Inflation, Fachkräftemangel, steigende Kosten: Als einziges Industrieland befindet sich Deutschland 2023 in einer Rezession. Wird Deutschland wieder zum kranken Mann Europas? Hilft ein Industriestrompreis jetzt weiter? Und was wird eigentlich für die Bürger getan, um die Lasten zu schultern? Die Ökonomen sahen ganz unterschiedliche Katastrophenszenarien – und warnten auch vor einer psychologischen Gefahr.
Kanzler
Das ist das Thema bei "Illner"
Es herrscht Krisenstimmung in der deutschen Wirtschaft: Inflation, stagnierendes Wachstum, schrumpfende Industrieproduktion, ausbleibende Investitionen. Und dann fehlen auch noch Fachkräfte, die Energiekosten sind hoch und eine überbordende Bürokratie macht das Leben schwer. Unter dem Titel "Deutschland abgehängt – warum wächst die Wirtschaft nicht?" diskutierte
Das sind die Gäste
- Claus Ruhe Madsen (CDU): Der Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein sagte über die deutsche Wirtschaftslage: "Ich würde nicht vom kranken Mann Europas, möglicherweise vom dicken Mann sprechen." Man sei überladen, träge und langsam und müsse wieder in die Trainingshosen einsteigen. "Wir spornen nicht dazu an, dass wir Innovation aufgreifen und dass wir ein bisschen Mut haben", kritisierte er. Man sei versunken in "German Angst". Das Gefühl der Unternehmer sei, dass Deutschland keinen Plan und keine Strategie habe.
- Marie-Christine Ostermann: "Wir sind von den Kosten her viel zu teuer, zu hohe Energiepreise, der krasse Arbeitskräftemangel", zählte die Unternehmerin auf. Man habe seit über 15 Jahren keine strukturellen Reformen erlebt, die Deutschland wieder wettbewerbsfähig gemacht hätten. "Meine Arbeitnehmer sagen, dass sich Arbeit für sie viel zu wenig lohnt. Sie müssten viel mehr Netto vom Brutto letzten Endes auf dem Konto haben für die ganzen Anstrengungen", kritisierte Ostermann.
- Marcel Fratscher: Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte: "Meine große Sorge heute ist: Ich finde es sehr interessant, dass wir sehr gut darin sind, uns schlecht zu reden. Wirtschaft hat viel mit Psychologie, mit Vertrauen zu tun." Unternehmer würden nicht investieren, wenn sie nicht das Vertrauen hätten, dass es wirtschaftlich eine gute Perspektive gibt.
- Veronika Grimm: "Es gibt die Gefahr, dass wir aus dieser Krise nicht so dynamisch herauskommen, wie wir uns das gewünscht haben", räumte die Ökonomin und Wirtschaftsweise ein. Es gelte, aus dem Krisenmodus herauszukommen und die strukturellen Probleme anzugehen. Dazu zähle die Infrastruktur, geopolitische Risiken und der Fachkräftemangel.
- Verena Hubertz (SPD): "Natürlich sind gerade alle angespannt. Wir müssen sehen, wo wir herkommen, wir hätten in einer ganz anderen Krise sein können", sagte die stellvertretende Bundestagsfraktionsvorsitzende. Man könne sich aber nicht zufriedengeben, es gebe einen Investitionsrückstau. "Wir müssen schneller werden", forderte Hubertz. Man dürfe nicht sechs Jahre für ein Windrad brauchen, sondern sechs Monate.
Das ist der Moment des Abends bei "Maybrit Illner"
Illner stieg ein mit der Frage: "Warum trifft es ausgerechnet Deutschland jetzt so hart? Warum sind ausgerechnet wir von den Industrieländern die, die nicht wachsen?" Ökonomin Grimm erklärte: "Wir haben eben eine sehr energieintensive Industrie, das hat uns stark gemacht. Aber das führt auch dazu, dass wir sehr viele Transformationsherausforderungen haben." Die energieintensive Industrie müsse sich neu erfinden.
