Kleinststaat vs. Kleinstaat bei "Maischberger": Luxemburgs Jean Asselborn liefert sich ein hitziges Wortduell zu Moria mit einem Parteikollegen von Sebastian Kurz. Fußballreporter Marcel Reif wird emotional.

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"Merde alors!", donnerte Jean Asselborn vor zwei Jahren Italiens Rechtsausleger Matteo Salvini vor versammelter EU-Mannschaft an den Kopf. Ein Ausraster, der mit "verflixt nochmal" äußerst verharmlosend übersetzt wäre, und Kenner des luxemburgischen Außenministers nicht verwunderte.

Der Polit-Veteran serviert seine Wortbeiträge für gewöhnlich roh, und so hielt er es auch an diesem späten Mittwochabend bei "maischberger. die woche" - was bei seinem österreichischen Gesprächspartner nicht gerade für gute Stimmung sorgte.

Geradezu enttäuschend harmonisch ging es dagegen beim Duell eines Fridays-for-Future-Aktivisten mit einer jungen Unternehmerin zu.

Das sind die Gäste bei "maischberger. die Woche"

In Sachen Corona lässt die Politik die Zügel etwas lockerer, "Cicero"-Chefredakteur Christoph Schwennicke findet das gut: "Jetzt kann man was ausprobieren." Ob es unbedingt Bundesliga-Fußball vor Fans sein muss, daran hat Schwennicke seine Zweifel, er hätte sich lieber eine breitere Diskussion um ein Konzept für die Schulen gewünscht: "Da werden die Prioritäten nicht richtig gesetzt."

Die lebende Kommentatoren-Legende Marcel Reif blickt mit Skepsis auf den Start der Bundesliga - vor allem angesichts der Bilder aus dem Rostocker Ostseestadion, wo am Wochenende 7.500 Fans Social Distancing über Bord warfen: "So wird das nicht funktionieren. Wenn das schiefgeht, ist Schluss mit lustig, dann sind die Stadien leer, das ist alternativlos."

Etwas spöttisch bewertet die Publizistin Jagoda Marinić den Versuch Armin Laschets, den gar nicht mal so überzeugenden CDU-Wahlerfolg in Nordrhein-Westfalen als Beleg für seine gelungene Corona-Politik zu verkaufen: "Ich finde, dass Herr Laschet das sehr oft und sehr gut macht, dass er denkt, er hat was gut gemacht."

Über die Gefahren des Klimawandels diskutierten die junge Unternehmerin Sarna Röser und der Klimaaktivist Jakob Blasel . Röser beschuldigte die "radikalen" Aktivisten von Fridays for Future, die Gesellschaft zu spalten.

Sie sehe auch die Notwendigkeit, etwas zu tun, aber: "Ich habe auch die Sorge, dass wir von der Klimakrise in eine Wirtschaftskrise rutschen und dann freitags ganz andere Demos erleben." Blasel hielt dagegen: "Wir wirtschaften unseren Wohlstand kaputt, das müssen wir aufhalten, und zwar radikal."

Und dann waren da noch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, Mitglied der Lëtzebuerger Sozialistesch Aarbechterpartei, und Lukas Mandl von der österreichischen ÖVP, quasi als Stellvertreter für Kanzler Sebastian Kurz zugeschaltet, die über Europas Asylpolitik debattieren sollten.

Das ist das Rededuell des Abends

Wenn es deftig zugeht in Österreichs Politik, ist schnell von "Kapfenberg gegen Simmering" die Rede, eine Anspielung auf den berühmten Satz des legendären Schausspielers Helmut Qualtinger: "Kapfenberg gegen Simmering – das nenn' ich Brutalität!"

Im Studio von Sandra Maischberger war es vor allem Asselborn, der die Härte ins Spiel brachte. Der Luxemburger hatte Sebastian Kurz vor einigen Tagen als "Missetäter" bezeichnet, der die erbärmliche Situation auf Moria zuallererst zu verantworten habe.

Unter Österreichs Ratspräsidentschaft, erklärt Asselborn nun Maischberger, habe sich 2018 die Solidarität in der Migrationspolitik erledigt. Ein Vorwurf, den ÖVP-Mann Mandl mit Argumenten kontert, die man quasi wortgleich auch schon aus dem Munde von Kanzler Kurz gehört hat.

