Müssen CDU und Linke in Thüringen eine Koalition eingehen, um das Land an der AfD vorbeizuregieren? Dazu äußerte sich Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) am Sonntag bei Caren Miosga. An anderer Stelle sprach der 68-Jährige über Hänseleien und mütterliche Ohrfeigen als Folge seiner schweren Lese-Rechtschreib-Schwäche.
Das war das Thema
Der Linken-Politiker
Das waren die Gäste
- Bodo Ramelow: Thüringens Ministerpräsident (Die Linke) will vor den Wahlen im Herbst alles dafür tun, "dass die Demokratie gewinnt" und die AfD in Thüringen nicht an die Macht komme. "Man muss nur den Herrn Höcke wörtlich nehmen mit seinem Buch (…) und sagen: Wählerinnen und Wähler, guckt euch das an!", sagte der 68-Jährige. Er bedauerte den Rückzug von
Sahra Wagenknecht aus der Linken, weil ihm nun eine breite Pluralität in der Partei fehle. "Ich habe nicht für die schmale Linke gekämpft". Und er fürchtet nun Verluste für seine Partei durch das neu gegründete Bündnis. Ramelow ging auch auf Ursachensuche, warum die AfD so stark geworden ist. Er habe eine Woche nach seiner Wiederwahl im Frühjahr 2020 aufgrund der Pandemie die Schulen schließen müssen und später Menschen im Gesundheitsdienst unter Androhung von Ordnungsgeld zur Corona-Impfung bewegen müssen. "Das hat die Spaltung der Gesellschaft immer noch weiter befeuert", so Ramelow.
- Katharina Warda: Für die Soziologin wäre die Öffnung der CDU zur Linkspartei nach der Landtagswahl in Thüringen ein vorstellbares Modell, wenn es die einzige Möglichkeit wäre, um die AfD zu verhindern. Damit war sie die einzige in der Runde, die sich hier so klar positionierte. Warda kritisierte außerdem klischeehafte Bilder, die oft vom Osten gezeichnet würden. "Es gibt nicht den Osten, es gibt nicht den einen Ostdeutschen. Das ist eine sehr aufgeblasene Idee, die wir seit mehr als 30 Jahren haben, die Teil des Problems ist."
- Thomas de Maizière: Der ehemalige Bundesverteidigungs- und Innenminister wollte der Thüringer CDU von außen keine Tipps geben, wie sie sich nach den Wahlen zu verhalten hat. Ob die Christdemokraten bei ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss vom Bundesparteitag 2018, der eine Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der AfD ausschließt, gegenüber der Thüringer Linken eine Ausnahme machen sollen? De Maizière wollte sich auf diese Diskussion nicht einlassen. Er machte stattdessen auf die Ziele der Linken aufmerksam, die mit der CDU nicht vereinbar seien: Abschaffung des Verfassungsschutzes und der Nato. Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht ist dem früheren CDU-Politiker genauso suspekt. Während Wagenknecht für eine restriktive Flüchtlingspolitik steht, sprach er von einem anderen führenden BSW-Mitglied, das gegen jegliche Restriktionen in der Migrationsfrage stehe. "Das passt alles überhaupt nicht zusammen", so de Maizière.
Das war der Moment des Abends
Eine CDU-Linkspartei-Koalition? Wie sieht der Thüringer Ministerpräsident diese umstrittene und fast undenkbare Machtoption, die derzeit nur mit weiteren Partnern eine Mehrheit hätte? Wenn CDU und Linke vor der Wahl sagen, dass sie zusammen regieren würden, "dann fällt alles über uns her", prophezeite Ramelow. "Die ganze Bundesrepublik macht sich dann wieder auf und sagt: Guck mal. Jetzt wollen die, um an der Macht zu bleiben, sogar mit der CDU koalieren. Da ist alles, was auf die AfD wieder einzahlt, wenn wir erstmal gar nicht mit unterschiedlichen Gesellschaftskonzepten in den Wahlkampf gehen". Seine große Sorge ist also, dass die AfD das Thema für ihre Zwecke ausschlachten und in den Umfragen davon profitieren könnte.
