Die USA haben wiederholt Luftangriffe auf pro-iranische Milizen in Syrien geflogen. Sie griffen Einrichtungen an, die in Verbindung mit Teheran stehen sollen. Den Angriffen gehen Attacken auf US-Soldaten und versteckte Drohungen vor der UN-Generalversammlung voraus. Ein Experte ordnet die Lage ein und spricht über die Gefahr für die Weltordnung. Er sagt auch: "Wir treten in eine neue Ära ein."

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Es sind Attacken, die sich in einer angespannten Sicherheitslage ereignen: Mindestens 28 Angriffe von pro-iranischen Milizen auf US-Soldaten verzeichnet die US-Denkfabrik Washington Institute seit Ende Oktober. Die meisten davon erfolgten mit Drohnen und Raketen auf dem Staatsgebiet von Syrien und dem Irak und haben vom US-Militär genutzte Stützpunkte zum Ziel.

Die USA reagierten bereits: Sie flogen in der vergangenen Woche Luftangriffe auf Einrichtungen in Ost-Syrien, die mit dem Iran in Verbindung stehen. Das Pentagon sprach von einem Akt der Selbstverteidigung zum Schutz von US-Personal. Eine direkte Verbindung zum derzeitigen Krieg in Israel gebe es nicht.

Der amerikanische Einfluss hat gelitten

"Die Militärschläge der USA im Irak und in Syrien dienen vor allem der Abschreckung", erklärt Politikwissenschaftler Tobias Fella. Der amerikanische Einfluss hat durch die russisch-iranische Intervention in den Syrischen Bürgerkrieg und den Abzug aus Afghanistan gelitten "Washington will diesen wahren, indem es unter anderem federführend dabei mithilft, dass die israelische Abschreckungsfähigkeit, die durch den Hamasangriff brüchig geworden ist, wiederhergestellt wird", sagt der Experte.

US-Soldaten wurden bereits 2015 zur Unterstützung des Kampfs gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) nach Syrien geschickt. Von diesen Soldaten sind heute noch 900 vor Ort stationiert. Zusätzlich verlegten die USA kürzlich weitere Waffensysteme, Kriegsschiffe und Luftwaffengeschwader ins östliche Mittelmeer und entsandten 900 Soldaten.

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Instabiler Konfliktbogen

"Der Iran hat die Hamas stark aufgerüstet und hat ihr immer wieder den Rücken freigehalten. Er will sich als wahrer Unterstützer der palästinensischen Sache inszenieren", sagt Fella. Die Hamas sei Teil einer Reihe militanter Gruppen, die der Iran in der Region mit Waffen und Geld unterstütze.

"Wir haben eine ganze Konfliktzone, die von der Ukraine über den Kaukasus, Armenien und Aserbaidschan bis in den Nahen Osten reicht", sagt Fella. Dieser ganze Bogen sei sehr instabil. Die Terrorangriffe der Hamas hätten sich auch gegen den Trend der Entspannung im Nahen und Mittleren Osten gerichtet.

Mit der "Achse des Widerstands" zu regionaler Dominanz

"Berichten zufolge will die Hamas die Hisbollah und den Iran verstärkt in den Krieg involvieren. Ein mögliches Angriffsziel der Hamas kann auch darin gelegen haben, den Friedensschluss zwischen Saudi-Arabien und Israel zu verhindern", analysiert Fella.

Der Iran wiederum agiere indirekter über die sogenannte „Achse des Widerstands“, die er als ihr Anführer gegen die USA, Israel und prowestliche Staaten in der Region platziert hat.
Dazu gehören das Assad-Regime in Syrien, die Hamas, die Hisbollah im Libanon, die Huthis im Jemen, schiitische Milizen in Syrien und im Irak", erklärt der Experte.

Mit dieser Achse wolle der Iran seine machtpolitische Position am Golf und im Mittleren Osten ausbauen. "Die USA sollen dabei aus der Region verdrängt werden", sagt er. Iran, Russland und die Assad-Regierung hatten ihre Truppen im Osten Syriens schon seit Juli verstärkt.

