Am Dienstagabend diskutierte Sandra Maischberger mit ihren Gästen über die aktuelle Lage im Ukraine-Krieg und lenkte den Blick dabei auf einen möglichen Kriegsausgang. Politikwissenschaftler Johannes Varwick fiel von Anfang an mit streitbaren Thesen auf, bis sich die Moderatorin gezwungen sah, ihm Kontra zu geben.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat erneut mehr Unterstützung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gefordert. Eine eindeutigere Positionierung sei geboten. Man brauche die Sicherheit, dass Deutschland die Ukraine unterstütze, sagte Selenskyj im "ZDF". Deutschland könne keinen Spagat versuchen zwischen der Ukraine und den Russland-Beziehungen.
Das ist das Thema bei "Maischberger"
Nun also doch: Nach langem Zögern kündigt Bundeskanzler
"Was bedeutet dieses Signal nun? Und was kann Scholz von seiner Reise mitbringen?" Das diskutierte
Das sind die Gäste
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Die ehemalige Bundesjustizministerin war sich sicher: "Mit Waffenlieferungen ist es weit eher möglich, Putin zu Verhandlungen zu bewegen, als ohne." Die Möglichkeiten zur Verteidigung reichten im Vernichtungskrieg nicht aus. "Putin hat Kriegsziele, von denen wir nicht wissen, wie weit sie gehen", erinnerte sie. Im Moment gebe es keinen Weg, mit Putin an einen Verhandlungstisch zu kommen, bei dem die Ukraine ein selbst bestimmter Staat bleibe. "Er ist nicht in dem Sinne geschwächt, dass er jetzt auf irgendwas eingehen müsste", so die Politikerin.
Johannes Varwick: "Waffenlieferungen tragen nur zu einer Verlängerung des Krieges bei", sagte der Politikwissenschaftler und beschrieb die aktuelle Lage als "schwerste Dilemma-Situation". Man brauche eine politische Lösung, mit der auch Russland leben könne. "Der Gedanke, mit dem Russland, wie es heute ist, einen Interessensausgleich hinzubekommen, ist sehr unpopulär, aber er ist notwendig", meinte Varwick. Derzeit finde ein Ritt auf der Rasierklinge statt. Man müsse den Konflikt einfrieren.
Wolfgang Grupp: Der Unternehmer und Trigema-Geschäftsführer sagte: "Wir dürfen uns als Staat und Gesellschaft nur abhängig von einzelnen Ländern machen, wenn wir ihnen voll vertrauen können. Als Unternehmer achte ich auch darauf, nur dann von einem Lieferanten abhängig zu sein, wenn ich mich zu 300 Prozent auf ihn verlassen kann." Auf Jahre seien die steigenden Energiepreise nicht durchhaltbar. "Unsere Wirtschaft wird enorme Probleme bekommen", war er sich sicher.
Elisabeth Niejahr: Die Publizistin sagte mit Blick auf Waffenlieferungen an die Ukraine: "Deutschland hat viel falsch gemacht durch die zum Teil sehr verkorkste Kommunikation." Niejahr erinnerte an die Helmlieferung, mit der Deutschland Spott auf sich gezogen hatte. Beim Thema verpflichtendes soziales Jahr sagte sie: "Unheimlich viele Menschen wollen mitdiskutieren, aber ich hätte noch sehr viele Fragen." Offen sei beispielsweise die Frage: "Was will man damit erreichen?" Wolle man eine Fachkräftelücke füllen oder gehe es um sozialen Zusammenhalt?
Hajo Schumacher: Der Journalist und Autor übte Kritik an der Regierung unter Olaf Scholz. "Wenn wir schwere Waffen liefern, dann sollten wir auch wissen, was damit passiert", sagte er. Kriegsziele und die Lieferung schwerer Waffen würden zusammenhängen. "Muss sie gewinnen, darf sie nicht verlieren? Sehr uneindeutig alles", kommentierte er. Scholz habe sich mit seinem Zaudern freiwillig und ohne Not zur Zielscheibe gemacht.
Das ist der Moment des Abends bei "Maischberger"
Politikwissenschaftler Varwick präsentierte die streitbarsten Thesen. "Die Ukraine war von Anfang an in einer Zwischenzone", sagte er. Russland habe sie als Sonderfall gesehen, der Westen habe das nicht richtig gelesen. "Die moralische Aussage von Frau Leutheusser-Schnarrenberger und von vielen anderen, auch von den ukrainischen Verantwortlichen, dass in der Ukraine jetzt die Freiheit Europas verteidigt wird, ist falsch", meinte er.
Man müsse einen Interessensausgleich in dieser komplizierten geopolitischen Zone erreichen ohne es so darzustellen, dass die Ukraine jetzt "die neue Front" sei. Sie sei ein Sonderfall, eine überlappende Einflusszone.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Das Rede-Duell des Abends spielte sich weniger mit Worten als vielmehr mit Mimik und Gestik ab. Denn schon als Politikwissenschaftler Varwick seine Analyse vorbrachte, verdunkelten sich die Gesichtszüge von Leutheusser-Schnarrenberger. "Wir sollten den Krieg vom Ende herdenken, dann landen wir möglicherweise in einem Krieg mit Russland und das gilt es, um fast jeden Preis zu verhindern", sagte Varwick.
Die FDP-Politikerin hob direkt ihren Finger und mahnte: "Um den Preis der Ukraine, des Bestands der Ukraine!" Varwick antwortete: "Das ist bitter für die Ukraine, aber wir sollten aussprechen, dass wir nicht identische Interessen mit der Ukraine haben", sagte er. Wenig später kritisierte Leutheusser-Schnarrenberger das Gerede von "Pufferzonen", man würde damit letztendlich die Aufgabe der Ukraine in Kauf nehmen. "Ihr Weg landet im Krieg mit Russland!", warf Varwick ihr vor.
So hat sich Sandra Maischberger geschlagen
Maischberger war aufmerksam und analytisch dabei, als sie fragte: "Ist es geschickt, dass Scholz nun doch in die Ukraine fährt?" oder "Passt ein Hitler-Vergleich?". Über weite Strecken war das ihr gewohnter Moderationsstil. Bis sie einschreiten musste. Ex-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger argumentierte gerade gegen einen "Frozen Konflikt", als Politikwissenschaftler Varwick von der Seite mit Blick auf die Ukraine kommentierte: "Sie ist sowieso verloren".
Maischberger ging sichtlich schockiert dazwischen: "Bei allem Respekt, aber es hören uns auch Ukrainerinnen und Ukrainer zu, das ist ein bisschen schwierig gerade", sagte sie. Varwick hatte direkt eine Antwort parat: "Das ist nicht schwierig, das ist die bittere Wahrheit". Hier hätte Maischberger ruhig noch einmal nachsetzen können.
Das ist das Ergebnis bei "Maischberger"
Es war geschickt, Varwick und Leutheusser-Schnarrenberger im Einzelgespräch zusammenzuführen, denn zwei Welten prallten aufeinander. Ein Plädoyer für das Einfrieren des Konflikts hier, die Forderung weiterer schwerer Waffenlieferungen dort. Ein Ergebnis dabei war aber, dass manche Fragen offenbleiben: Wann werden Verhandlungen möglich sein? Sollte man mit Putin weiter telefonieren? Wer kann was anbieten? Konkrete Antworten gab es kaum. Vielleicht ist es zum jetzigen Zeitpunkt einfach noch zu früh, um über das Kriegsende zu sprechen?
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