allem darum, in der jetzigen Situation, in der die Netanjahu-Regierung die Gründung eines palästinensischen Staates ablehnt, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser zu verwirklichen und an den Konturen einer Zwei-Staaten-Regelung festzuhalten. Die Anerkennung Palästinas soll Israel auf der anderen Seite nicht delegitimieren. Es geht um die Anerkennung eines palästinensischen Staates entlang der Linien von 1967, also neben Israel.
Wieso ist die Anerkennung Palästinas dafür wichtig?
Es ist ein klares Signal, dass eine Zwei-Staaten-Regelung verwirklicht werden soll. Die Anerkennung soll eine ausgewogenere Ausgangsposition für Verhandlungen schaffen. Und sie ist ein Bekenntnis dazu, dass es politische Perspektiven braucht, um diesen Staat dann auch zu verwirklichen.
Israel spricht von einer "Belohnung für den Terrorismus" und warnt vor Extremismus und Instabilität. Außerdem zog es Botschafter ab. Sind die Warnungen legitim?
Aus meiner Sicht nicht. Wir haben eine Situation, in der die israelische Regierung ganz explizit die Gründung eines palästinensischen Staates ablehnt und sich weigert, politische Perspektiven für die Zeit nach dem Gaza-Krieg gegen die Hamas zu formulieren. So eine Situation läuft möglicherweise auf eine Wiederbesetzung des Gazastreifens hinaus.
Die Anerkennung ist in dieser Situation ein Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Regelung und ermöglicht eine politische Perspektive dorthin. Die Frage der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts ist außerdem losgelöst von der Frage zu betrachten, wie dieser Staat dann am Ende eigentlich aussehen soll – auch, wenn die Perspektive europäischer Staaten natürlich ist, dass ein demokratischer palästinensischer Staat entstehen soll.
Ein wichtiger, symbolischer Schritt also?
Ja, aber sie ersetzt einen politischen Prozess nicht und trifft natürlich auf Widerstand der israelischen Regierung, die eben dieses Ziel, die Gründung eines palästinensischen Staates insgesamt ablehnt. Die israelische Regierung ist erzürnt, allerdings sind mit der Anerkennung Palästinas keine weiterreichenden Schritte verbunden. Israel ist inzwischen schon sehr weitgehend isoliert und kann daher nicht wollen, dass das Verhältnis zur EU und ihren Mitgliedsstaaten insgesamt leidet. Israel wird daher vor allem versuchen, weitere EU-Staaten davon abzuhalten, Palästina als Staat anzuerkennen.
Ist das aussichtsreich?
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez hatte zunächst versucht, die Anerkennung Palästinas auch auf EU-Ebene durchzusetzen. Es gibt aber in dieser Frage keine einheitliche Position Europas und dieser Plan von Sanchez ist auch an der Ablehnung Deutschlands gescheitert.
Wie lautet die deutsche Position?
Die deutsche Position ist immer gewesen, dass erst am Ende von Verhandlungen die Anerkennung eines palästinensischen Staates stehen sollte. Deutschland sagt: Solange die Hamas beteiligt ist und ein politischer Machtfaktor ist, bleibt ein solcher Schritt ausgeschlossen. Ich sehe im Moment nicht, dass Deutschland seine Position verändern wird.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Steffen Hagemann ist Politikwissenschaftler an der TU Kaiserslautern. Von 2018 bis 2022 leitete er das Büro Tel Aviv der Heinrich-Böll-Stiftung.
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