Die Messerattacke in Solingen hat den Fokus erneut auf die europäische Flüchtlingspolitik gelegt. Bei "Markus Lanz" kritisierte nicht nur CDU-Politiker Jens Spahn das aktuelle Asylsystem aufs Schärfste. Auch Extremismusforscher Ahmad Mansour warnte vor den Gefahren eines Nichthandelns der Politik.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Natascha Wittmann dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag in Solingen forderte unter anderem CDU-Chef Friedrich Merz einen scharfen Kurswechsel in der Migrationspolitik. Bei "Markus Lanz" warnte Migrationsforscher Ahmad Mansour in dem Zusammenhang vor zu laschen Konsequenzen und erklärte, warum der Islamismus zu lange unterschätzt wurde.

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Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

Nach der Messerattacke in Solingen, bei der am Freitagabend drei Menschen getötet wurden, wurde gegen den Tatverdächtigen Haftbefehl erlassen. Es handelt sich um einen 26-jährigen Syrer, der eigentlich im vergangenen Jahr hätte abgeschoben werden sollen. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beanspruchte die Tat bereits mittels eines Bekennerschreibens für sich.

Markus Lanz nahm das am Dienstagabend zum Anlass, um in seiner Sendung über einen möglichen Kurswechsel in der Migrationspolitik sowie den Umgang mit Abschiebungen von Straftätern und Terroristen zu sprechen.

Das sind die Gäste

  • Jens Spahn, Unionsfraktionsvize: "Dieses EU-Asylsystem funktioniert vorne und hinten nicht."
  • Ahmad Mansour, Extremismusforscher: "Deutschland hat den Islamismus unterschätzt."
  • Daniel Thym, Rechtswissenschaftler: "Die Vorstellung, dass man Asylpolitik mit Abschiebungen in den Griff kriegt, ist illusorisch."
  • Anne Hähnig, Journalistin: "Wer nach Deutschland kommt, findet sehr schnell heraus, wie die Gesetze sind und wo auch die Lücken sind."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Nach dem Attentat in Solingen fordern einige Politiker die "Härte des Rechtsstaates" ein. Ein Ausdruck, der bei CDU-Politiker Jens Spahn für Kopfschütteln sorgte. Bei "Markus Lanz" prangerte er an: "Die Härte des Rechtsstaates, (...) das kann keiner mehr hören! Es werden nicht die nötigen Entscheidungen getroffen." Laut des ehemaligen Bundesgesundheitsministers müsse es nun zu Entscheidungen kommen, "die vor allem die Wurzel anpacken".

Demnach sei der Aufruf eines Messerverbots "nicht die Wurzel", sondern "das eigentliche Kernproblem ist irreguläre Migration seit vielen, vielen Jahren. Ohne jede Kontrolle kommen Menschen nach Deutschland. Wir wissen nicht, wer, wann, wo, warum". Spahn warnte deshalb: "Wir sehen eine starke Häufung von Messerangriffen (...) in Deutschland." Außerdem gelinge Migration "zu oft nicht".

In Bezug auf das aktuelle Treffen von CDU-Chef Friedrich Merz und Bundeskanzler Olaf Scholz ergänzte Spahn: "Unser Angebot ist, zusammen mit dem Bundeskanzler endlich zu Entscheidungen zu kommen. Wenn der Kanzler sagt, er ist zornig, dann finde ich das fast zynisch. Er hat nicht zornig zu sein, er hat Probleme zu lösen!" Journalistin Anne Hähnig gab daraufhin zu bedenken: "Wenn es der Wunsch ist, Migrationsströme zu lenken, dann ist mein Eindruck, dass Abschiebungen dafür nicht geeignet sind."

Jens Spahn stimmte zwar teilweise zu, sagte jedoch auch: "Abschieben ist natürlich wichtig im Rechtsstaat." Dennoch seien Abschiebungen "angesichts der großen Zahl von Menschen, um die es geht", nicht das Allheilmittel, "sondern der Schlüssel liegt an der Grenze und nicht an Verfahren im Land". Mit Blick auf die EU-Außengrenzen fügte Extremismusforscher Ahmad Mansour hinzu, dass strengere Grenzkontrollen essenziell seien, da "die Sicherheitsapparate seit Jahren sagen, dass IS und andere Terrororganisationen die Flüchtlingsrouten nutzen, um Terrorstrukturen in Europa, in Deutschland, aufzubauen".

Mansour bemängelte in dem Zusammenhang, "dass wir nicht unterscheiden können zwischen Leuten, die Schutz suchen, die vor dem Krieg fliehen, und zwischen Menschen, die bewusst nach Europa kommen, um Anschläge hier zu verüben". Fehlende Mechanismen würden laut dem Experten offenbaren, "wie dysfunktional das Ganze ist": "Und das machen die Leute nicht mehr mit." Der Extremismusforscher ergänzte mit sorgenvollem Blick: "Die Situation, wie sie heute ist, ist lebensgefährlich!"

