Die Europawahl ist vorbei und die Parteien sind gefragt, ihre Konsequenzen aus den Ergebnissen zu ziehen. Die Ampel wurde abgestraft und kommt nur noch in wenigen Bezirken im Land auf eine Mehrheit. Kann sie sich noch einmal zusammenraufen? Beim Stimmungstest im Land äußerte sich bei "Hart aber fair" ein LKW-Fahrer, der für die derzeitige Politik kaum noch Worte fand – und das mit einem eindrücklichen Beispiel zeigte.

Eine Kritik
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Sie war der erste große Stimmungstest für die deutsche Politik in diesem Jahr: Die Europawahl. SPD und Grüne mussten deutliche Verluste hinnehmen, europaweit gewannen vor allem die Rechten dazu. Was bedeutet das Ergebnis für die Ampel und für die Opposition?

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Das ist das Thema bei "Hart aber fair"

"Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth und Lkw-Fahrer Jan Labrenz. © WDR/Oliver Ziebe

Nur noch in wenigen Bezirken im Land kommen die Ampel-Parteien auf eine Mehrheit. Reichen die Wahlergebnisse noch, um weiter zu regieren? Louis Klamroth sprach am Montagabend (10. Juni) mit seinen Gästen über gemeinsame Visionen der Koalition und Hürden, an denen sie zerbrechen könnte. Darüber standen die Fragen: "Platzt die Koalition oder kann sie sich nochmal zusammenraufen? Und: Was hält die Ampel noch zusammen?"

Das sind die Gäste

  • Juli Zeh: "Beschissene Kampagne", kommentierte die Schriftstellerin und Juristin die SPD-Kampagne. Es sei zu wenig gewesen, gegen rechts anzutreten. "Man muss für etwas antreten", sagte Zeh, die selbst SPD-Mitglied ist. Es sei jetzt zu einfach, nur von politischen Kommunikationsproblemen zu sprechen. "Wir brauchen klar formulierte Konzepte auf der inhaltlichen Seite. Politik ist keine Pädagogik, die Leute sind auch nicht blöd", meinte Zeh.
  • Serap Güler (CDU): "Man plakatiert den Kanzler zusammen mit der Spitzenkandidatin Katharina Barley als Friedenskanzler. Gleichzeitig sagt er über Wochen hinweg, er möchte nicht, dass mit westlichen Waffen auf russische Gebiete geschossen wird – und entscheidet sich wenige Tage vor der Wahl genau das zu tun. Das glauben die Menschen nicht mehr", sagte das Mitglied des Bundesvorstands.
  • Konstantin Kuhle (FDP): Der FDP-Politiker sagte: "Solche Ergebnisse, wie wir sie hier gesehen haben, legen die Axt an die Grundfesten unserer Demokratie. Deshalb würde ich mir von allen mehr staatspolitische Verantwortung wünschen." Es entspreche nicht den Tatsachen, dass nicht genug Geld im Bundeshaushalt vorhanden sei – es werde nur nicht abgerufen, da beispielsweise die Verfahren zu lange dauerten. "Es wird keine Aufweichung der Schuldenbremse geben", bekräftigte er.
  • Lamya Kaddor (Grüne): "Die jungen Menschen, die vor drei Jahren während der Corona-Krise 13 waren, sind heute 16 – dürfen heute wählen", erklärte die Bundestagsabgeordnete den Frust bei den jungen Wählerinnen und Wählern. Auf Social Media hätten nur polarisierende Inhalte eine Chance, differenzierte Betrachtungen seien in 30 Sekunden kaum möglich.
  • Philipp Türmer (SPD): Der Juso-Vorsitzende meinte: "Die Ampel-Koalition ist jetzt gefragt, endlich inhaltlich abzuliefern." Die Forderung, die Vertrauensfrage zu stellen, komme nur siegestrunken. Viele junge Menschen glaubten, das Aufstiegsversprechen gelte für sie nicht mehr. "Wir müssen das Aufstiegsversprechen erneuern. Dieser Aufgabe muss sich die Ampel dringend annehmen – das war der letzte Schuss vor den Bug", forderte er.
  • Helene Bubrowski: "Die Grünen haben sich dafür eingesetzt, das Wahlalter zu senken und jetzt haben sie sich damit ein echtes Eigentor geschossen", kommentierte die Journalistin die Wahlergebnisse bei den 16- bis 24-Jährigen. Die Erwartungshaltung an die Ampel sei nun, dass sie sich über die Haushaltsfrage nicht zerlege.
  • Wolfgang Niedecken: Der Musiker sagte über die Europawahl: "Ich habe es schlimm erwartet, aber nicht so schlimm." Den Erfolg der AfD erklärte er so: "Lügen fliegen und die Wahrheit humpelt hinterher." Es würden Versprechungen gemacht, die nicht eingehalten werden könnten. "Alle Demokraten sind aufgefordert, gemeinsam etwas dagegen zu tun", so Niedecken.
  • Emran Feroz: Der Journalist sagte mit Blick auf das Attentat von Mannheim: "Ich beobachte in den letzten Tagen, dass Afghaninnen und Afghanen kollektiv für diese Art von Terror verantwortlich gemacht werden." Dabei seien die meisten vor genau dieser Art von Terror geflohen. Es sei falsch und ein Verrat der eigenen Werte, mit den Taliban zusammenzuarbeiten. Sie würden nach Anerkennung lechzen, um ihr brutales Regime zu legitimieren.
  • Jan Labrenz: Der LKW-Fahrer sagte: "Ich platze gleich". Er kam auf Spesen zu sprechen. "Ich gehe jeden Tag sechs bis sieben Mal in meiner Schichtzeit auf Toilette und muss dafür jedes Mal einen Euro bezahlen. Abends vier Euro zum Duschen. Das bezahle ich aus eigener Tasche." Ein Antrag im Bundestag, der beinhaltete, dass er 2 Euro mehr am Tag bekommen würde, sei abgeschmettert worden. "Wenn Sie dann Ihre eigenen Diäten um 500 Euro im Monat erhöhen, weil ja alles so teuer geworden ist, kann ich darüber nicht lachen", sagte er sichtlich wütend.

Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber fair"

"Wir müssen uns klarmachen, dass diese dreiköpfige Zwangsehe nicht aus Liebe geschlossen wurde", erinnerte Schriftstellerin Zeh. Aufgrund ihrer Konstellation sei es für die Ampel nicht leicht "durchzuregieren" oder "voranzumachen". "Wir sind in einem Teufelskreis", betonte Zeh. Je mehr solcher Hybride es gebe, desto dysfunktionaler werde Politik. "Desto leichter ist es für die AfD zu sagen: Guckt mal, die kriegen nichts auf die Kette."

Wenn jetzt eine Wahl komme, habe man danach ein noch dysfunktionaleres Konstrukt, da es noch mehr AfD-Wähler geben würde. "Das wird eine noch schwächere Koalition mit noch mehr Problemen", prognostizierte sie. Die Idee, jetzt eine Vertrauensfrage zu stellen oder Neuwahlen zu machen, sei "geisteskrank". Zeh warnte: "Das ist brandgefährlich".

Das ist das Rede-Duell des Abends

Juso-Chef Türmer sagte: "Wir haben Investitionsbedarf in einer Größenordnung, den wir nicht so einfach mal aus dem Haushalt heraussparen können." Zu Kuhle gewandt sagte er: "Viele Menschen, die nicht deutlich über 10.000 Euro brutto verdienen, haben im Land derzeit eine Jobunsicherheit."

In Niedersachsen gebe es massenhaft Industriebetriebe, die von Insolvenz bedroht seien oder Mitarbeiter entlassen würden, weil sie im internationalen Wettbewerb nicht mehr mithalten könnten. Für eine gute Zukunft im Land müsse man investieren.

Kuhle konterte: "Ich habe den Unternehmer noch nicht getroffen, der sagt: 'Ich habe Sorge, meinen Betrieb aufrechtzuerhalten oder ich überlege ins Ausland zu gehen und deshalb müsst ihr jetzt die Schuldenbremse aufweichen.'" Die Unternehmer würden vielmehr sagen: Die Energiepreise sind zu hoch, die Lohnnebenkosten sind zu hoch, es gibt zu viel Bürokratie und zu lange Genehmigungsverfahren.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

So hat sich Louis Klamroth geschlagen

Klamroth stellte die Fragen, die sich aufdrängten ("Muss jetzt die Vertrauensfrage gestellt werden?" oder "Schafft die Ampel, es sich noch einmal zusammenzuraufen?"). Gerne hätte er dabei aber etwas konstruktiver sein dürfen. Das könnte dann so klingen: "Was bräuchte die Ampel, um eine gemeinsame Vision zu entwickeln?" oder "Wie kann Politik konkret Vertrauen zurückgewinnen?"

Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"

Es fehlte der Sendung insgesamt an Kontur – sie ließ sich am Ende nur schwierig mit wenigen Schlagworten überschreiben. Schuldenbremse, islamistischer Terror und die Klimakrise spielten ebenso eine Rolle wie der Umgang mit der AfD, Autobahn-Infrastruktur und Politik in Frankreich. Etwas mehr rote Linie hätte gutgetan.

Ergebnisse, die sich dennoch festhalten ließen: Es scheint unwahrscheinlich, dass die Ampel die Koalition platzen lässt. Das Streiten um des Streitens willen muss aufhören und Themen sollten neu priorisiert werden. Denn das wichtige Thema der Klimapolitik ist durch Corona und Kriege völlig in den Hintergrund getreten.

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Teaserbild: © WDR/Oliver Ziebe