Einen erneuten Lockdown soll es nicht geben, wohl aber mehr Tempo beim Impfen – so die Pläne der neuen Ampelregierung. Auch eine berufsgruppenspezifische Impfpflicht wird diskutiert. Übersteht das Dreierbündnis seine erste Belastungsprobe? Ein Klinikdirektor wirft der Politik derweil bei "Maischberger – Die Woche" "Pandemie-Auszeiten" vor und schlägt Alarm.
SPD, Grüne und FDP einigen sich auf einen Koalitionsvertrag, die Corona-Zahlen in Deutschland klettern auf immer neue Rekordwerte. Österreich hat eine Impfpflicht bereits eingeführt, auch in Deutschland wird darüber hitzig debattiert. Bei "Maischberger – Die Woche" diskutiert Moderatorin Sandra Maischberger mit ihren Gästen über volle Intensivstationen, Fehler in der Kommunikation von Politik und Wissenschaft sowie über den ersten "Brocken" für das neue Dreierbündnis: Die Bekämpfung der Pandemie.
Das sind die Themen bei "Maischberger"
Grünes Licht für die Ampel: Am Mittwoch gaben die drei Koalitionsparteien SPD, Grüne und FDP bekannt, dass sie sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt haben. Welche Veränderungen erwarten Deutschland nun? Wessen Handschrift trägt der Koalitionsvertrag und wie ist das Dreierbündnis für die Belastungsprobe Pandemiebekämpfung aufgestellt? Fragen wie diese hatte
Zweites Hauptthema: Deutschland in der vierten Corona-Welle. "Ganz Deutschland ist ein einziger großer Ausbruch. Das ist eine nationale Notlage", hatte RKI-Chef Lothar Wieler noch in der vergangenen Woche festgestellt. Ist eine Impfpflicht angesichts der ersten ausgelasteten Intensivstationen unumgänglich und steuern wir auf eine Triage-Situation in Deutschlands Krankenhäusern zu?
Das sind die Gäste
"Es waren harte Diskussionen. Aber es gab keinen Punkt, an dem es kurz davor war, wie bei Jamaica zu werden", sagte der designierte SPD-Parteivorsitzende
Virologin Ulrike Protzer zeigte sich selbstkritisch. "Wir haben gewarnt – im Juli, im August, im September. Wir müssen selbstkritisch sagen: Vielleicht waren wir nicht laut genug", erklärte die Wissenschaftlerin. Eine Impfquote von 70 Prozent reiche nicht mehr aus. "Die neue Delta-Variante ist viel ansteckender. Die Quote an geimpften und immunen Menschen muss deshalb höher werden, damit die Pandemie sich selbst limitiert", sagte Protzer. Die neue Zielmarke seien 90 Prozent. Volle Stadien mit Menschen ohne Maske bereiteten ihr noch immer Bauchschmerzen. "Ich würde nicht ausschließen, dass man einen Lockdown braucht", sagte sie.
"Die Politik wollte hören, aber die Ratschläge waren vielstimmig und sehr unterschiedlich", bemängelte FDP-Generalsekretär
Verärgert über die Pandemie-Politik zeigte sich Manfred Wagner, Medizinischer Direktor des Klinikums in Fürth. "Die Politik nimmt sich immer wieder Auszeiten von der Pandemie – etwa im Wahlkampf oder bei Koalitionsverhandlungen", kritisierte er. Die Lage in den Krankenhäusern sei maximal angespannt. Die meisten Intensiv-Patienten seien ungeimpft oder alt mit multiplen Vorerkrankungen. "Wir haben Operationssäle und Stationen geschlossen, um Covid-Kapazitäten zu erweitern", berichtete Wagner. Eine Triage-Situation sieht er nicht kommen: "Das sage ich aber nicht, um zu beruhigen, sondern nur um zu zeigen, wie belastbar unsere Mitarbeitenden sind", betonte er.
"Eine Impfpflicht wird kommen", war sich der Journalist und Moderator Ulrich Deppendorf sicher. Der neue Koalitionsvertrag verspreche, dass sich die drei Parteien auf den Weg zum Erfolg machen wollten – die Pandemiebekämpfung sei aber die erste große Belastungsprobe. "Die Frage ist: Wie hält sie dem Druck von außen stand? Von der Industrie, von Fridays for Future, von Gewerkschaften", fragte sich Deppendorf. Der von der FDP verkaufte Sieg über das Finanzministerium könne auch nach hinten losgehen. "Das ist einer der unangenehmsten Jobs", meinte Deppendorf.
