Der erste Shitstorm schon vor der Sendung, der nächste kommt bestimmt: Frank Plasberg redet bei "Hart aber fair" auch mit einem Rechten. So kuschelig, dass einem Gast der Kragen platzt.
Der Meinungskampf im Netz tobt schon, da hat "Hart aber fair" noch gar nicht begonnen.
Zum Talk über rechten Hass und seine Folgen hat
"Je nach Thema", schrieb die ARD, "ist es von Fall zu Fall nötig, AfD-Politikerinnen selbst zu Wort kommen zu lassen." Allerdings bemühten sich die Talkshows, AfD-Vertreterinnen "kein Forum für ihre Zwecke" zu bieten.
Zufrieden waren mit diesem Statement weder Sympathisanten der AfD, die einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot der Öffentlich-Rechtlichen witterten, noch ihre Gegner, die der Redaktion eine Mitschuld an der "Normalisierung" der politischen Rechten geben.
Und Frank Plasberg? Kümmerte sich auffallend aufmerksam um seinen Problemgast Junge. "Ich hoffe Sie hatten nicht den Eindruck, an einem Tribunal teilgenommen zu haben", säuselte er zum Ende der Sendung. Natürlich nicht, warum denn auch?
Was war das Thema bei "Hart aber fair"?
Seit 1990 sind, das haben Recherchen von "Zeit Online" und "Tagesspiegel" ergeben, mindestens 169 Menschen von Rechtsradikalen getötet worden.
Seit dem 2. Juni 2019, seit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, nimmt die breite Öffentlichkeit mal wieder Notiz von dieser sehr realen Gefahr von rechtsaußen.
Frank Plasberg wollte wissen, was die vergiftete Sprache in Kommentarspalten, auf Facebook-Seiten, aber auch in den Parlamenten mit der Gewalt zu tun hat. "Aus Worten werden Schüsse: Wie gefährlich ist rechter Hass?", fragte er seine Gäste.
Wer waren die Gäste?
- Uwe Junge, AfD-Fraktionschef im Landtag von Rheinland-Pfalz, verwehrte sich vehement gegen jede Mitverantwortung für ein Klima, in dem Rechtsradikale sich ermutigt fühlen, mit der Waffe zur Tat zu schreiten: "Uns eine Mitschuld an dem Mord zu geben, ist infam und hetzerisch." Von der Redaktion wurde er übrigens auf Twitter vorab mit dem Satz zitiert,
Annegret Kramp-Karrenbauer betreibe mit dieser Behauptung "Volksverhetzung" - das Wort hat sich Junge in der Runde lieber gespart, es hätte seine Erzählung von der braven, "konservativ-bürgerlichen" AfD doch arg ramponiert. - Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic (B‘90/Grüne) klopfte Junges Fassade immer wieder energisch ab und holte dabei auch einen Tweet aus dem Jahr 2017 hervor, in dem Junge "Aktivisten der Willkommenskultur" zur "Rechenschaft" ziehen wollte. Eine "Enthemmung in der Sprache", so Mihalic, die zum Nährboden für die Radikalisierung von Menschen wie Stephan E. werden könne: "Sie tragen selbstverständlich eine Mitverantwortung."
- Ganz und gar so, als sei sein zweiter Name Hase, ging Herbert Reul (CDU) durch den Abend. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen wusste von nichts und konnte auch nichts ahnen, vor allem nicht, dass ein Mordfall Lübcke je passieren könnte: "Das hat mich sehr überrascht. Wir haben so einen politischen Mord noch nicht erlebt in Deutschland." Nur Versuche halt, so wie vor vier Jahren, an Henriette Reker, in Reuls Heimat NRW, aber Plasberg ersparte ihm diesen Hinweis. Jedenfalls seien jetzt "alle hellwach", versprach Reul.
- Was es heißt, wenn Sicherheitsbehörden mal so richtig den Fokus auf rechten Terror legen, daran erinnerte Journalist
Georg Mascolo: Hans-Georg Maaßen sei ja nur Verfassungsschutzpräsident geworden, weil es nach den NSU-Morden einen Neuanfang geben sollte. "Dann ist der Islamismus dazwischengekommen." Und eine Unwucht entstanden: 763 Gefährder zählt der Verfassungsschutz, 700 Islamisten, nur 39 Neonazis. "Das kann ich mir nur schwer erklären." - Anwalt Mehmet Daimagüler formulierte seinen Erklärungsansatz freundlich: Auf dem rechten Auge blind seien die Behörden nicht. "Aber der Verfassungsschutz hatte auf dem rechten Auge einen fortgeschrittenen grauen Star." Auf keinen Fall, mahnte er, dürfe man nach der Diskussion um den Mordfall Lübcke wieder zur Tagesordnung übergehen. Er vertrete Kommunalpolitiker, die in Kommentarspalten brutal angegriffen würden, deren Adressen veröffentlicht werden, denen die Polizei nicht helfen kann. "Wenn wir das zulassen, kann unsere Demokratie einpacken."
"Hart aber fair": Was war der Schlagabtausch des Abends?
Mit Rechten reden, das ist nun auch schon wieder seit mindestens zwei Jahren das Gebot der Stunde, und immer wieder stellt sich aufs Neue die Frage: Wie eigentlich?
