Sind die Ergebnisse des Brüsseler Gipfels wirkungsgleich oder nicht? So schlicht lässt sich der Knackpunkt im Asylstreit zusammenfassen. Für Angela Merkel ist die Antwort eindeutig, sagte sie im traditionellen Sommerinterview mit dem ZDF. Das fand ausgerechnet am Tag des Showdowns zwischen CDU und CSU statt. Eigentlich ein guter Zeitpunkt - eigentlich.

Eine Kritik

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Der Zeitpunkt für das Sommerinterview mit der Kanzlerin war auf den ersten Blick perfekt, schließlich sollte sich am Abend des gleichen Tages entscheiden, ob und wenn ja in welche Richtung sich der Streit der Unionsparteien entwickelt.

Dieser Umstand ist auch Kanzlerin Merkel bewusst, denn das Interview mit Bettina Schausten wurde um kurz nach 14 Uhr aufgezeichnet, also bevor CSU und CDU zu ihren getrennten Gremiensitzungen zusammengekommen sind.

"Es ist in der Tat etwas unglücklich, weil wir ja heute wichtige Gremiensitzungen haben, aber ich glaube, das Sommerinterview gehört zur Tradition dazu."

Dementsprechend wollte die Kanzlerin im Interview auch nicht den Ergebnissen der Sitzungen vorgreifen und die Eingangsfrage von Schausten beantworten, die gleich in die Vollen ging: "Ist am Ende dieses Tages, Frau Bundeskanzlerin, Horst Seehofer noch Innenminister, ist die Union noch beisammen, hat Deutschland noch eine Regierung?"

Angela Merkel: "Ich teile das Anliegen"

So verschwiegen Merkel an dieser Stelle aus nachvollziehbaren Gründen noch war, umso offener wurde sie in den folgenden knapp zwanzig Minuten - zumindest für Merkelsche Verhältnisse.

Bei den inhaltlichen Diskrepanzen zwischen ihr und Seehofer versucht die Kanzlerin zum Beispiel immer wieder zu betonen, dass sie in der eigentlichen Sache mit Horst Seehofer übereinstimme, lediglich der Weg sei ein anderer.

"Ich habe mich vor 14 Tagen selbst gefordert, weil ich das Anliegen, um das es geht, teile. Dass wir einerseits versuchen, die Zahl der ankommenden Migranten in Europa zu verringern, die mit Schleusern und Schleppern kommen", erklärt Merkel und ergänzt, dass man verhindern müsse, dass "sich die Asylbewerber sozusagen aussuchen können, wo sie ihr Asylverfahren machen."

Deshalb habe Merkel versucht, "nicht-unilateral, nicht unabgestimmt und nicht zulasten Dritter" Lösungen zu finden und zudem ein europäisches Gesamtkonzept zur Lösung der Migrationsfrage aufzuzeigen.

"Da hat die CSU mich auch ein Stück weit angespornt. Insofern bin ich mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden,wenngleich wir natürlich längst nicht am Ende unserer Arbeit sind", kommentiert Merkel das Ergebnis des Brüsseler Gipfels.

"Wirkungsgleich" oder nicht?

Angesichts der jüngst kursierenden Meldungen, Ungarn, Tschechien und Polen hätten bestritten, dass es Abkommen über beschleunigte Rückführungen gebe, hakt Schausten an diesem Punkt noch einmal nach und fragt, ob Merkel die Erfolge nicht größer dargestellt habe als sie seien.

Merkel bestreitet das und bedauert, falls es hierbei zu Missverständnissen gekommen sei. Abkommen gebe es (noch) nicht, aber man habe "politisch darüber Einverständnis erzielt".

Mit Griechenland habe man eine Vereinbarung bezüglich der Rückführungen getroffen, die Verhandlungen dazu stünden nun an. Mit Italien hingegen habe man sich nicht einigen können, die italienische Regierung fühle sich "seit Jahren im Stich gelassen", so die Kanzlerin.

Für Schausten ist das der Zeitpunkt, um auf die Hauptfrage Seehofers zu kommen, nämlich die nach der "Wirkungsgleichheit" der Ergebnisse des Gipfels.

Hier ist Merkels Einschätzung zwar höflich, aber bestimmt: "Ich gebe meine Meinung wieder und sage, ja, in der Summe all dessen, was wir insgesamt beschlossen haben, ist das wirkungsgleich. Das ist meine persönliche Auffassung, die CSU muss das natürlich für sich entscheiden."

Sachlichkeit gegen bayerische Breitbeinigkeit

Auf die Frage, ob Merkel ihre Richtlinienkompetenz durchsetzen und Seehofer entlassen werde, sollte der zu einem anderen Ergebnis kommen und, wie angekündigt, eigenmächtig handeln, äußerte sich Merkel allerdings nicht.

Stattdessen verwies sie auf die anstehenden Gespräche, verriet aber, dass sie gerne mit der CSU weiterarbeiten würde: "Wir sind eine Erfolgsgeschichte für Deutschland. Wir sind gemeinsam sehr stark."

"Mir geht’s um die Sache". Diesen Satz sollte Merkel zweimal im Sommerinterview verwenden und er sagt einiges über den Führungsstil der Kanzlerin aus. Beim ersten Mal ist er Merkels Antwort auf die Frage, ob Merkel selbst das eigentliche Ziel des Konflikts sei. Horst Seehofer habe ein Anliegen, das von ihr geteilt werde, nur beim Weg zum Ziel sei man anderer Meinung.

Beim zweiten Mal antwortet Merkel mit diesem Satz auf Schaustens Frage, ob die "auch im Ton heftigen" Aussagen aus Bayern sie verletzt hätten. "Ich bin Bundeskanzlerin, ich möchte gerne gemeinsam mit der CSU handeln und auch mit der SPD. In der Politik geht’s manchmal rau zu", wiegelt die Kanzlerin etwaige persönliche Verletzungen ab.

Fazit: Mehr journalistische Gelassenheit

Der Zeitpunkt des Sommerinterviews war nur scheinbar perfekt, um den Unionsstreit zum Hauptthema zu machen.

Dass Merkel aber zu den entscheidenden Fragen, beispielsweise wie sie mit Horst Seehofer umgehen oder wie es mit der Regierung weitergehen wird, nichts sagen würde, war eigentlich bereits nach Schaustens Einstiegsfrage klar. Vielleicht sogar schon davor, schließlich hatte zu diesem Zeitpunkt kein Parteigremium auch nur irgendetwas beschlossen.

Es hätte dem Interview eine große Portion journalistischer Gelassenheit und weniger tagesaktuelle Getriebenheit gutgetan, schließlich war klar, dass der Unionsstreit noch länger aktuell bleiben wird - wenn nämlich Fakten und Positionen auf dem Tisch liegen.

Stattdessen hätte Schausten die Gunst der Stunde nutzen können, um bei der Kanzlerin nach den großen Plänen der Regierung, der Gesamtvision zu fragen.

Gelegenheit dazu bot ihr die Kanzlerin sogar selbst, als sie davor warnte, dass aktuell die Einheit Europas auf dem Spiel stehe oder als sie über die Notwendigkeit einer Entwicklungspartnerschaft mit Afrika sprach, um die Fluchtursachen zu bekämpfen.

Stattdessen kam Schausten auch hier immer wieder auf den Unionsstreit zurück - auf den ersten Blick logisch und verlockend, aber in diesem Fall einfach nicht gut.

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