Was steckt hinter der Gewalt in Chemnitz? Diese Frage stellte Sandra Maischberger in ihrer Polit-Talkshow nach den jüngsten Ausschreitungen. Technische Pannen und ein provozierender Gast machten es der Moderatorin nicht leicht, und doch ließ sich einiges lernen. Etwa, dass es wohl kein Zufall war, dass gerade in Sachsen der rechte Mob aufmarschierte, und diese Tatsache niemand ignorieren sollte.

Eine Kritik

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Was war das Thema?

Eigentlich sollte es an diesem Abend bei Sandra Maischberger um Plastikmüll gehen. So war es noch bis Mittwochvormittag angekündigt. Doch nach den Ereignissen der vergangenen Tage in Chemnitz hat die Redaktion ihre Pläne über den Haufen geworfen.

Nach der Tötung eines 35-jährigen Familienvaters, der bei einem Volksfest von zwei jungen Migranten erstochen worden sein soll, war es in der Stadt zu rechtsradikalen Ausschreitungen gekommen. Diese wollte Maischberger nun in ihrer Sendung aufarbeiten.

Wer waren Maischbergers Gäste?

  • Wolfgang Bosbach, CDU-Politiker und Ex-Bundestagsabgeordneter
  • Martina Renner, stellvertretende Parteivorsitzende der Linken
  • Tino Chrupalla, AfD Bundestagsabgeordneter aus Sachsen
  • Bettina Gaus, Journalistin der "taz"
  • Christoph Schwennicke, Chefredakteur des Politikmagazins "Cicero"
  • Toralf Staud, Rechtsextremismus-Experte und Autor
  • Zugeschaltet: Kurt Biedenkopf, CDU-Urgestein und ehemaliger sächsischer Ministerpräsident

Was war das Rede-Duell des Abends?

Je später der Abend, desto scharfzüngiger die Gäste: Das galt vor allem für AfD-Politiker Tino Chrupalla, einem Mann, der Gemeinschaftskunde und den Geschichtsunterricht in der Schule als "Ideologie" bezeichnet. An ihm zeigte sich, warum es jahrzehntelang unüblich war, Rechtspopulisten in Fernsehsendungen einzuladen.

Chrupalla weiß, wie er sein Publikum anspricht. Kritik an der AfD stetzt er gleich mit Kritik an besorgten Bürgern. Die Ausschreitungen in Chemnitz verglich er mit dem Umsturz 1989, Hetzjagden auf Menschen habe es nicht gegeben, und in der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung habe sich seit 2015 nichts verändert.

Ob das so stimmt, interessiert ihn nicht: Indem er Behauptungen ausspricht, schafft er Fakten. Zumindest bei seinen Anhängern.

Seine Kontrahentin Martina Renner von den Linken ist von einem Schulterschluss in der rechten Szene überzeugt. Sie verwies auf einen Tweet der AfD Hochtaunus, in dem zu einem Übergriff auf die Medien aufgerufen wird. "Wir habe die Straßenmobilisierung und wir haben den parlamentarischen Arm", glaubt Renner. "Die Distanzierungen sind immer sehr wortreich, aber sie haben mit der Realität überhaupt nichts zu tun."

Wie hat sich Sandra Maischberger geschlagen?

Die spontane Planänderung merkte man auch der Sendung an, die mit technischen Pannen begann. Zudem war in der ersten Hälfte der Sendung nur die Hälfte der Gäste anwesend: Tino Chrupalla, Bettina Gaus und Christoph Schwennicke saßen noch im Flieger fest und kamen erst später hinzu.

In einer schwierigen und teils improvisierten Sendung behielt Sandra Maischberger die Nerven. Einen starken Moment hatte die Moderatorin, als sie Chrupalla mit einem Tweet des AfD-Politikers Markus Frohnmaier konfrontierte und von einer Mitverantwortung der AfD an den Ereignissen in Chemnitz sprach.

Chrupalla versuchte sich herauszuwinden, konnte den Vorwurf, dass der Tweet einen Aufruf zur Gewalt darstellt, aber nicht entkräften.

Was war das Ergebnis?

Wer über die Ereignisse in Chemnitz spricht, muss über zwei verschiedene Ereignisse sprechen: Das eine ist der gewaltsame Tod eines Menschen. Wer die Täter waren, warum sie das taten, ob sie in ein Schema passen und wie solche Taten möglichst verhindert werden können, muss noch ermittelt werden.

Bei Maischberger ging es deswegen auch um Kriminalitätsstatistiken und die Flüchtlingspolitik. Das andere sind die rechten Demonstranten, die den Tod eines Menschen zum Anlass nahmen, ihrer Wut freien Lauf zu lassen, zu randalieren und unter anderem ihren blanken Hintern in eine Kamera zu halten. Das eine hat nur bedingt etwas mit dem anderen zu tun.

Nachdem Chemnitz mit hässlichen Bildern Schlagzeilen gemacht hat, sorgte sich Kurt Biedenkopf um das Image von Sachsen: "Was in Chemnitz passiert ist, ist schlecht für uns."

Der Ex-Ministerpräsident von Sachsen rief die Zivilgesellschaft dazu auf, sich gegen Rechts zu engagieren: "Wenn man das nur der Polizei und dem Staat überlässt, wird es nicht gelingen."

So habe sich Dresden bereits früher erfolgreich gegen eine "Invasion" von Rechten gewehrt, die die Erinnerung an den Tag der Zerstörung im Februar 1945 für ihre Zwecke nutzten.

Linken-Politikerin Martina Renner ärgerte sich über den Begriff "Invasion", den Biedenkopf verwendete: "Das suggeriert, da kommen Nazis von außerhalb in ein sauberes Sachsen." Dabei gebe es im Freistaat noch mehr Beispiele für rechte Gewalt, wie die Gruppe Freital oder der Hooligan-Aufmarsch in Leipzig Connewitz. Eine Verunglimpfung von Gegendemonstranten durch die sächsische Landesregierung gehört aus ihrer Sicht zu den Ursachen für das Erstarken der rechten Szene.

Ähnlich sieht das "taz"-Journalistin Bettina Gaus und kritisierte die Reaktion der verantwortlichen Politiker auf das Geschehen: "Der sächsische Ministerpräsident braucht bis Donnerstag, um nach Chemnitz zu reisen. Und der Innenminister redet über Cyberkriminalität!"

Auf die Frage von Moderatorin Sandra Maischberger, wie sich die rechten Demonstranten so schnell nach der Gewalttat vom Sonntag formieren konnten, hatte Rechtsextremismus-Experte Toralf Staud eine klare Antwort: "Weil diese Strukturen schon vorher da waren". Chemnitz sei nicht zufällig Ort eines solchen Geschehens geworden. In der Stadt existiere seit Jahrzehnten eine Neonazi- Szene.

Den Begriff "Chaoten" für diese Szene hielt Staud für verharmlosend: "Die verbreiten kein Chaos, die verbreiten ihren Plan: sie wollen die Macht erobern."

Seiner Meinung nach sei das Publikum in Chemnitz aber ein anderes als bei Pegida in Dresden gewesen: jünger und gewaltbereiter. "Hitlergrüße in dieser Zahl habe ich bei Pegida nicht gesehen."

Es hätten zwar nicht nur Sachsen und Ostdeutschland Probleme mit rechter Gewalt, hier würden sie aber durch jahrelange Versäumnisse der Politik verstärkt. Als Beispiele nannte Staud den Stellenabbau in der sächsischen Polizei und eine restriktive Sozialpolitik.

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