Österreich betreibe eine Asylpolitik "mit Herz und Hirn" und habe zusammen mit Deutschland und Schweden die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Nur bei einer Zahl war der Spickzettel aus Wien für den EU-Mandatar Mandl offenbar veraltet: Dass Österreich 2020 schon 3.600 Kinder aufgenommen habe, hatte auch Kurz in den vergangenen Tagen behauptet – bis Journalisten recherchierten und feststellten, dass Kurz auch Asylbescheide aus vergangenen Jahren einrechnete, die Zahl in Wahrheit also geringer ausfällt.

An Details hält sich Asselborn ohnehin nicht auf, er greift die Haltung der Österreicher an: "Ich höre mir diese Litanei seit 2015 an, das hält kein Mensch aus. (…) Es werden permanent Menschen gerettet und nach Malta gebracht, dann geht die Kommission ans Telefon und fragt: Wer macht mit? Und fünf oder sechs Länder sind dabei. Und die Österreicher jodeln vielleicht durch die Gegend. Alle anderen Länder müssen schauen, was sie machen."

Mandls Antwort, frostig wie der nächste Handschlag zwischen Kurz und Asselborn: "Ich bitte, die Polemik zu unterlassen. Österreicherinnen und Österreich jodeln nicht, jedenfalls nicht, wenn es um ernste Themen geht. Und dieses Thema ist sehr, sehr ernst."

Das ist der Moment des Abends

Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen, diesen Satz hat Sebastian Kurz 2016 geprägt, und er bleibt aktuell. Fußballkommentator Marcel Reif kann die Fotos aus Moria aber nicht mehr ertragen.

Er sei "immer noch entsetzt und tief getroffen", erklärt der 70-Jährige, sonst ein Schnellredner, nun sichtlich auf der Suche nach passenden Worten, als auf dem Bildschirm hinter ihm das Bild einer weinenden Frau mit einem Baby auf dem Arm erscheint.

"Schauen Sie sich das an", sagt Reif. "Da soll ich über eine Quotenregelung nachdenken? Das krieg ich nicht hin. Das ist zivilisatorisches Versagen, kein humanitäres Versagen. Die Zivilisation Mensch versagt."

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Oft ist das Konzept von "maischberger. die woche" kritisiert worden, oft zurecht, weil im Running Sushi unter den Talkshows die Themenhäppchen allzu hastig vom Band gerissen und verschlungen werden. An diesem Mittwochabend teilte Maischberger ihre drei Themen Migration, Corona und Klimakrise in sinnvolle Portionen auf, so blieb Zeit zum Nachhaken und für ein bisschen mehr Tiefe als gewohnt.

Das ist das Ergebnis

Wer das Match Luxemburg vs. Österreich verfolgt hat, wird der viel beschworenen europäischen Lösung bei der Verteilung von Geflüchteten wohl keine große Chance einräumen.

Allerdings zeigt sich Kurz' Parteifreund Mandl optimistisch, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der nächsten Woche einen kompromissfähigen Vorschlag für eine Reform der Asylpolitik vorlegt.

Einer "flexiblen Solidarität" nach dem Motto "wer nicht aufnimmt, zahlt" kann Jean Asselborn aber nichts abgewinnen, weil dann die Akzeptanz in Ländern wie Deutschland schwinde. "Wenn nicht alle europäischen Länder mitmachen, fürchte ich, dass die Rechtskräfte Aufwind kriegen."

Wie man trotz sehr unterschiedlicher Auffassungen fair diskutiert, führte die junge Generation vor: Jungunternehmerin Sarna Röser und Klimaaktivist Jakob Blasel debattierten ernsthaft und sachlich über das Für und Wider des Emissionshandels, keine Spur vom "Unternehmerbashing", das Rösner bei Fridays for Future ortete.

SUVs wollte Blasel partout nicht verbieten, auch keine Kurzstreckenflüge, nicht mal den Fleischkonsum einschränken. "Der ist gar nicht so ein Verbotsmensch, wie Sie dachten", warf Maischberger amüsiert ein.

Es ist ja leider wirklich eine Seltenheit in einer Talkshow: Von Positionen überrascht werden, differenzierte Argumentationen hören, etwas Neues lernen. Aber manchmal klappt es eben doch.

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