Wie schlagkräftig ist die ukrainische Armee noch und wie groß sind ihre Chancen, den Krieg zu gewinnen? Darum ging es bei Maybrit Illner am Donnerstagabend. Während Verteidigungsminister Boris Pistorius meinte, nichts sei zu spät geliefert worden, erklärte ein Sicherheitsexperte, welche zwei Wunderwaffen die Ukraine besitzt. Als es um Putin ging, benannte eine Journalistin die Eine-Millionen-Dollar-Frage.
Ab Freitag, 21. April, trifft sich die Ukraine-Kontaktgruppe wieder im rheinland-pfälzischen Ramstein. Auf der Agenda: Panzer, Jets, Munitionsnachschub und die "Leaks" der US-Geheimdokumente. Sie zeichnen ein pessimistisches Bild der ukrainischen Streitkräfte und ihrer Lage im Krieg.
Das ist das Thema bei "Maybrit Illner"
Wie steht es um die ukrainische Armee und die geplante Frühjahrsoffensive?
Dabei ging es um zugesagte militärische Hilfen, die Rolle des Westens und Deutschlands sowie um die Frage: "Ist sich Deutschland mit den Osteuropäern und den USA über die Strategie einig?"
Das sind die Gäste
Boris Pistorius (SPD): Der Bundesverteidigungsminister sagte: "Die Ukraine ist am Ende der souveräne Staat, der entscheiden muss, welche Linie die richtige ist." Die Ukraine brauche nun vor allem Unterstützung bei der Luftverteidigung und werde diese wohl auch in Ramstein erbitten. "Sie werden sicherlich das Thema Jets wieder aufbringen, da sind wir als Bundesregierung weitgehend raus", sagte Pistorius.- Roderich Kiesewetter (CDU): Es komme in Ramstein sehr darauf an, dass die Europäer ein Zeichen der Geschlossenheit setzen, meinte der Außenpolitiker. "Durch die Leaks wird transatlantisch ein Keil getrieben, ob wir wollen, oder nicht", erklärte Kiesewetter. Die größten Herausforderungen für die Ukraine beschrieb er mit "Logistik, Versorgung, Instandsetzung und die unterschiedliche Ausbildung". Durch die Option zum Nato-Beitritt könne man der Bevölkerung Zuversicht geben.
- Alice Bota: Die "Zeit"-Journalistin sagte: "Die russischen Verluste sind enorm. Die Technik ist aufgebraucht." Die Leaks würden zeigen, dass die Situation für beide Seiten sehr schlecht aussieht. Aus Gesprächen gewinne sie den Eindruck, dass der Westen die Ukraine so ausstattet, dass sie Territorien zurückgewinnen kann – um sie dann an einen Verhandlungstisch zu bringen.
- Frank Sauer: "Es gab Vorbehalte in Washington. Und es gab auch Vorbehalte in Kiew. Die sind natürlich jetzt noch größer geworden", sagte der Sicherheitspolitik-Experte mit Blick auf die veröffentlichten Geheimdokumente. Man sollte die Informationen aber nicht überbewerten – sie seien einige Monate alt und kämen nur von einer Institution in den USA. Die Ukraine habe "zwei Wunderwaffen": Die eigene Moral und die russische Inkompetenz.
- Frederik Pleitgen: Der CNN-Korrespondent sagte: "Wenn die USA ihre Unterstützung untersagen, dann ist ganz Europa drauf und dran, dass die Unterstützung auseinanderfällt." Er glaubt, dass die "russische Armee immer noch viel gefährlicher ist, als viele Leute das denken". Die ukrainische Armee habe aber gezeigt, dass sie besser und motivierter ist.
Das ist der Moment des Abends
Pleitgen sprach über die Diskrepanz zwischen öffentlicher und privater Meinung in Russland. Er berichtete von Russen, die ihm gesagt hätten: "Es läuft nicht gut. Wir müssen das so schnell wie möglich beenden." Die Menschen hätten Angst vor einem weiteren Wirtschaftsabschwung und einer Massenmobilisierung.
Da fragte Illner: "Ein Machtkampf innerhalb Moskaus um Putin herum, der Putin selbst aber nicht beschädigt?" Die Antwort kam von Journalistin Bota: "Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage." Früher habe man noch erkennen können, wer wo stand.
"Wir wissen es derzeit einfach nicht. Der Kreml war schon vorher eine Blackbox und er ist es seit dem 24. Februar vergangenen Jahres noch in einem viel stärkeren Maße geworden", sagte die Journalistin. Fest stehe, dass es Kämpfe in der Elite gibt. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Putin sein Amt in den kommenden Monaten in irgendeiner Form aufgeben wird."
Das ist das Rede-Duell des Abends
Der Bundesverteidigungsminister befand: "Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendetwas zu spät geliefert worden ist. Es hätte vielleicht gutgetan, das ein oder andere früher zu liefern." Die ukrainischen Partner würden sagen, sie "hätten nichts zu beklagen". Am Anfang hätten sie gerne mehr schneller gehabt, aber er schäme sich nicht für das, was entschieden worden sei.
"Das sehen die Ukrainer durchaus anders", widersprach Journalistin Bota. Die Gesellschaft und die Politik hätten einen enormen Weg zurückgelegt, dass mehr geliefert wurde. "Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das alles sehr viel Zeit gekostet hat. Wir haben diese Zeit, die Ukrainer haben sie nicht", betonte sie. Die menschlichen Verluste auf ukrainischer Seite seien auch deshalb so hoch, weil es an Ausrüstung gefehlt habe. Experten würden noch immer sagen: "Es reicht nicht."
Kiesewetter kommentierte rückblickend: "Die Bevölkerung war viel weiter als die Regierung." Pistorius betonte noch einmal: "Niemand in der Ukraine zweifelt an der Loyalität Deutschlands, an der Bereitschaft zu liefern, was immer lieferfähig ist."
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Maybrit Illner lieferte am Donnerstagabend eine solide Moderation ab. Sie fragte beispielsweise "Wem schaden die Leaks am meisten?" oder "Wie lang ist unser Atem?". Die Runde lief an diesem Abend von selbst, die Moderatorin musste kaum eingreifen und nur gelegentlich die Bälle weiterspielen.
Einziges Manko: Manche Fragen, die Illner stellte, waren von vornherein für die Gäste kaum zu beantworten – etwa, wie es um das Vertrauen zwischen Washington und Kiew bestellt ist.
Das ist das Fazit
Dass sich die Zweifel an Kiews Schlagkraft in der Runde zerstreut hätten, wäre zu viel gesagt. Aber: Es herrschte zumindest Zuversicht, dass die Gegenoffensive der ukrainischen Armee gelingen kann. Dass die Unterstützung des Westens noch lange anhalten wird, darüber war man sich einig.
Fraglich nur: mit welcher Intensität? Ein Thema, welches in Zukunft ganz klar noch häufiger auf den Tisch kommen muss: Sicherheitsgarantien für die Ukraine.
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