Wie soll man mit einem wie Uwe Junge ein vernünftiges Gespräch über rechtsradikale Gewalt führen, wenn er keine zwei Sätze zum Mord an Walter Lübcke sagen kann, ohne darauf hinzuweisen, wie schlimm der Linksextremismus im Land sei?
Wenn er vom Gastgeber vehement fordert, die Diskussion zu öffnen, "über jegliche Form von Extremismus im Netz"? Der das Problem mit seinem eigenen Sprachgebrauch nicht sieht, wenn er Menschen "zur Rechenschaft ziehen" will? Der sich immer und überall nur missverstanden und fehlinterpretiert fühlt?
Nach dem x-ten Rechtfertigungsversuch Junges platzte Anwalt Mehmet Daimagüler der Kragen: "Das ist hier alles zu kuschelig. Sie reden von Politikern als Volksverrätern. Hass ist kein Phänomen irgendwo in ihren Reihen", sagte er. "Es ist ihre Geschäftsgrundlage."
Junge redete sich mit dem Verweis auf das Programm der AfD heraus – wie viele Menschen haben wohl schon einmal einen Tweet oder einen Facebook-Post der AfD gelesen, und wie viele das Parteiprogramm?
Daimagüler blieb im Angriffsmodus: "Warum reden Sie von Volksverrätern?", fragte er, aber Junge hob an zu einer Gegenklage an über den angeblichen "moralisierenden Totalitarismus". Ab in die Opferrolle, so würgt man Diskussionen ab.
Wie hat sich Frank Plasberg geschlagen?
Mit Rechten reden ergibt in der Form keinen Sinn – Frank Plasberg versuchte es trotzdem, auf seine Art: Er redet mit Rechten, als wäre er ihr Sozialarbeiter.
Bei jeder Gelegenheit baute er Junge Brücken, ließ ihn länger als nötig dozieren, obwohl der AfD-Mann nur wortreich nichts sagte.
Sogar einen Fluchtweg bot er Junge, als das Gespräch auf AfD-Parteifreund Ralph Müller kam, der bei der Gedenkminute für Walter Lübcke im bayerischen Landtag demonstrativ sitzen blieb. "Das ist nicht bürgerlich, das ist nicht konservativ, das ist einfach nur schäbig", sagte Daimagüler.
Plasberg aber bestand auf den Hinweis, wie schwierig es doch sei, solche Leute aus der Partei auszuschließen.
Herbert Reul kassierte sogar einen Ordnungsruf von Plasberg, weil er von den "Typen" bei der AfD gesprochen hatte, was beim bekanntlich sehr sprachsensiblen Uwe Junge ("Wollen wir nicht alle mal abrüsten?") eine mittlere Panikattacke auslöste.
In der falsch verstandenen Neutralität geht eben jedes Maß verloren – und eine schnoddrige Floskel wird genauso verwerflich wie sprachliche Brandstiftung.
Zwischendurch zeigt Plasberg aber auch, dass er weiß, wie das geht mit dem Journalismus: Fakten sammeln, analysieren, gewichten.
Als Junge seinen Evergreen "Links ist mindestens so böse wie rechts" anklingen lässt, schmeißt der Gastgeber zum richtigen Zeitpunkt einen Einspieler an, der mit dieser Mär aufräumt: Dreimal so viele Körperverletzungen von rechts im Jahr 2017, Beweisführung abgeschlossen. "Bleiben Sie bei ihrer Behauptung?", fragt Plasberg. Natürlich tut Junge das: "In der Gesamtzahl schon." Es ergibt eben keinen Sinn.
Was ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"?
Immerhin weiß man nach 75 Minuten "Hart aber Fair": Am schlimmsten leidet unter dem rechtsradikalen Rand der AfD immer noch Uwe Junge.
Wen der Rheinland-Pfälzer nicht alles aus der Partei ausschließen möchte, wegen schlimmer Facebook-Kommentare schon ermahnt oder sogar abgemahnt haben will, man wundert sich, wo die Hass-Postings und all die anderen Skandale der Partei überhaupt noch herkommen.
Zugegeben, das ist zynisch. Eine Spur optimistischer präsentierte sich Georg Mascolo, der Junges Bemühungen für bare Münze nahm, ihn aber auch mahnte: "Daran werden sie sich messen lassen müssen." Die Frage sei, ob die AfD ihre "Reise in die Radikalität" fortsetzen wolle.
Wirkliche Erkenntnis gab es leider erst sehr spät in der Sendung, als nicht mehr Junge und seine Befindlichkeiten im Fokus standen, sondern das eigentliche Thema.
Vor allem die sehr beunruhigenden rechten Tendenzen gehören dringend genauer beleuchtet, immer wieder lassen Meldungen über Nazi-Symbole, üble Chats und rassistische Ausfälle bei Polizei und Bundeswehr aufhorchen.
Rechtsanwalt Daimagüler unterrichtet auch junge Beamte in Grundrechtsfragen, er beobachtet engagierten Nachwuchs, aber auch autoritäre Vorstellungen. Dagegen helfe nur Aufklärung und Weiterbildung: "Wer eine demokratische und effektive Polizei will – das kostet Geld. Aber das sollte es uns wert sein."
Es blieb bei diesem kurzen Aufflackern der Konstruktivität, das Schlusswort nahte. Es blieb natürlich Uwe Junge vorbehalten.
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