Lockern oder noch ein Lockdown? Eine emotionale wie genervte Runde diskutierte bei Frank Plasberg über den Ist-Zustand der deutschen Corona-Politik. Besonders FDP-Generalsekretär Volker Wissing erwies sich als "Krawall-Onkel". Eine Ärztin warnte vor dem Einschleppen einer Virus-Mutation durch Mallorca-Urlauber. Und die Briten wussten schon 1944, was das Problem der Deutschen ist.

Eine Kritik
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Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder in Berlin über die weiteren Corona-Maßnahmen verhandelten, zog Frank Plasberg mit seinen Gästen bei "Hart aber fair" ein Resümee der deutschen Pandemiebekämpfung – und das fiel nicht sonderlich schmeichelhaft aus.

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Ob Impfen, Testen oder die Urlaubsregelung: Was läuft in Deutschland eigentlich schief und warum? Besonders die Frage, warum die Menschen nach Mallorca fliegen dürfen, aber auf Urlaub im eigenen Land verzichten sollen, erhitzte die Gemüter. Das Thema bei "Hart aber fair": "Der verschobene Frühling – dritter Lockdown statt weiter lockern?"

Das sind die Gäste

Karin Maag: Die Gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion plädierte für eine Verschärfung der geltenden Maßnahmen und stellte sich schützend vor Merkel und ihren Verschärfungskurs. Doch auch Maag hatte Schwierigkeiten, "dieses Mallorca-Öffnen zu erklären".

Es sei zwar juristisch korrekt, die Reisewarnung wegen der gesunkenen Inzidenzen aufzuheben. Aber nicht alles "was korrekt ist, ist auch geboten", schränkte die CDU-Frau ein. Am Ende einigten sich Merkel und Co. auf eine Testpflicht für Reiserückkehrer.

Volker Wissing: Der FDP-Generalsekretär und Wirtschaftsminister von Rheinland-Pfalz plädierte für stärkere Eigenverantwortung - ein altes FDP-Mantra - und keinen weiteren Lockdown oder gar Ausgangssperren. Freiheitseinschränkungen gelte es, "wo immer möglich zu vermeiden".

Wissing sprach sich auch dafür aus, dass über Ostern wieder Urlaubsreisen innerhalb Deutschlands möglich sein sollten - wenn entsprechend viel getestet wird - und dass sich das öffentliche Leben trotz steigender Infektionszahlen ein Stück weit normalisiert.

Die allgemeine Erwartung, dass die Ministerpräsidentenkonferenz, nicht ohne neue Freiheitseinschränkungen zu beschließen, auseinander geht, brachte ihn in Rage. "Ist das der Maßstab einer Konferenz? Wo sind wir denn da hingekommen?" Der Staat hat in seinen Augen weder beim Impfen, noch beim Testen geliefert.

Georg Mascolo: Für den Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung ist Deutschland "politisch an einem der schwierigsten Momente in dieser Pandemie angekommen". Die Leute hätten das Gefühl, dass der Staat nicht in Bestform ist.

Das führe auch in den Ländern zu einer schwierigen Dynamik, weil viele der Ministerpräsidenten enttäuscht seien, weil der Bund in Sachen Schnelltests, Impfstrategie oder Corona-Hilfen nicht geliefert habe. Es fehle zunehmend die Geschlossenheit, so Mascolo. Und er stellte vielleicht die deprimierendste Frage des Abends: "Wie wäre es gewesen, wenn wir vor sechs Monaten einen Impfstoffbeauftragten gehabt hätten?"

Elvira Rosert: Die Politikwissenschaftlerin ist Mitautorin des Strategiepapiers "No Covid". Rosert vermisst eine wirklich nachhaltige und konsequente Strategie, um die Pandemie "an der Wurzel zu packen". Es müsse ein konkretes Ziel ausgerufen werden statt "erneuter Durchhalteparolen".

Sie plädierte zudem für mehr Ressourcen, um einen erneuten Lockdown durchzustehen. So müssten Eltern die Möglichkeit bekommen, zusätzlichen Corona-Urlaub zu nehmen.

Sibylle Katzenstein: Die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Geriatrie kritisierte, dass das Land "nicht nur auf die Inzidenzen starren" dürfe, weil bei den besonders gefährdeten älteren Bürgern die Zahlen durch die Impfkampagne bereits sinken. Stichwort: Impfen.