Auch Jens Spahn warnte: "Wir sind überfordert als Gesellschaft." Anne Hähnig wollte daraufhin von dem Politiker wissen: "Würden Sie denn jetzt die Grenzen schließen?" Spahn antwortete ehrlich: "Das ist jedenfalls das, was ich meiner Partei empfehlen würde, ja." Lanz hakte überrascht nach: "Sie würden die Grenzen schließen?" Daraufhin nickte Spahn mit einem deutlichen "Ja!", fügte jedoch hinzu, dass "Deutsche, EU-Bürger, Visa, Aufenthaltstitel" natürlich weiterhin ins Land kämen.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Im Laufe der Sendung sprach Jens Spahn immer wieder wütend über den "Irrsinn" innerhalb des europäischen Asyl-Systems und sagte: "Nordrhein-Westfalen muss selbst nach Belgien mit dem Flieger zurückführen. (...) Das funktioniert so alles nicht!" Ein Satz, der bei Markus Lanz für Fassungslosigkeit sorgte: "Das heißt, Nordrhein-Westfalen bringt Leute mit dem Flugzeug nach Belgien?" Der CDU-Politiker nickte: "Ja, weil die Belgier sie anders nicht annehmen."

Der ZDF-Moderator hakte verwundert nach: "Entschuldigung, zehn Kilometer? Nicht mit dem Bus oder mit dem Auto oder mit dem Sammeltaxi? Verstehe ich jetzt nicht. Da wird geflogen?" Jens Spahn reagierte nüchtern: "Nach allem, was ich weiß, ist das so. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren! Aber so ist es mir berichtet worden." Spahn ergänzte, dass das einfach nur zeige, "wie dysfunktional es ist".

"Wenn ein System nicht mehr funktioniert und das tut es seit über zehn Jahren nicht (...), dann können wir uns in Deutschland auch nicht so sklavisch daran binden, bis wir am Ende vollends die Sicherheit und die Kontrolle im Land verloren haben", argumentierte der CDU-Mann weiter. Er sprach dabei die Debatte über eine "nationale Notlage" an und sagte: "Wir sollten EU-Recht an dieser Stelle dann auch mal aussetzen und sagen: An unserer Grenze geht es nicht mehr weiter!"

Laut Spahn sehe man anhand der Stimmung im Land, dass viele Menschen mittlerweile "die Systemfrage" stellen würden. "Das spüren wir doch alle, dass es ein Kipppunkt ist", mahnte der Politiker an. Anne Hähnig konterte: "Sie sagen Kipppunkt, Herr Spahn. Das finde ich, ist die falsche Formulierung." Hähnig kritisierte zudem: "Die CDU stellt die Kommissionspräsidentin auf europäischer Ebene. Sie haben jetzt sehr oft auf die Europäische Union geschimpft!" Weiter warnte die Journalistin vor einem "falschen Wording", wenn es um Migranten gehe, da viele von ihnen nach Deutschland fliehen würden, um Schutz und ein besseres Leben zu suchen.

Ein Argument, das Ahmad Mansour nicht unkommentiert lassen konnte: "Trotzdem müssen wir das Ganze kritisch betrachten. Wir müssen auch in der Lage sein, Fragen zu stellen." Laut des Extremismusforschers sei das System nämlich "so kaputt, dass so viele Leute das ausnutzen, um hierherzukommen". Jens Spahn stimmte energisch zu: "Wir wollen den Menschen helfen, aber wir können den Menschen nicht helfen, indem sie alle nach Deutschland kommen. Mittlerweile leben fünf Prozent der Syrer der Welt in Deutschland. Ein Prozent der Afghanen der Welt leben mittlerweile in Deutschland. Das kann so nicht funktionieren."

Ahmad Mansour ergänzte dazu abschließend: "Der Kipppunkt (...) ist schon erreicht. Nicht nur aufgrund von Islamismus, sondern weil viele Menschen in diesem Land sich nicht mehr sicher fühlen."

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Markus Lanz debattierte mit seinen Gästen leidenschaftlich über die Probleme des EU-Asylsystems und sprach auch mögliche Lösungsansätze an. "Ein abendfüllendes Thema", bilanzierte der ZDF-Moderator, der abschließend klarstellte, dass noch einige Fragen in weiteren Sendungen zu klären seien: "Wir haben offenbar viel zu tun."

Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

Bei "Markus Lanz" stellte Jens Spahn klar, dass das Attentat in Solingen längst kein Einzelfall sei, denn: "Allein in der letzten Woche gab es mehrere Messerattacken in verschiedenen Städten. Es gab einen Kopfschuss in Frankfurt am Hauptbahnhof. Das sind ja Zustände, die ich jedenfalls (...) in diesem Land nicht kannte." Das führe laut des Politikers zu folgender Konsequenz: "Wir müssen endlich im Sinne auch nationaler Souveränität und Sicherheit sagen: Wenn das EU-Recht nicht funktioniert, dann kann es am Ende uns auch nicht in eine Situation bringen, wo wir uns selbst aufgeben."

Auch Ahmad Mansour warnte: "Es wird nicht bei Solingen bleiben." Rechtswissenschaftler Daniel Thym blickte daher auf mögliche Lösungsansätze und sagte: "Wir müssen uns die Frage stellen, wo wir das Recht entschlacken können, ohne die rechtsstaatlichen Standards abzuschaffen."  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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