Mit einem Sicherheitspaket will die Ampel-Regierung auf den Terror in Solingen reagieren und für mehr Sicherheit im Inland sorgen. Bei einer ersten Expertenanhörung kamen viele Fragen auf. SPD-Fraktionsvize Wiese ist trotzdem zuversichtlich.

Ein Interview

Peppa-Wutz-Buntstiftzeichnungen hängen an den holzvertäfelten Wänden in einem Büro im Deutschen Bundestag. Dirk Wiese sieht entspannt aus, obwohl er schon zahlreiche Termine an diesem Tag hinter sich hat und noch eine Menge folgen werden. Die Tage in den Sitzungswochen sind voll im politischen Berlin. In der aktuellen Situation, in der die Regierung dauerhaft unter Druck steht, womöglich noch ein bisschen voller.

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In dieser Woche wurde das Sicherheitspaket, das Innenministerin Nancy Faeser (SPD) in Reaktion auf den Terror in Solingen angekündigt hat, von einem Expertengremium seziert. Es wurden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit vorgebracht, an der Praktikabilität. Vor allem ging es dabei um Pläne, den Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse beim Datenabgleich zu geben – hier stellen sich Fragen des Datenschutzes. Ein Freiheitsrecht. Weitere Knackpunkte gibt es bei den Teilen des Maßnahmenpakets zu Asyl- und Waffenrecht.

Dirk Wiese ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion und verantwortlich für Innenpolitik. Die berechtigten Fragen, sagt er, müssen gründlich und schnell geklärt werden.

Herr Wiese, verlieren wir gerade unsere Freiheit zugunsten der Sicherheit?

Dirk Wiese: Wir müssen eine kluge Balance finden zwischen Freiheit und Sicherheit. Der Staat hat auch einen Schutzauftrag für seine Bürgerinnen und Bürger. Wir leben in Zeiten mit unterschiedlichen Bedrohungslagen, und vor diesem Hintergrund müssen wir an gewissen Punkten zum Schutz unserer Freiheit nachjustieren. Natürlich wissen wir um den elementaren Wert der Freiheit. Den stellt niemand infrage.

Das geplante Sicherheitspaket erweitert die Befugnisse der Sicherheitsbehörden bei der Datennutzung. Ein Expertengremium zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit. Wird das Paket zum Rohrkrepierer?

Wir haben, wie bei jedem Gesetz üblich, eine Anhörung mit Expertinnen und Experten gemacht, und wir nehmen ihre Hinweise sehr ernst. Wir müssen uns trotzdem die Frage stellen: Wie machen wir unsere Sicherheitsbehörden fit für das 21. Jahrhundert? Es ist zum Beispiel notwendig, dass Behörden die Möglichkeit bekommen, Identitäten mithilfe von öffentlich zugänglichen Quellen zu klären.

Wie meinen Sie das?

Wenn jemand bewusst und freiwillig Fotos von sich in sozialen Netzwerken veröffentlicht, müssen die Behörden die Möglichkeit bekommen, diese öffentlich zugängliche Quelle auch zu nutzen. Wir haben ein berechtigtes Interesse daran zu wissen, wer im Land ist, und in diesem Fall halte ich ein solches Vorgehen für vertretbar.

Und wie soll das funktionieren?

Auch die Frage der Praktikabilität war ein Thema der Anhörung. Wir werden jetzt genau prüfen, wie das umgesetzt werden kann, und natürlich auch Sicherheits- und Haltelinien einziehen.

Die Union hat bereits ein eigenes Sicherheitspaket in den Bundestag eingebracht. Was halten Sie davon?

Die Union hat den Asylgipfel im Bundesinnenministerium aufgrund taktischer Spielchen verlassen. Und das, obwohl sie die Maßnahmen, die für das Sicherheitspaket angekündigt wurden, begrüßt hatte und ihnen zustimmen wollte. Dass CDU/CSU jetzt einen eigenen Antrag einbringen und versuchen, Zeitdruck zu machen, passt für mich nicht zusammen. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass der Bundestag die Möglichkeit haben muss, über schwierige Gesetzentwürfe ausreichend zu beraten. Das machen wir, und das weiß die Union ganz genau.

Wo sehen Sie die größten Knackpunkte für die weiteren Verhandlungen ihres Sicherheitspaketes?

