• NRW-Regierungschef Armin Laschet sitzt bei allen Bund-Länder-Runden zum Vorgehen in der Corona-Krise mit am Tisch.
  • Nun kritisiert er auf einmal den gemeinsamen Kurs.
  • Damit geht der CDU-Chef nicht nur auf deutliche Distanz zu Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern verärgert auch den Koalitionspartner SPD.

Mehr aktuelle Informationen zum Coronavirus finden Sie hier

Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet ist mit seiner deutlichen Kritik an einem scharfen Lockdown-Kurs in der Corona-Pandemie auf deutliche Distanz zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegangen. Und erntet zugleich starken Widerspruch vom Koalitionspartner SPD.

Die Sozialdemokraten hielten ihm "unbeholfenen Populismus" vor. Und die Grünen warfen Laschet vor, sich gegen die gemeinsame Linie aller Länder und der Bundesregierung zu stellen, die er als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen selbst mitbeschlossen habe.

Unterstützung erhielt der nordrhein-westfälische Regierungschef dagegen von der FDP, mit der er in Düsseldorf zusammen regiert.

Seitenhieb auf den möglichen Unions-Kanzlerkandidaten Markus Söder

Laschet hatte am Montagabend bei einer Digital-Veranstaltung des baden-württembergischen CDU-Wirtschaftsrats erklärt, man müsse das Virus und seine Mutationen zwar ernst nehmen, aber zugleich zu einer abwägenden Position zurückkommen.

Der NRW-Landeschef warf auf der Veranstaltung den Verfechtern eines harten Kurses im Kampf gegen die Corona-Pandemie – zu denen Merkel sowie CSU-Chef Markus Söder gezählt werden – Populismus vor. "Populär ist, alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln wie unmündige Kinder", sagte der Chef. Er warnte davor, das Leben der Menschen nur an Inzidenzwerten abzumessen. Man müsse all die anderen Schäden, etwa für Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, genauso im Blick haben.

Seine "Grundposition" sei: Die 50 sei erreicht, "wir werden in Kürze auch die 35 erreichen, aber man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet", sagte er.

Damit wandte sich Laschet gegen die von Merkel und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder vergangene Woche getroffene Entscheidung, statt des Inzidenzwerts von 50 den Wert von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen zur Messlatte für weitere Lockerungen von Corona-Schutzmaßnahmen zu machen.

Populär sei diese Position noch immer nicht, fügte Laschet hinzu. "Der große Nachbar in Bayern sieht es manchmal etwas anders" – ein kaum verhohlener Seitenhieb auf Söder, Laschets möglicher Kontrahent um die Unions-Kanzlerkandidatur.

Scharfe Kritik aus SPD-Reihen

Mit seinen Äußerungen sorgte Laschet für Unmut beim Koalitonspartner. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil warf dem CDU-Chef vor, er lege "die gefühlt 50. Wendung in seiner Corona-Politik" hin.

Klingbeil wertete die Äußerungen beim Redaktionsnetzwerk Deutschland als Beleg dafür, dass die CDU tief gespalten sei. Der neue CDU-Chef versuche, die Anhänger seines unterlegenen Konkurrenten Friedrich Merz für sich zu gewinnen. "Mitten in der größten Krise der Nachkriegszeit beschäftigt sich die CDU nur mit sich selbst, und ein Ende ist nicht in Sicht."

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, reagierte im "Spiegel" ähnlich: "Wenn sich die Corona-Krisenbekämpfung noch weiter zum Profilierungsthema für die Kanzlerkandidatur in der Union entwickelt, bekommt das Land ein zusätzliches Problem."

"Wer wie Laschet von 'erfundenen Grenzwerten' spricht, der zerstört Vertrauen in die Corona-Maßnahmen", kritisierte SPD-Fraktionsvize Katja Mast am Dienstag auf Twitter.

Mast schrieb dazu, natürlich sei es richtig, bei Corona-Maßnahmen abzuwägen. "Allem zugestimmt und hinterher absetzen spricht von schwachem Charakter", wies sie aber darauf hin, dass Laschet selbst bei dem Bund-Länder-Spitzengespräch an der Entscheidung für die Messlatte von 35 beteiligt war.

Lauterbach: Der Lockdown sei nicht "populistisch", sondern unbeliebt

Die nordrhein-westfälische SPD-Landespolitikerin Sarah Philipp nannte es auf Twitter "mindestens kurios", dass Laschet erst Beschlüsse auf einer Konferenz mit fasse, sie dann im Landtag verteidige, um sie schließlich am Montag anzuzweifeln. Mit Blick auf die aktuelle Lage nannte sie Laschets Vorgehen "bemerkenswert populistisch und gefährlich".

"Der Grenzwert von 35 wurde nicht 'erfunden', sondern abgeleitet von dem höheren R-Wert der Mutation B117" des Coronavirus, erklärte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Zudem sei der Lockdown nicht "populistisch", sondern eher unbeliebt.

Grünen: Laschet untergrabe Pandemiebekämpfung

Kritik kam auch von den Grünen. "Das Virus verhindert, dass Leben normal wieder stattfindet, nicht 'erfundene' Inzidenzwerte", betonte die stellvertretende Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. "Dass Armin Laschet das entweder nicht verstanden hat oder bewusst anders darstellt, ist verantwortungslos", warf sie dem CDU-Chef vor.

Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Armin Laschet blendet aus, wie fatal die Auswirkungen für die Gesellschaft wären, wenn Lockerungen zu früh kämen." Er stelle sich gegen die von ihm selbst mitbeschlossene Linie aller Länder und des Bundes. "Damit untergräbt er eine solidarische Pandemiebekämpfung, das höchste Gut in diesen Zeiten."

Unterstützung kam hingegen vom FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. "Wir fühlen uns bestärkt. Den richtigen Worten müssen nun aber umgehend Taten folgen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Eine Perspektive auf Öffnung sei möglich und dringlich: "Die Entwicklung der Zahlen lässt die Eingriffe in Grundrechte und die enormen Schäden des Lockdowns an vielen Stellen unverhältnismäßig werden." (dpa/afp/mf)

Armin Laschet

Laschet: "Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden"

Der CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet hat sich gegen neue Corona-Grenzwerte ausgesprochen und vor einem zu einseitigen Fokus auf den sogenannten Inzidenzwert gewarnt. (Teaserbild: IMAGO / photothek)
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.