Die USA und ihr Weltmachtanspruch

"Viele Akteure in der Region dürften sich sagen: Wenn wir die USA testen, dann testen wir die USA jetzt", mutmaßt Fella. Zwar wollten die USA zeigen, dass sie weiterhin wichtig und einflussreich sind und eine regionale Eskalation vermeiden, doch die Amerikaner stünden derzeit vor der schwierigen Herausforderung, ihre Ressourcen zu managen.

"Es gibt den Krieg in Israel, den Krieg in der Ukraine, die Gefahrenlage zwischen China und Taiwan – und dann stehen auch noch Wahlen an. Es gibt zunehmend Tendenzen, die Ukraine-Hilfe vor allem von republikanischer Seite zu hinterfragen", sagt Fella.

In dieser Situation sei es keine leichte Aufgabe, den eigenen Weltmachtanspruch zu untermauern und daran festzuhalten. "Die USA wollen ihren Gegnern vor Ort signalisieren, dass sie antworten werden, wenn jemand in den Krieg in Israel und Gaza eingreift. Sie wollen unterstreichen, dass sie nicht imperial überdehnt sind", sagt Fella.

Versteckte Drohungen des Iran

Die Abschreckung durch die USA erfolge sowohl militärisch als auch politisch. So hatte US-Präsident Joe Biden sich beispielsweise mit einer Warnung direkt an den Iran gewandt. In einer persönlichen Ansprache an Irans Obersten Führer Ayatollah Ali Chamenei soll Biden ihn vor Angriffen auf US-Truppen im Nahen Osten gewarnt haben.

Der Meldung geht neben den Angriffen auf US-Soldaten auch eine versteckte Drohung gegen Israel und die USA seitens des Iran voraus. Vor der UN-Generalversammlung hatte der Diplomat Huseyn Amir-Abdollahian laut "Frankfurter Rundschau" gesagt: "Ich möchte den amerikanischen Staatsmännern, die derzeit den Völkermord in Palästina anführen, offen sagen, dass wir die Ausweitung des Krieges in der Region nicht begrüßen. Aber wenn der Völkermord in Gaza weitergeht, wird dieses Feuer auch sie nicht verschonen."

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Eskaliert die Lage?

Auch Fella sieht die Gefahr einer Eskalation. "Der Krieg hat eine geopolitische Bedeutung. Auch wenn weder der Iran noch Israel Interesse an einer Eskalation haben dürften, kann diese auch ungewollt entstehen", sagt er. In Washington blicke man beispielsweise schon lange mit Argwohn und Misstrauen auf das iranische Nuklearprogramm.

Gegner würden derzeit untereinander austesten, ob die Positionen ihrer Gegenüber glaubwürdig sind. "Eine Gefahr besteht darin, dass verschiedene Parteien im Windschatten des Krieges ihre Interessen durchsetzen und eine Dynamik entsteht, die zu einer großen Eskalation führt", sagt er. Ebenso sei mit Auswirkungen auf den Krieg in der Ukraine zu rechnen. "Für den Kreml kommt es gelegen, wenn sich die Aufmerksamkeit und Ressourcen des Westens verschieben", sagt er.

Allgemein sei die Weltordnung derzeit bedroht und die Lage äußerst fragil. "Wir treten in eine neue Ära ein. Es ist eine Ära, in der es nicht um Konfliktlösung, sondern um Konfliktmanagement gehen wird", sagt der Experte. Für westliche Regierungen bedeute das eine große Herausforderung – denn es müssten immer noch genügend Mittel für die Bekämpfung des Klimawandels und das Überwinden von gesellschaftlichen Spaltungen verbleiben. Der Gipfel des Wohlstands im Westen sei fürs Erste erreicht.

Über den Gesprächspartner:

  • Dr. Tobias Fella ist Projektleiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH). Er forscht zu Weltordnungsfragen, insbesondere zur strategischen Stabilität unter den Bedingungen von Großmachtrivalität, zu konventioneller und nuklearer Abschreckung und Rüstungskontrolle, den Beziehungen zwischen der Nato und Russland sowie zu transatlantischer Sicherheit und Chinas nuklearer Aufrüstung.

Verwendete Quellen:

Emmanuel Macron

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat in einem Telefonat mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu "zu viele zivile Opfer" in Gaza beklagt. Er fordert eine sofortige humanitäre Kampfpause. (Bild: IMAGO/ABACAPRESS/Christophe Ena)
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