Daraufhin wollte Illner wissen, ob die Menschen dadurch ärmer würden. "Ich glaube, es ist schon so, dass wir sehen müssen: Wir können nicht so weitermachen wie bisher", sagte Grimm. Man müsse eine Veränderungsbereitschaft in der Bevölkerung auslösen. "Wir werden jetzt nicht die hohen Energiekosten weg fördern können und dann so weitermachen wie bisher", warnte sie. Man müsse beispielsweise höhere Zuwanderung auslösen als bisher.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Es ging um das Thema Industriestrompreis. Illner erinnerte daran, dass Uneinigkeit in der Ampel herrscht und es auch sein kann, dass der Industriestrompreis nicht kommt. "Wie groß wäre diese Katastrophe?", fragte sie SPD-Frau Hubertz. Die entgegnete: "Das wäre eine Riesen-Katastrophe, weil es jetzt um den Wirtschaftsstandort Deutschlands geht." Natürlich müsse man auch etwas dafür tun, dass die kleinen und mittelständischen Unternehmen entlastet würden. Aber alternativ die Stromsteuer zu senken "das wäre Gießkanne, das wäre für alle", sagte Hubertz. "So ist es ein Soli für die Großindustrie. Das kriegen sie verkauft zuhause?", kommentierte Illner.
Hubertz stritt ab. "Es ist ein Soli für eine gezielte Wirtschaftsförderung, da, wo man ansonsten den Laden dichtmacht. Wie viele Kleine hängen denn an den Großen?", fragte sie. Da schaltete sich Unternehmerin Ostermann ein: "Aber man muss die Subventionen finanzieren. Da stehen Zahlen von 30 Milliarden oder noch mehr im Raum!"
All die anderen Unternehmen müssten die Subventionierungen über höhere Schulden und dann höhere Steuern finanzieren. "Das ist eine ganz krasse Wettbewerbsverzerrung für den breiten Mittelstand", warnte sie. Politik müsse allen Unternehmen – unabhängig von Größe und Branche – ermöglichen, wettbewerbsfähig zu sein. Zusammengefasst: "Es wäre eine viel größere Katastrophe, wenn dieser Industriestrompreis käme."
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Illners Moderation war mehr darauf ausgelegt, Verständnis zu schaffen und Zusammenhänge zu analysieren, als zu provozieren. Dennoch stieg sie recht bissig ein, als sie Hubertz fragte: "Sind die Unternehmerinnen und Unternehmer, die Sie so treffen, genauso begeistert wie Olaf Scholz von der Arbeit der Ampel?"
Die SPD-Frau nahm Illner später noch einmal in die Mangel, als sie sagte: "Nochmal der Blick auf den Bürger, also die Menschen im Land, die jetzt nicht für die Schwerindustrie oder die alte Großindustrie im klassischen Sinne stehen. Der zahlt einen sechsmal höheren Preis als diese fünf oder sechs Cent, die Sie vorschlagen – zusätzlich zu allen anderen Kosten, die er gerade trägt. Wie erklärt eine Sozialdemokratin ausgerechnet das?"
Das ist das Ergebnis bei "Illner"
Das war eine recht technische Debatte am Donnerstagabend und ein gewisses wirtschaftliches Verständnis war vonnöten, um ihr angemessen zu folgen.
Festhalten ließ sich: Transformation war das Stichwort des Abends – es kann strukturell im Land nicht so bleiben, wie es ist. Gleichzeitig gab Fratzscher aber zu: "In gewisser Weise reden wir alle mit viel Unsicherheit." Und Hubertz räumte ein: "Man muss natürlich auch ehrlich sein. Wir haben jetzt schon die Debatte der Bäcker gegen die Großindustrie. Wir müssen natürlich sagen: Wir können nicht alles künstlich irgendwie unterstützen."
Verwendete Quellen:
- ZDF: Sendung "Maybrit Illner" vom 31.08.2023
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