Das war das Rededuell des Abends
Und bei der CDU? Wäre da eine Koalition mit den Linken denkbar? (Nicht nur) Soziologin Warda hat eher eine Annäherung einiger Ost-CDUler an die AfD beobachtet. Sie vermisse eine "ganz klare Abgrenzung der CDU nach rechts", beispielsweise bei einigen Abgeordneten im Landtag von Sachsen-Anhalt. Dass sich die beiden Parteien ideologisch in mehr Punkten näher stehen als CDU und Linke, liege auf der Hand.
Dennoch widersprach Thomas de Maizière Warda vehement. "Ich teile das nicht, was sie sagen. Unsere Abgrenzung gegenüber der AfD ist glasklar", behauptete der CDU-Mann. "Vom Parteivorsitzenden bis zu allen." Wenn die AfD einem eigenen guten Antrag zustimmt, ist das für den Ex-Minister zu verschmerzen. Man dürfe sich nur nicht von Stimmen der AfD abhängig machen.
So hat sich Caren Miosga geschlagen
Mit dem Einzel-Interview mit Bodo Ramelow zum Beginn der Sendung sorgte die Gastgeberin für einen sehr persönlichen Einstieg. So sprachen beide über die schwere Lese-Rechtschreib-Schwäche Ramelows, die daraus resultierenden starken Probleme in der Schule, die Hänseleien und die Ohrfeigen der frustrierten Mutter. Auch Ramelows Drang zu Dominanz und sein Hang zum Cholerischen lässt sich teilweise aus den Kränkungen erklären, wie er zugab. Immerhin: Wenn er auf die Palme gebracht wird, könne er die negativen Emotionen mittlerweile gut "wegatmen".
Das ist das Fazit
"Wird der Osten unregierbar, Herr Ramelow?" Auf diese Frage – das kann man der Moderatorin zur Last legen – gab es am Ende keine zufriedenstellende Antwort. Konkrete Varianten wie eine von der Linkspartei in Thüringen mitgetragene CDU-Minderheitenregierung besprach Miosga gar nicht mit ihrem prominenten Gast. Hier wäre etwas mehr Tiefe an mancher Stelle wünschenswert gewesen. Auch für die Konstellationen in den anderen beiden Ostländern (Brandenburg und Sachsen), in denen 2024 gewählt wird, war in der Sendung kein Platz. Brandenburg steuerte nach den aktuellen Umfragen nicht auf eine Unregierbarkeit zu, in Sachsen hängt es davon ab, wie viele Parteien den Sprung in den Dresdner Landtag schaffen.
In den beiden anderen Ost-Ländern ist die Situation noch einmal ganz anders – und aufgrund der Neugründung des BSW auch insgesamt sehr dynamisch. Eine pauschale Unregierbarkeit des Ostens heraufzubeschwören, wirkte daher etwas aufgeblasen. Und bestätigte auch ein wenig die Kritik der Soziologin Warda, die das Überstülpen solcher Schablonen auf "den Osten" als "Teil des Problems" bezeichnet hatte.
Der Titel der Sendung hätte folglich lauten müssen: "Wird Thüringen unregierbar, Herr Ramelow?" Weil sich der Ministerpräsident – mit nachvollziehbaren Argumenten – um eine Aussage zu einer möglichen Koalition mit der CDU drückte, die Thüringen-CDU diese Koalition bisher ausschließt und keiner mit der Höcke-AfD koalieren will, müsste die Antwort wohl "ja" lauten. Andererseits regiert Bodo Ramelow nun schon seit 2020 an der Spitze einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung, die von der CDU in einem sogenannten "Stabilitätspakt" gestützt wird. Tolerierung darf das natürlich alles nicht heißen.
Man kann wohl davon ausgehen, dass Linke und CDU nach der Wahl wieder auf die eine oder andere Weise kooperieren würden, wenn es nicht anders geht. Zum Wohle des Landes. Unregierbarkeit ist in der Demokratie nicht vorgesehen.
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