Braucht Deutschland mehr Organspender? Oder wird der Mensch mit dem Reformvorschlag von Jens Spahn zum "Ersatzteillager" degradiert? In der Runde bei Frank Plasberg muss der Gesundheitsminister seinen Plan gegen scharfe Kritik verteidigen.

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Wer denkt schon gerne über den eigenen Tod oder den eines nahestehenden Menschen nach? Bei "Hart aber fair" ist der Zuschauer am Montagabend genau dazu aufgerufen.

Denn das sensible Thema Organspende steht auf dem Programm. Und das berührt jeden Einzelnen in seinen moralischen Überzeugungen.

Worum genau geht es bei "Hart aber fair"?

In Deutschland warten derzeit rund 9.400 Patienten auf ein lebensrettendes Spenderorgan - allerdings stehen zu wenig dieser Organe zur Verfügung. Die Möglichkeit, sich mit einem speziellen Ausweis zum Organspender nach dem eigenen Tod zu erklären, nutzen offenbar zu wenig Bürger.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will deshalb die sogenannte Widerspruchslösung: Jeder Deutsche soll nach seinem Tod zum potenziellen Spender werden - es sei denn, er hat zu Lebzeiten dagegen Widerspruch eingelegt. In 20 von 28 EU-Staaten gilt eine solche Regelung bereits. Doch in Deutschland ist das Vorhaben höchst umstritten.

Wer sind die Gäste?

  • Jens Spahn: Der Bundesgesundheitsminister verteidigt seinen Reformvorschlag entschieden - und ruft dazu auf, sich in die Lage von Menschen zu versetzen, die auf Spenderorgane warten: "Jeder von uns könnte morgen auf ein Organ angewiesen sein und jeder könnte voller Hoffnung sein." Die Widerspruchsregelung sei ein Eingriff in die Freiheit, räumt der CDU-Politiker in. "Aber ich finde das gerechtfertigt."
  • Annalena Baerbock: Die Grünen-Chefin hat mit Kollegen anderer Fraktionen einen Alternativvorschlag auf den Weg gebracht. Sie befürchtet, dass bei der Widerspruchslösung Menschen zu Organspendern werden, die das eigentlich nicht wollen - und schlägt stattdessen eine "verbindliche Abfrage" vor: Der Staat soll bei jedem Bürger nachfragen, ob er einer Organspende zustimmen würde. Das soll auf dem Amt geschehen, zum Beispiel bei der Beantragung des Personalausweises.
  • Werner Bartens: Der Mediziner und Wissenschaftsjournalist hat aus Überzeugung keinen Organspendeausweis. Er findet, der Staat dürfe einen Menschen nicht zwingen, sich mit einem so sensiblen Thema auseinanderzusetzen. Für ihn war es wichtig, dass der Körper seines Vaters nach dessen Tod noch intakt war. "Ich finde, dass die Unversehrtheit des Körpers nach dem Tod ein hohes Gut ist."
  • Michael Sommer: Der frühere Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds hat seiner Frau vor fünf Jahren eine Niere gespendet. Für sie und für ihn selbst seien das "fünf geschenkte Jahre" gewesen. Politisch trennen den SPD-Mann Sommer und den konservativen Christdemokraten Spahn Welten, in diesem Fall stellt sich Sommer aber hinter den Gesundheitsminister: Er ist klar für die Widerspruchslösung.
  • Ulrike Sommer: Neben dem früheren Gewerkschaftschef sitzt seine Frau. Die Journalistin findet es großartig, wenn Menschen zur Organspende bereit sind. Sie hat selbst von der Spende ihres Mannes profitiert. Doch sie könnte es nicht ertragen, dass ihrem Kind ein Organ entnommen wird, wenn es hirntot ist, das Herz aber noch schlägt. Deswegen ist sie dagegen, dass jeder Mensch ein potenzieller Spender wird. "Ich war gesegnet von Menschen, die bereit waren, mir eine Niere zu spenden. Aber man muss diese Entscheidung sehr bewusst treffen."

Was war das Rede-Duell des Abends?

Besonnen läuft die Diskussion ab, also dem Thema völlig angemessen. Von einem Duell zu sprechen, wäre daher unpassend. Trotzdem wird es stellenweise emotional. Ulrike Sommer wirft Jens Spahn vor, es gehe ihm nur darum, die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen. Weil es medizinisch möglich sei, mache man "jeden Menschen zu einem potenziellen Ersatzteillager", sagt Sommer. Das finde sie unredlich.

Unredlich finde er den Begriff Ersatzteillager, entgegnet Spahn. In der Tat passt ein so polemisches Wort schlecht in die ansonsten so sachliche Diskussion.

Was war der Moment des Abends?

Beeindruckend ist ein Interview gleich am Anfang: Die Studentin Chantal Bausch hat im Alter von zwölf Jahren nach einer Herzmuskelentzündung ein Spenderherz bekommen. Ihr Beispiel verdeutlicht, welch widersprüchliche Emotionen bei den betroffenen Menschen zusammenkommen.

"Das zerreißt einen", sagt sie über die Zeit, in der sie auf den Tod eines anderen Menschen warten musste, um weiterleben zu können. Bausch muss täglich Medikamente nehmen, damit das eigene Immunsystem das Fremdorgan nicht abstößt. Trotzdem spielt sie in der Bundesliga Hockey. Gerne hätte man von ihr in der Sendung noch mehr gehört.

Wie hat sich Frank Plasberg geschlagen?

Der Gastgeber führt durch die Sendung, ohne selbst allzu stark in Erscheinung zu treten. Das spricht auf jeden Fall für seine Moderation. Auch wie er selbst zu dem Thema steht, lässt Plasberg nicht durchblicken. Diese Zurückhaltung gelingt ihm sonst nicht immer.

Was ist das Ergebnis?

Ein emotionales Thema, veranschaulicht durch betroffene Menschen. Dazu Gäste mit festen Überzeugungen, die rücksichtsvoll diskutieren: Das Team von "Hart aber fair" beweist, dass man auch ohne rangelnde Gäste und ständiges Nachbohren eine spannende Talkshow über die Bühne bringen kann.

Nach dieser Sendung dürften einige Zuschauer auf dem Sofa weiterdiskutiert oder über ihre eigene Haltung nachgedacht haben. Und genau das ist es ja, was das Thema braucht.

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