"Es waren wahnsinnige Unterschiede zu überbrücken. Der Koalitionsvertrag atmet diese Unterschiede", analysierte Wirtschaftsjournalistin Cerstin Gammelin. Zwar habe die FDP mit dem Finanz-, Justiz-, Verkehrs- und Bildungsministerium vier schwergewichtige Ressorts ergattert, aber: "In den Innereien des Koalitionsvertrags liegen viele Details, die sehr für die Grünen sprechen", meinte Gammelin. Auch sie sieht eine Impfpflicht kommen. "Es war Quatsch, das auszuschließen. Man kann in einer Pandemie, deren Verlauf man nicht kennt, keine Maßnahmen ausschließen", bemerkte die Journalistin.
Positiv überrascht vom Koalitionsvertrag war Blogger und Kolumnist
Das ist der Moment des Abends bei "Maischberger. Die Woche"
"Ich habe im August gesagt, es wird keine Impfpflicht geben, aber jetzt sehen wir, dass es immer mehr Impfdurchbrüche gibt. Wir sehen, dass die Delta-Variante um sich greift", räumte Lars Klingbeil ein. Die Debatte habe sich weiterentwickelt, eine Debatte über eine Impfpflicht in ausgewählten Berufen sei richtig. "Ich finde, dass man als Politiker seine Meinung zu solchen Themen ändern kann", meinte Klingbeil.
Der Blogger und Kolumnist Sascha Lobo kritisierte ihn dafür scharf: Das, was in der Vergangenheit geäußert worden sei, sei keine Meinung gewesen, sondern ein Versprechen. "Das ist ein zentraler Unterschied", betonte Lobo. Es sei eine politisch falsche Entscheidung gewesen, ohne Not auf breiter Front eine Impfpflicht auszuschließen.
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Das ist das Rede-Duell des Abends
Es war besonders ein Satz, der Lobo im Koalitionsvertrag überrascht hat: "Wir haben Lust auf Neues". "Es ist gut, dass da so etwas drinsteht. Wir bewegen uns auf eine neue Epoche zu", meinte Lobo.
"Und Sie fallen auf so einen Satz herein?", wollte Maischberger wissen. "Nein, der Satz ist ja hinterlegt mit Inhalten", entgegnete Lobo. Skeptisch zeigte sich aber auch Journalist Ulrich Deppendorf: "So etwas ist nichts Neues für einen Koalitionsvertrag, da wird immer in die Zukunft geschaut", meinte er.
So hat sich Sandra Maischberger geschlagen
In Sachen Koalitionsvertrag rückte Moderatorin Maischberger ihren Gesprächspartnern ganz schön auf die Pelle. Ob FDP-Chef Christian Lindner auf der Ausgabenbremse sitzen werde, wo das Geld ohne Steuererhöhungen herkommen solle und ob Olaf Scholz am Ende die Frauenquote der FDP in seinem "gesamtparitätischen Kabinett" wieder auffüllen müsste, löcherte sie beispielsweise Klingbeil.
Während sie in Sachen Regierungspolitik noch zu Scherzen aufgelegt war – mit Klingbeil alte Piercing-Fotos analysierte oder Wissing über seine Schwierigkeiten, das "Du" anzubieten befragte, zeigte sich Maischberger im Gespräch über die aktuelle Corona-Lage deutlich bedrückter: Vielleicht sei Jens Spahn mit seinem Satz, am Ende des Winters werde jeder geimpft, genesen oder gestorben sein, "ja auch einfach nur ehrlich" gewesen, erklärte die Moderatorin.
Das ist das Ergebnis bei "Maischberger"
Einig war sich die Runde: Das Pandemiemanagement ist die erste große Belastungsprobe für die kommende Regierung. Auch um die Debatte einer Impfpflicht wird sie kaum noch herumkommen: Die Runde vor Ort sprach sich mehrheitlich dafür aus. "Wenn wir dafür die Normalität im Alltag zurückgewinnen, finde ich das gut", sagte Gammelin.
Seitens der Wissenschaft gab es nochmals eine klare Warnung: "Wir müssen alle Register ziehen", sagte Virologin Protzer. Der Impferfolg lasse bei Geimpften nach, der Anteil an Ungeimpften sei immer noch zu hoch. Insgesamt: Etwas mehr Streit, Diskussion und hitzige Debatte hätte es unter den Gästen am Mittwochabend geben können. Größtenteils herrschte Einigkeit.
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