Investoren haben offenbar Arztpraxen als Geldanlage für sich entdeckt. Verbände und Gesundheitsminister Lauterbach schlagen deswegen Alarm. Die Befürchtung: Das Patientenwohl könnte in von Investoren aufgekauften Praxen in den Hintergrund geraten. Doch so klar ist die Sache nicht.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Thomas Pillgruber sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein kurzer Blick, zwei, drei Sätze und schon steht man wieder auf dem Flur der Arztpraxis. Manchmal mit einem Rezept in der Hand. Andere Male genauso schlau wie vor der Untersuchung. Berichte darüber, dass sich Ärzte zu wenig Zeit für ihre Patienten nehmen, gibt es immer wieder.

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Für Betroffene, die dadurch verunsichert sind, ist das mindestens ein Ärgernis. Kritiker befürchten, dass mangelhafte Patientenversorgung in Deutschland immer mehr zu einem Geschäftsmodell wird.

Denn: Das deutsche Gesundheitssystem ist ein Milliardenmarkt. Das haben auch Investoren erkannt, die seit Jahren vermehrt Arztpraxen in Deutschland aufkaufen. "Investoren greifen zunehmend nach Arztpraxen in Deutschland", konstatierte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach etwa Anfang 2023 auf X, damals noch Twitter. "Schon bei den Fallpauschalen dominiert oft Profit die Medizin. Das brauchen wir nicht in den Praxen"

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Angst vor auf Profit getrimmten Arztpraxen

Was Lauterbach und Branchenkenner umtreibt, ist vor allem die Sorge, dass Investoren die Praxen auf Profit trimmen und deshalb weniger auf das Wohl der Patienten geachtet wird. Zwar können Praxen nicht einfach mehr für ihre Leistungen abrechnen. Was eine Behandlung kosten darf, ist in den sogenannten Gebührenordnungen festgeschrieben. Aber auch durch indirekte Maßnahmen lassen sich die Profite erhöhen.

Zum Beispiel, indem Patienten im Schnelldurchgang abgefertigt werden, um mehr Behandlungen pro Tag zu schaffen. Oder indem man sie zu unnötigen Operationen drängt, obwohl schonendere, nichtinvasive Methoden vielversprechender wären.

Kritiker sehen vor allem die Gefahr, dass sich investorengeführte Praxen verstärkt auf die Behandlung von besonders lukrativen Leiden konzentrieren könnten. Eine Sorge, die auch den Bundesrat umtreibt. Schon jetzt würden Investoren einen "Fokus auf gut skalierbare und umsatzsteigernde Leistungen" legen, heißt es in einem Beschluss der Länderkammer aus dem Juni. Oder anders gesagt: auf Profitmaximierung.

Das ist auch deshalb problematisch, weil sich dadurch die Versorgungslage für Menschen, die weniger gewinnbringende Behandlungen benötigen, verschlechtern könnte.

Verband: "Regulierung des Investorentreibens" ist "überfällig"

Natürlich: Wer das Gefühl hat, dass sein Arzt ihm vielleicht nicht die beste Betreuung zukommen lässt, kann sich zwar stets eine zweite Meinung einholen. Doch wer dabei bei einem Mediziner landet, der für denselben Geldgeber – sprich Investor – arbeitet und deshalb ebenfalls eher profitorientiert auf das Problem blickt, gewinnt nicht viel.

Auch Mediziner selbst sehen die Entwicklung mit wachsender Sorge. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) teilt etwa auf Anfrage unserer Redaktion mit, dass man seit Jahren "auf die bedrohliche Zunahme versorgungsfremder Investoren in der Zahnmedizin" und die "negativen Folgen für die Versorgung" dadurch hinweise. Eine "Regulierung des Investorentreibens" sei ihr zufolge "überfällig".

Das zeigt sich in einigen Bereichen schon heute. So sind laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vor allem Augenarzt- und Zahnarztpraxen oft in Investorenhand. In manchen Regionen könne man laut NDR sogar schon von "monopolartigen Strukturen" sprechen. Und transparent machen müssen Praxen bislang nicht, dass sie einem Investor gehören.

Medizinische Versorgungszentren als Einstiegsmöglichkeit von Investoren

Bereits Ende 2022 hatte Lauterbach mit Blick auf den Aufkauf von Arztpraxen von einem "fatalen Trend gesprochen." Und das, obwohl Investoren Privatpraxen eigentlich nicht kaufen dürfen. Zumindest nicht direkt.

Um zu verstehen, wie es trotzdem zu diesem Ausverkauf kommen kann, muss man sich die sogenannten Medizinische Versorgungszentren (MVZ) genauer ansehen. MVZ kann man sich wie große Gemeinschaftspraxen vorstellen – mit dem Unterschied, dass hier Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten. Anders als in klassischen Privatpraxen sind die Mediziner aber meist bloß Angestellte und nicht Träger des MVZ.

Die Trägerschaft können hingegen unter anderem Kommunen und Krankenhäuser übernehmen. Und weil Investoren Kliniken übernehmen dürfen, können sie über diesen Umweg nicht nur MVZ gründen oder aufkaufen. Sondern auch Arztpraxen darin integrieren oder sie zu Ketten zusammenzufassen.