Genau in den Blick genommen haben die Expertinnen und Experten die Fragen nach Leistungskürzungen für ausreisepflichtige Asylsuchende, für die ein anderes EU-Land zuständig ist. Fragen gab es aber auch bei den angesprochenen Befugnis-Erweiterungen für Sicherheitsbehörden. Auch beim Waffenrecht schauen wir noch einmal genau hin.

Die Themen Migration und Asyl bewegen auch ihre Partei. In einem Brief protestieren zahlreiche Genossen gegen den Kurs der Regierung. Können Sie den Ärger verstehen?

Es ist völlig verständlich, dass es diesbezüglich Diskussionen innerhalb der SPD gibt. In einer Volkspartei gibt es immer unterschiedliche Herangehensweisen. Aber wir müssen die Sorgen vieler Bürgerinnen und Bürger sehr ernst nehmen. Uns leitet auf der einen Seite das klare Ziel der Humanität: Niemand stellt das individuelle Recht auf Asyl infrage. Auf der anderen Seite wollen wir steuern und ordnen. Wer keinen Schutzanspruch hat oder sich hier nicht an die Regeln hält und schwerste Straftaten begeht, muss das Land verlassen.

Die Bundesregierung will Asylsuchenden mit dem Paket die Leistungen kürzen. Wie viel Zugeständnisse kann hier eine Partei machen, die sich der internationalen Solidarität verschrieben hat?

Bei dieser konkreten Frage geht es nicht um internationale Solidarität. Es geht darum, was die Rechtsprechung für eine kleine Fallgruppe vorsieht: Es geht um Menschen, die in einem anderen EU-Staat bereits einen Asylantrag gestellt haben und die dieser Staat wieder aufnehmen will. Klar ist aber auch, dass die Menschen bis zur Rücküberführung dorthin nicht in die Obdachlosigkeit rutschen, sondern ihnen weiterhin eine Unterkunft gestellt wird. Auch werden die Grundbedürfnisse weiterhin erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht geurteilt, dass das Existenzminimum gegeben sein muss, deshalb schauen wir sehr genau hin.

Ins Rollen gebracht hat dieses Sicherheitspaket der Anschlag in Solingen. Nun werden darin eben auch Asylverschärfungen behandelt. Warum werden Terror und Migration vermischt?

Der Täter von Solingen ist ein Beispiel dafür, wo im Dublin-System Fehler passieren können. Letztlich zielen die Verschärfungen auf die ab, die sich nicht an die Spielregeln halten und hier schwerste Straftaten begehen. Darunter können auch jugendliche Straftäter fallen.

Radikalisiert werden viele Menschen nicht an den Außengrenzen von Deutschland, sondern auf TikTok. Von Social Media ist in dem Paket nichts zu finden.

Neben dem Sicherheitspaket ist unser Ziel die Errichtung einer Task Force, die passgenaue Präventionsschritte gegen islamistische Radikalisierung identifizieren soll. Social Media spielt dabei eine große Rolle. Außerdem beschäftigen wir uns mit der Frage, wie wir Plattformen stärker regulieren können und Propaganda, die dort betrieben wird, in den Griff bekommen. Es gibt bereits gute Präventionsprojekte gegen Radikalisierung, die wir über das Programm "Demokratie leben" fördern. Vor diesem Hintergrund wäre das Demokratiefördergesetz ein guter Anknüpfungspunkt.

Was ist das Demokratiefördergesetz?

  • Mit dem geplanten Demokratiefördergesetz will die Bundesregierung politische Bildung, Demokratie und Vielfalt fördern und so Extremismus vorbeugen. Durch das Gesetz soll die Förderung und Finanzierung solcher Projekte abgesichert werden.

Wird das Demokratiefördergesetz in dieser Legislaturperiode noch kommen?

Ich werde jedenfalls nicht nachlassen, dafür zu streiten. Gerade in der Präventionsarbeit ist eine langfristige Finanzierung entscheidend und das Gesetz kann hier ein wichtiger Baustein sein. Wir lassen deshalb nicht locker, trotz der Schwierigkeiten diesbezüglich mit unserem liberalen Koalitionspartner.

Über den Gesprächspartner

  • Seit 2013 sitzt Dirk Wiese für die SPD im Bundestag. Zwischenzeitlich war der Sauerländer Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Seit 2018 ist Wiese Sprecher der konservativen Strömung innerhalb der SPD, dem Seeheimer Kreis. Seit 2020 ist er zudem stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag und zuständig für die Bereiche Recht, Inneres, Sport, Kultur und Medien sowie Petitionen. Wiese ist verheiratet und hat zwei Kinder.
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