"Wir müssen erbarmungslos sein": Frankreichs Präsident Francois Hollande hat den Terroristen des Islamischen Staates (IS) den Krieg erklärt. In der wohltuend nüchternen ARD-Talksendung "Menschen bei Maischberger" wird klar, dass Bomben auf Syrien ein komplexes Problem nicht lösen können. Doch was ist die Alternative?

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Nach dem Terror in Paris ist auch in Deutschland die Nervosität groß. Am Dienstag wurde das Freundschaftsspiel in Hannover zwischen der deutschen Nationalmannschaft und der Niederlande von der Polizei abgesagt. Es gab einen "ganz konkreten Verdacht", dass jemand im Stadion eine Bombe zünden wolle, berichtet der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach bei "Menschen bei Maischberger". Dieser habe sich im Laufe des Tages immer weiter erhärtet.

Ein weiterer Gast in der Sendung war Sportreporter Tom Bartels. Er kommentierte am vergangenen Freitag in Paris das Spiel Deutschland gegen Frankreich, während sich Attentäter vor dem Stadion in die Luft sprengten. "Ich glaube nicht, dass es jedem Spieler heute leicht gefallen wäre, zu spielen", sagt er.

Die Entscheidung von Hannover unterstützt Bartels: "Die Sicherheit geht über alles." Wenn sie nicht gewährleistet werden kann, sollte seiner Meinung nach "im Extremfall" auch die Europameisterschaft im kommenden Jahr ausfallen.

Krieg gegen den Terror?

Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres ist Frankreich von Terrorangriffen des Islamischen Staates (IS) erschüttert worden. Francois Hollande wählte nun drastische Worte. "Frankreich ist im Krieg", sagte der französische Präsident am Montag in Versailles. Er will sein Land in den Kampf gegen den IS führen. Dabei hat er auch die europäischen Partnerländer um Hilfe gebeten.

Maischbergers Gäste schlagen deutlich ruhigere Töne an. Der Nahostexperte Ulrich Kienzle erklärt, dass viele die "Wahnvorstellung" hätten, "dass in Syrien die Endschlacht zwischen Gut und Böse stattfindet". Er wendet sich aber gegen Stimmen, die Parallelen zum Zweiten Weltkrieg ziehen oder vom Dritten Weltkrieg sprechen: "Gegen diese Hysterisierung müssen wir etwas unternehmen."

Hans-Ulrich Jörges, Journalist beim "Stern", deutet die jüngsten Anschläge des IS als ein Zeichen von Schwäche der Terrormiliz: "Sie reagieren so, weil sie unter Druck geraten." Trotzdem glaubt er, dass es in Syrien bald Bodentruppen geben werde: "Kein Krieg ist aus der Luft zu gewinnen."

Doch nach den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan sind die westlichen Regierungen beim Einsatz am Boden noch zurückhaltend. Ist der Terror überhaupt mit militärischen Mitteln zu besiegen?

"Dies ist der komplizierteste Konflikt der Welt"

Die Runde sieht andere Lösungen. Die Unterstützer und Geldgeber des IS müssen stärker in den Blick genommen werden, hier sind sich alle einig. Eine Schlüsselrolle hat dabei die Türkei. "Die erfolgreichsten Bodentruppen gegen den IS sind die Kurden, aber sie werden von der Türkei bekämpft", klagt Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir.

"Dies ist der komplizierteste Konflikt der Welt", meint Nahostexperte Kienzle. Zu viele Staaten und Gruppen würden gegensätzliche Interessen in der Region verfolgen und sich bekämpften. "Es ist ein fast unlösbares Problem."

Die Verantwortung dafür liege auch in Deutschland. "Unser Lebensstil ist unehrlich", prangert Marion von Haaren, Berlin-Korrespondentin der ARD, an. Zu oft würden aus wirtschaftlichen Interessen "verlogene Verträge" geschlossen. Doch die würden auf Ungleichheit beruhen. Auch der enge Handelspartner Saudi-Arabien werde nicht hinterfragt.

"VIP-Ticket ins Paradies"

"Wir haben immer noch nicht begriffen, dass wir eine Ideologie bekämpfen", mahnt der zugeschaltete Terrorismus-Experte Asiem El Difraoui. Man könne zwar Osama bin Laden töten, aber die Umstände, in denen Terrorismus entsteht, blieben erhalten. "Wie gehen wir an die Wurzeln?", fragt er.

El Difraoui präsentiert auch einen Lösungsansatz. Die sozioökonomische Situation für viele Menschen im Nahen Osten müsse verbessert werden, fordert er. Außerdem werden in Europa Jugendliche, die außerhalb der Gesellschaft stehen, zur leichten Beute für Dschihadisten. Sie versprechen ihnen ein "VIP-Ticket ins Paradies", erklärt der Terror-Experte. "Viele Sinnsuchende fallen darauf rein." Der Islamismus sei auch eine Jugendkultur, eine Form der Rebellion.

Um wirksam dagegen vorgehen zu können, brauche es Selbstkritik, viel Mühe und Geduld. Je komplexer ein Problem, desto bequemer erscheinen einfache Antworten - etwa die Schuld beim Islam zu suchen. "Diejenigen, die gegen Muslime sind, fühlen sich jetzt bestätigt", glaubt "Stern"-Journalist Jörges.

Grünen-Politiker Özdemir kann sie zum Teil sogar verstehen. Der IS berufe sich auf den Islam und wolle eine Schreckensherrschaft errichten. "Der Islam, mit dem ich aufgewachsen bin, war viel mit Lachen verbunden", erzählt er. "Der IS bekämpft aber diesen Islam."

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