Dass Investoren so immer mehr Einfluss auf die medizinische Versorgung bekommen, sieht auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) kritisch. Man beobachte die Situation "mit Sorge", teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Doch gleichzeitig warnt die KBV davor, die MVZ unter Generalverdacht zu stellen. Schon jetzt würden diese "einen wichtigen Beitrag zur ambulanten Versorgung" leisten.

Unzureichende Datenlage für ein Gesamtbild

Dass man den investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) nicht pauschal Profitgier zulasten ihrer Patienten unterstellen kann, weiß man auch im Bundesgesundheitsministerium. Selbst wenn der Ton von Karl Lauterbach in der Debatte es anders erscheinen lässt.

Die Sache ist allein deshalb schon nicht so einfach, weil es keine exakten Zahlen gibt, wie viele Arztpraxen und MVZ sich in Investorenhand befinden. Das Bundesgesundheitsministerium konnte entsprechende Daten auf Nachfrage unserer Redaktion nicht vorlegen und verweist auf die Kassenärztliche Bundesvereinigung.

Doch dort kann man lediglich bestätigen, dass "die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren in Deutschland (…) in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen" ist. Eine Aufschlüsselung, welcher Teil davon im Besitz von Investoren ist, kann man aber nicht vorweisen. Auch welche "Investoren letztlich dahinterstehen" könne die Kassenärztliche Bundesvereinigung in Bezug auf die Medizinischen Versorgungszentren nicht sagen.

Und auch wenn sich in der Vergangenheit immer wieder Ärzte zu Wort meldeten, die sich von Investoren unter Druck gesetzt gefühlt hätten, die Profite für die Praxen hochzutreiben: Handfeste Belege dafür, dass das systematisch passiert, hat das Bundesgesundheitsministerium nicht.

Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion aus dem Januar hervor. Die Union wollte darin wissen, ob die Bundesregierung Hinweise habe, dass "die Funktion des ärztlichen Leiters in iMVZ durch die Renditeorientierung der MVZ-Träger kompromittiert wird."

Die Antwort des Bundesgesundheitsministeriums: Man habe keine Erkenntnisse dazu, dass "diese Aufgabe in investorenbetriebenen MVZ unzureichend" erfüllt würden.

MVZ-Betreiber fühlen sich vorverurteilt

Darauf verweist auch der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV) in einem offenen Brief aus diesem Jahr. In dem Verband sind nur Medizinische Versorgungszentren organisiert, deren Kapital von nichtärztlichen Investoren kommt. Und diese sehen sich vorverurteilt. Man werde "in der Öffentlichkeit allein aufgrund der Tatsache, dass wir unseren Beruf in MVZ ausüben, die in (…) Inhaberschaft nichtärztlicher Kapitalgeber stehen, geringgeschätzt."

Man übe den Beruf "mit gleicher Leidenschaft und Hingabe zur Patientin und zum Patienten aus" wie jeder andere Mediziner, heißt es in dem Schreiben, das von 200 Mitgliedern unterzeichnet wurde. Vorwürfe, man würde "Patientinnen und Patienten bewusst schlechter versorgen" oder "überhöhte Abrechnungen stellen", weist der Verband scharf von sich.

Eine Studie des Berliner IGES-Instituts im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) zeichnet hingegen ein anderes Bild. Für die Analyse aus dem Jahr 2021 werteten die Autoren Abrechnungsdaten der KVB aus den Jahren 2018 bis einschließlich 2019 aus.

Diese zeigten demnach, dass MVZ in Investorenhand im Schnitt deutlich höhere Honorare abrechnen als alle anderen. Dieser Unterschied sei "allein auf das Merkmal der Eigentümerschaft zurückzuführen".

Der BBMV streitet das ab. Die höheren Abrechnungen würden sich nur deshalb ergeben, weil man die Untersuchung auf bestimmte medizinische Fachgebiete beschränkt habe. Das Gesamtbild würde hingegen zeigen, "dass es keine nennenswerten Unterschiede gibt".

Gesetzesentwurf lässt auf sich warten

Eigentlich hatte Gesundheitsminister Lauterbach via "Bild" bereits Ende 2022 angekündigt, man werde den "Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen" beenden. In der SZ legte er im Februar dieses Jahres nach und kündigte an, iMVZ "unterbinden" zu wollen.

Doch vielleicht ist die komplizierte Gemengelage der Grund, warum es um diese Vorhaben zuletzt still geworden ist. Ursprünglich wollte Lauterbach bereits im ersten Quartal dieses Jahres einen Gesetzesentwurf zur strengeren Regulierung von Investoren im medizinischen Bereich vorlegen. Doch das ist noch immer nicht passiert.

Wie das Gesundheitsministerium auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, könne man derzeit auch keine konkreten "Informationen zum Regelungsinhalt und zum Zeitplan" des Gesetzes machen.

Lauterbachs Parteikollege Dirk-Ulrich Mendes hält es auch nicht für möglich, die markigen Worte des Gesundheitsministers in die Realität umzusetzen. Dessen Aussagen seien ohnehin "überinterpretiert worden", wie der SPD-Politiker laut einem Bericht des Ärzteblatts erklärte.

Mendes, der auch im Gesundheitsausschuss des Bundestages sitzt, könne sich zudem keine "juristisch tragfähige Lösungen" für ein vollständiges Verbot von iMVZ vorstellen. Man habe in der SPD auch "nicht vor, MVZ zu schließen".

Verwendete Quellen




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