Erst Streit ums Heizungsgesetz, dann über die Kindergrundsicherung: Nun ist das Eckpunkte-Papier da. Bringt das Vorhaben der Ampel armen Familien wirklich etwas? Während der Ehrenpräsident des Kinderschutzbundes bei "Hart aber fair" deutliche Worte fand, sorgte eine alleinerziehende Mutter für Stille im Studio.
Es ist vermutlich das wichtigste sozialpolitische Projekt der Ampel. Ursprünglich wollte die Familienministerin
Das ist das Thema bei "Hart aber fair"
Die Ampel hat nach einer Nachtsitzung im Kanzleramt eine Einigung über Eckpunkte in Sachen Kindergrundsicherung erzielt.
Das sind die Gäste
Ricarda Lang (Grüne): Die Bundesvorsitzende sagte: "Ich bin nicht enttäuscht. Für mich ist das heute ein ganz klarer Fortschritt." Es gebe seit Jahrzehnten eine Diskussion über Kinderarmut in Deutschland. "Und jetzt geht die Ampel endlich voran und findet eine Antwort darauf", pries sie. Man gehe weg von einer "Holschuld", bei der Eltern stigmatisiert würden und sich durch einen Bürokratie-Dschungel kämpfen müssten, hin zu einer "Bringschuld" des Staates. "So wird aus kompliziert einfach. Aus ungerecht gerecht", so Lang.Serap Güler (CDU): "Ich halte es nicht für einen großen Wurf. Die Last-Minute-Einigung redet sich die Regierung jetzt schön. Arme Kinder brauchen faire Chancen und nicht einfach nur mehr Geld aufs Konto der Eltern", befand die CDU-Politikerin. Die einst veranschlagten 12 Milliarden Euro hätten kein Konzept und keine Berechnungsgrundlage gehabt. Die Pressekonferenz sei ein Ping-Pong-Spiel gewesen, wer sich durchgesetzt habe.- Stefan Kooths: Der Leiter des Prognosezentrums im Kieler Institut für Weltwirtschaft sah ebenfalls noch keinen Paradigmenwechsel: "Dafür müssten Steuer- und Sozialsystem neu ausgerichtet werden, um Hilfen besser mit Arbeitsanreizen zu verzahnen", sagte er. Man dürfe die Regelsätze nicht politisieren, sondern müsse sie von Experten berechnen lassen.
- Heinz Hilgers: "Man kann natürlich versuchen, Kinderarmut mit Pädagogik zu bekämpfen, aber damit bekämpft man die Kinderarmut der Zukunft", meinte der Ehrenpräsident des Kinderschutzbundes. Wenn es um die heutigen Kinder gehe, brauche man mehr Geld. "Für alles ist immer Geld da, nur nicht für Kinder. Die haben in keiner Partei eine starke Lobby", kritisierte er.
- Anna Mayr: Die Journalistin kritisierte: "Die Kindergrundsicherung ist wichtig und Einigung war überfällig. Am Ende schien es FDP und Grünen jedoch mehr ums Gewinnen zu gehen, als um die Inhalte der Eckpunkte." Wenn sie eine arme Familie in Deutschland wäre, wäre sie mit der Einigung nicht zufrieden. Es sei noch zu schwammig, wie genau das "sozioökonomische Existenzminimum" aussehen solle. Es sei ein emotionaler Unterschied, ob man Geld für Kinder vom Jobcenter oder von der Familienkasse bekomme. "Kinder sind nicht arbeitslos, sondern Familie", so Mayr.
- Andrea Zinhard: Als die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern berichtete, wurde es still im Studio: "Ich weiß, meine Tochter würde unheimlich gerne mal in ein Musical gehen. Das kann ich ihr nicht erfüllen. Das ist nicht drin. Wir müssen jetzt erst zusehen, wie wir ein iPad kaufen." Da gebe es beim Leistungs- und Teilhabepaket nicht einen Cent für. "Ihre Klassenkameraden haben schon alle ein iPad. Sie ist die einzige, die ohne geht." Wenn in einem Monat beide Kinder Schuhe bräuchten und ein Reifen vom Fahrrad kaputtgehe, "dann ist es wirklich dieses Klassische, es gibt nur noch Nudeln", sagte Zinhard.
Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber fair"
In Berlin fängt in diesen Tagen das neue Schuljahr an. Hilgers nutzte das für ein emotionales und anschauliches Beispiel. "Für die armen Kinder gibt es 116 Euro Schul-Starterpaket", sagte er. Davon müssten Tornister, Sportbeutel und alles, was darein kommt, bezahlt werden. "Allein was in den Tornister reinkommt, kostet 200 Euro", sagte er.
Man könne für 100 Euro keinen Schulrucksack bekommen, der gut für den Rücken der Kinder sei. "Der Durchschnitt der Bevölkerung gibt 900 Euro aus. Es gibt welche, die geben viel mehr aus", kommentierte er. Sein Schluss: "Es braucht mehr Geld. Mit dem Geld, was jetzt gezahlt wird, geht es nicht."
Zu einem späteren Zeitpunkt wurde Hilgers noch einmal ziemlich deutlich: Die meisten Eltern in armutsbetroffenen Familien seien erwerbstätig. "Nicht, weil sie den großen wirtschaftlichen Vorteil davon haben. Sondern ihre Motivation ist, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und die zweite große Motivation ist, ihren Kindern ein gutes Beispiel zu geben", so Hilgers. Zur Debatte über sie sagte er: "Das ist einfach respektlos." Die, die jeden Tag aufstehen würden, ohne wirtschaftlich etwas davon zu haben, seien die wahren Helden in der Gesellschaft.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Lang sprach über die Erhöhung des Kindergeldes. "Ich bin mir sicher, die Regelsätze werden steigen", kündigte sie an. Man müsse sie durch die Inflation um etwa 40 Euro anpassen. "Am Ende wird da deutlich mehr rauskommen", versprach sie. Hilgers schaltete sich dazwischen: "Aber Frau Lang, von der Erhöhung des Kindergeldes hat keine arme Familie etwas. Das wird komplett mit dem Bürgergeld verrechnet. Eine Erhöhung des Kindergeldes bringt ihnen keinen einzigen Cent", entlarvte er.
"Das stimmt", räumte Lang ein. "Kindergeld ist nicht die Antwort für Familien, die von Armut bedroht sind. Das, was man heute vorgestellt habe, sei nicht das Ende der Fahnenstange. Es sei ein Einstieg in den Kampf gegen strukturelle Kinderarmut.
So hat sich Louis Klamroth geschlagen
Schon die ersten beiden Fragen von Klamroth saßen. "Wie enttäuscht sind Sie?", wollte er von der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang wissen. Nach ihrer Antwort bohrte er bei einem anderen Studiogast nach: "Herr Hilgers, glauben Sie ihr, dass sie nicht enttäuscht ist?" Klamroth gelang an diesem Abend eine solide Moderation, die einerseits mit Fragen wie "Ist das jetzt der große Wurf?" und "Kinder, die jetzt Bürgergeld bekommen, bekommen in Zukunft nicht mehr Geld?" eine Einordnung des Ampel-Beschlusses lieferte und andererseits einfühlsam und emotional daherkam. So bewies er etwa Feingefühl, als er Studiogast Zinhard fragte: "Wie oft müssen Sie Ihren Kindern sagen 'geht nicht'?"
Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"
Eine gelungene Mischung aus faktenbasierter Diskussion und anschaulichen Beispielen aus dem Leben. Ein kleiner Wermutstropfen war es, dass kein Vertreter der FDP anwesend war – das machte das Bild unterm Strich unvollständig und nahm der Debatte ein wenig die Schärfe. Eine spannende Position brachte die bedürftige Andrea Zinhard mit in die Runde, als sie sagte: "Es ist falsch, wenn man bei einigen den Eltern das aufs Konto gibt, weil es kommt bei den Kindern nicht an." Diese Erfahrung habe sie bei anderen Empfängern gemacht. Hilgers hielt das für nicht in Ordnung und zahlenmäßig gering – man bevormunde die Menschen, wenn man alle wegen weniger Verstöße so kontrolliere wie Unternehmen bei der Steuerfahndung.
Verwendete Quellen:
- ARD: "Hart aber fair" vom 28.08.2023
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