Der Bundeswirtschaftsminister trifft bei "Maybrit Illner" auf den geballten Zorn der Unternehmer. Sympathiepunkte sammelt derweil der Oberbürgermeister von Rostock.

Eine Kritik
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Peter Altmaier ist nicht zu beneiden. Der Bundeswirtschaftsminister zieht derzeit den Zorn der Lockdown-geplagten Unternehmen auf sich. Zudem blamiert sich sein Haus mit zu langsam fließenden Hilfsgeldern.

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Am Donnerstagabend sieht es in der ZDF-Talkrunde bei Maybrit Illner auch nicht besser aus. Alle auf Altmaier, lautet das unausgesprochene Motto der Gäste.

Das sind die Gäste bei Maybrit Illner

  • Peter Altmaier: Der CDU-Politiker ist zwar Bundeswirtschaftsminister (CDU). Doch als Mitglied der Bundesregierung trage er auch Verantwortung für die Gesundheit von 82 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, betont er. Deswegen will er die Infektionszahlen weiter senken, statt jetzt den Lockdown zu lockern. "Es bringt ja nichts, wenn wir öffnen und vier Wochen später wieder im Lockdown sind."
  • Dagmar Rosenfeld: "Wir sind Lockdown-fixiert", kritisiert die Chefredakteurin der Tageszeitung "Die Welt". Dabei sei die Schließung von Geschäften und Schulen nicht alternativlos – Länder wie Frankreich, Italien und Österreich würde das gerade vormachen, so Rosenfeld. "Mit einer Teststrategie und guten Hygienekonzepte kann man wieder ein Stück Leben ermöglichen."
  • Katarina Witt: Die ehemalige Eiskunstlauf-Olympiasiegerin und heutige Sportstudio-Betreiberin hat sich vor kurzem auf Facebook ihren Frust von der Seele geschrieben. Sie fordert fairere Lockdown-Bedingungen, gerade für kleinere Unternehmen. "Ich verstehe, dass die Menschen verzweifelt sind. Es geht einfach ums nackte Überleben."
  • Sina Trinkwalder: Die Augsburgerin hat ein Textilunternehmen gegründet. Doch sie wirbt in dieser Sendung weniger für die eigene Branche. Viel mehr bräuchten jetzt Solo-Selbstständige, Kreative oder Gastronomen Unterstützung und Perspektiven. "Die Kleinen – die brauchen wir. Denn die würden uns unheimlich fehlen."
  • Siegfried Russwurm: Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie kritisiert, dass man zu wenig darüber wisse, wo sich die Menschen besonders häufig mit dem Coronavirus ansteckten. "Dass wir das nach einem Jahr nicht verfolgen können, finde ich wirklich enttäuschend – und das passt nichts ins 21. Jahrhundert."
  • Claus Ruhe Madsen: Der Oberbürgermeister von Rostock hat es mit seiner Stadt stabil unter den Grenzwert von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen geschafft. Er will Alternativen zu den aktuellen Maßnahmen ausprobieren. "Es wird eine dritte, vierte, fünfte Welle geben. Dafür brauchen wir Wissen. Die Antwort darf nicht immer sein: Wir brauchen einen Lockdown."

Das ist der Moment des Abends

Wer sich noch gefragt hat, warum die Rostocker einen parteilosen dänischen Unternehmer zum Stadtoberhaupt gewählt haben, erhält an diesem Abend die Antwort: Claus Ruhe Madsen trifft den richtigen Ton und vermittelt mitten im Lockdown-Winter Optimismus und Hoffnung. Er tritt für Alternativen zur aktuellen Situation ein, ohne die Pandemie-Bekämpfung in Frage zu stellen.

Madsen schlägt zum Beispiel vor, Geschäfte wieder mit Terminvergabe zu öffnen. Außerdem will er die Kontaktnachverfolgung über QR-Codes ermöglichen, statt sie den Gesundheitsämtern zu überlassen. "Lasst uns doch schlauer als ein Virus sein. Wir sind Gesundheitsamt", ruft er.

Möglicherweise hätte der Oberbürgermeister sogar Bundeskanzler-Qualitäten. Würden wir uns noch in der Vor-Corona-Zeit befinden, wäre ihm der Applaus des Studio-Publikums sicher. In dieser Runde besorgt das Katarina Witt, die feststellt: "Herr Madsen hat eigentlich alles gesagt, wir können nach Hause gehen."

Das ist das Rededuell des Abends

Besonders "Welt"-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld hat es auf den Wirtschaftsminister abgesehen. "Unverzeihlich" sei die langsame Auszahlung von Unternehmenshilfen, schimpft sie. "Die eigene Partei ist mit Ihnen unzufrieden, Herr Altmaier."

Der Minister bittet, man möge die Diskussion "rational und ruhig" führen. Wenn Unternehmen und Freiberufler lange auf Unterstützung warten, dann tue ihm das "im Herzen weh". Der Staat muss Altmaier zufolge aber sicherstellen, dass öffentliche Gelder an diejenigen fließen, die es wirklich brauchen. Außerdem ist er der Meinung: "Wenn man etwas kritisiert, dann muss man auch sagen, wie man es hätte besser machen können." Ein Argument, das Dagmar Rosenfeld nicht überzeugt: "Es ist doch nicht Aufgabe der Bürger oder der Unternehmer, wie sie eine zugesagte Hilfe bekommen."

Altmaier hat es an diesem Abend wirklich nicht einfach. Selbst Moderatorin Maybrit Illner wirft ihm Vertrauensbruch vor. Den schärfsten Angriff fährt aber Textil-Unternehmerin Sina Trinkwalder: Sie kritisiert, dass große Konzerne wie Daimler Kurzarbeitergeld kassieren und dann am Ende des Jahres blendend dastehen. Kleine Betriebe dagegen lasse der Stadt hängen. "Ich habe das Gefühl, nur ein Einziger ist hier richtig voll im Lockdown. Und das ist das Wirtschaftsministerium, und zum zweiten das Finanzministerium: Lieber nix machen als das Falsche – das ist jetzt in dieser Situation absolut nicht das Richtige."

Das ist das Ergebnis

Die Kritik von allen Seiten verfehlt ihr Ziel nicht. Es entsteht der Eindruck, als falle einer mut- und fantasielosen Bundesregierung wirklich nichts anderes mehr ein als der Lockdown.

Unterhaltsam ist das Altmaier-Tribunal allemal. Doch es ist natürlich ein Stück weit ungerecht. Schließlich gibt es aus gesundheitlicher Sicht gute Gründe, die Infektionszahlen möglichst weit zu senken.

Doch der Bundeswirtschaftsminister muss allein kämpfen: Ein Virologe oder eine Virologin ist an diesem Abend nicht im Studio. Dabei sind die Infektionsexperten in den Politik-Talkrunden inzwischen doch so unvermeidlich wie Altmaier selbst.

Es ist dann der Rostocker Bürgermeister, der die Wogen wieder ein bisschen glättet. "Ich glaube, dass Herr Altmaier nicht jeden Morgen aufsteht, um Unternehmen ärgern", sagt Claus Ruhe Madsen. "Er steht morgens auf, um seinen Job gut zu machen." Da lächelt auch der gebeutelte Herr Minister wieder ein bisschen. Und Madsen sammelt weitere Punkte auf der Bundeskanzler-Skala.

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