Die Ärztin wünschte sich diesbezüglich eine Aufstockung der geplanten 20 Impfdosen pro Woche je Hausarzt und die Möglichkeit, flexibler, also nicht so streng nach den Vorgaben der ständigen Impfkommission, zu impfen. Reisen nach Mallorca lehnte sie ab, weil die dort vorhandene, gefährlichere Mutation, die zum ersten Mal in Brasilien festgestellt wurde, eingeschleppt werden könnte.

Das Rededuell des Abends

Wer hat bei der groß angekündigten Teststrategie eigentlich versagt - Bund oder Länder? In dieser Frage krachte es zwischen Karin Maag und Volker Wissing. "Nein, das ist schlicht falsch, Herr Wissing!“, empörte sich Maag lautstark.

Der FDP-Mann hatte behauptet, die Regierung - in Person von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) - habe die Tests den Ländern zugesagt und "nicht geliefert". "Nein, so war es nicht", rief Maag. Laut ihrer Sichtweise hätten es einige Länder selbst verbockt. Plasberg freute sich derweil über den Zwist zwischen Land und Bund.

Der Moment des Abends

Es war ein Einspieler fast am Ende der Sendung, der das ganze deutsche Elend in der Pandemiebekämpfung verdeutliche. Eine "Parabel", wie Plasberg es nannte. Gezeigt wurde ein Arzt, der mit einer speziellen Spritze, einer sogenannten Nullhohlraumspritze, sieben statt sechs Dosen Impfstoff aus einer Ampulle herausbekommt und eine Nutzungsgenehmigung erbat.

Was taten die Behörden? Anstatt sofort ihr Okay zu geben, wurde vier Wochen lang diskutiert und abgewogen, bevor das "Ja" kam. Fast 2.000 Menschen hätten in dieser Zeit zusätzlich geimpft werden können. Passend dazu präsentierte Plasberg kurz darauf einen Auszug aus dem Kriegshandbuch der Briten aus dem Jahr 1944. Darin heißt es über die Menschen zwischen Nordsee und Alpen: "Die Deutschen neigen zu Überorganisation."

So hat sich Frank Plasberg geschlagen

Der Moderator präsentierte sich launig-ironisch wie eh und je. Sollen wir uns nun zwei Wochen zuhause einschließen und "Zimmerpflanzen essen"?, fragte er Elvira Rosert halb ernst, halb spöttisch zu den geplanten Corona-Maßnahmen über Ostern. An einem Punkt lag Plasberg allerdings völlig daneben.

Dass sich mit Maag auch eine Vertreterin der Regierungspartei den Zuschauern stellte, kommentierte der Gastgeber mit Dankbarkeit, ja fast Unterwürfigkeit. Als müsste es nicht selbstverständlich sein, dass die Regierung - gerade in Krisensituationen - regelmäßig zu kritischen Fragen Stellung bezieht.

Das ist das Ergebnis

Deutschland hat die Pandemie-Bekämpfung seit dem Herbst verbockt, obwohl das Land anfangs noch für seine niedrigen Zahlen bewundert wurde. Vorschnell, wie wir rückblickend wissen. Die Pandemie halte Deutschland den Spiegel vor, wir seien nicht pragmatisch genug, lautete das Urteil von Georg Mascolo.

Das weitere Hangeln von einem halbherzigen Lockdown zum nächsten nannte er "teuer und ineffektiv". Den großen Wurf, wie Deutschland die Monate überstehen soll, bis die große Mehrheit der Bürger geimpft sein wird, konnte auch die Runde nicht präsentieren.

Einig war man sich bei einem Punkt: Eine große Rolle muss das flächendeckende Testen spielen, beispielsweise in den Schulen. Aber auch da gibt es zwischen den Bundesländern enorme Unterschiede in Herangehensweise und Geschwindigkeit. Die einen machen es schon zweimal die Woche, die anderen wollen erst nach Ostern einsteigen.

Roserts sehnlicher Wunsch, endlich "so etwas wie eine Strategie" zu bekommen, hat sich nicht erfüllt. Was Angela Merkel und die Ministerpräsidenten in der Nacht präsentierten, sah leider eher nach dem Hangeln von einem zum nächsten Lockdown aus. Die nächste Zusammenkunft ist am 12. April geplant.

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