Sachlich diskutiert die Runde bei Maybrit Illner über die jüngsten Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Vor allem die Experten streiten über eine Frage: Ist es noch sinnvoll, Kontakte von Corona-Infizierten nachzuverfolgen?

Eine Kritik
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Schon über den Begriff der Woche lässt sich streiten: Bundes- und Landesregierungen haben sich am Mittwoch für einen erneuten Lockdown des öffentlichen Lebens entschieden.

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Aber ist die Bezeichnung angebracht? Schließlich bleiben Schulen und Läden offen, andere Staaten haben sehr viel härtere Maßnahmen verhängt. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans hat am Donnerstagabend bei Maybrit Illner keine Probleme mit dem drastischen Begriff: "Fakt ist: Das ist schon ein Lockdown, den wir jetzt haben."

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Die Runde hält sich also nicht mit Begrifflichkeiten auf, sondern diskutiert: angenehm sachlich, zielorientiert - und trotzdem engagiert.

Wer sind die Gäste bei Maybrit Illner?

Melanie Brinkmann: "Es gibt nur blöde Wege aus dieser Pandemie heraus", sagt die Virologin der Technischen Universität Braunschweig und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung.

Nun müsse sich aber jeder an die anstehenden Kontaktbeschränkungen halten. "Dann sehe ich sehr optimistisch auf die nächsten vier Wochen."

Andreas Gassen: Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist anderer Meinung. "Ich glaube nicht, dass sie zum Erfolg führen", sagt der Arzt über die geplanten Maßnahmen.

Denn nach dem November sei die Pandemie noch keineswegs durchgestanden. "Dann haben wir noch zwei, drei Monate Winter – also Hochzeit für Viren – vor der Brust."

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Robert Habeck: Der Grünen-Vorsitzende wirft den Blick schon auf die Zeit nach dem Lockdown: "Die Frage ist doch: Wie verhindern wir, dass es in den drei, vier Wochen nach Weihnachten wiederkommt?"

Habeck fordert einen besseren Schutz von Risikogruppen auch außerhalb von Altenheimen, kleinere Schulklassen und bessere Luftreinhaltesysteme.

Tobias Hans: Der Ministerpräsident des Saarlands (CDU) verteidigt den Teil-Lockdown, der die zweite Infektionswelle brechen soll. "Die kommenden vier Monate werden die härtesten in der Pandemie. Aber danach besteht zumindest Hoffnung, dass wir das besser hinkriegen."

Ute Teichert: "Jetzt haben wir einen Flächenbrand", sagt die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitswesens über die aktuelle Corona-Lage in Deutschland.

"Und den kriegen wir nur unter Kontrolle, wenn wir alle mitmachen und Kontakte reduzieren."

Was ist das Rededuell des Abends?

Die wichtigste Diskussion führen ausnahmsweise nicht die Politiker, sondern die Gesundheitsexperten. Den Aufschlag macht Ärzte-Vertreter Andreas Gassen, der mit den Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit gerade die geplanten harten Maßnahmen kritisiert hat.

Sie fordern unter anderem einen verstärkten Schutz von Risikogruppen und eine Ampel für regionale Maßnahmen anstelle eines Lockdowns. "Wir richten hier Kollateralschäden an, die weit über die virale Bedrohung hinausgehen", meint Gassen - und erwähnt nebenbei, er sei der einzige Arzt in der Runde.

Das kann die aus Düsseldorf zugeschaltete Ute Teichert nicht auf sich sitzen lassen. Erstens sei sie auch Ärztin. Zweitens wendet sie sich gegen die Idee, dass die Gesundheitsämter die Kontaktverfolgung der Corona-Infizierten bleiben lassen sollen. "Wenn wir dieses gute Pfund aus der Hand geben, dann haben wir überhaupt keine Erkenntnisse, keine Daten, keine Pandemiekontrolle mehr."

Andreas Gassen hält es aber auch für falsch, nur auf die Zahlen der Neuinfektionen zu schauen. Stattdessen müsse man auch andere Zahlen – zur altersmäßigen Verteilung der Infizierten oder zur Belegung der Krankenhäuser – in regionalen Daten bündeln. Eine Ampel könne dann für jede Region angeben, welche Maßnahmen angebracht sind.

Auf den Haken an der Sache macht Ministerpräsident Tobias Hans aufmerksam: In der aktuellen Situation bringen eine Ampel und regional unterschiedliche Maßnahmen auch nicht viel, denn das Infektionsgeschehen ist fast flächendeckend hoch: "Die Ampel wäre überall auf Rot."

Was ist der Moment des Abends?

Was bedeuten die kommenden vier Wochen für unseren Umgang untereinander? Auf diese Frage weist Grünen-Chef Robert Habeck zu Recht hin.

Ihn beunruhige, dass Politiker die Menschen jetzt auffordern würden, sich gegenseitig anzuzeigen: "Wenn das bayerische Kabinett auffordert, dass Nachbarn die Nachbarn bespitzeln, dann überschreitet Politik das, was sie eigentlich tun sollte", findet Habeck.

Politik müsse ein Wir-Gefühl und kein Ich-Gefühl herstellen. "Wir kommen hier nur durch, wenn wir Vertrauen schaffen."

Was ist das Ergebnis?

Es ist ein Dilemma mit dem Coronavirus. Die Pandemie hat Deutschland so stark im Griff, dass eine Talksendung am Thema derzeit nicht vorbeikommt. Gleichzeitig wird schon so viel über das Virus und seine Bekämpfung gesprochen, gesendet und geschrieben, dass die Floskeln und Aufrufe vielen Zuschauenden inzwischen zu den Ohren rauskommen dürften.

Auch in dieser Sendung ließe sich mit hinlänglich bekannten Corona-Weisheiten gut Bingo spielen: Wir haben es in der Hand. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Wir müssen alle mitmachen. Hilft es trotzdem, die Menschen immer wieder daran zu erinnern? Dann hätte die Sendung sicherlich ein wichtiges Ziel erreicht.

Abgesehen von diesen immer wieder gleichen Beschwörungen beweist die Runde aber, dass sich über das Coronavirus und seine Bekämpfung konstruktiv streiten lässt. Es geht gesittet zu, die Gäste lassen sich ausreden – und bringen trotzdem unterschiedliche Einschätzungen auf den Punkt.

Für das Gesamtbild wäre es sicherlich sinnvoll gewesen, auch Vertreter der Wirtschaftsbranchen einzuladen, die unter den November-Maßnahmen besonders leiden werden.

Allerdings werden diese hoffentlich auch in den kommenden Wochen noch zu Wort kommen. Denn auch das ist so eine Erkenntnis, die einem leider besonders auf die Nerven geht: Das Coronavirus wird uns noch lange beschäftigen.

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