- In Folge des Kriegs in der Ukraine erleben russischstämmige Menschen in Deutschland immer häufiger Anfeindungen .
- Politiker zeigen sich besorgt und rufen zur Besinnung auf.
- Woher kommt der Hass? Und gibt es auch positive Signale?
Der Krieg in der Ukraine bringt auf der einen Seite große Solidarität gegenüber Geflüchteten mit sich. Gleichzeitig mehren sich Berichte über Anfeindungen gegenüber in Deutschland lebenden Russen oder Menschen mit russischen Wurzeln.
So berichtet etwa das SWR-Magazin "Report" von einem Supermarkt in Oberhausen, bei dem eine Scheibe zerstört und der Eingang beschmiert wurde. Dass es sich dabei um keinen Zufall handelt, zeigen Schmierereien wie "Putin ist ein Mörder".
Das ZDF wiederum berichtet von einem Restaurant in Baden-Württemberg, bei dem Gäste mit russischem Pass nicht willkommen gewesen wären. Am Münchner Universitätsklinikum hätte eine Professorin gar die Behandlung russischer Patienten abgelehnt.
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Auch wenn beide sich später entschuldigt haben, zeigen diese Fälle, wie aufgeheizt die Stimmung teilweise ist. Als Reaktion richtete die russische Botschaft in Deutschland eine E-Mail-Adresse ein, über die Betroffene Fälle von Mobbing, Belästigung, Drohungen, Angriffen oder physischer Gewalt melden können.
Laut Website der russischen Botschaft seien dort in nur drei Tagen mehrere hundert Nachrichten eingegangen.
Anfeindungen von Russen: Politiker rufen zu Mäßigung auf
Inzwischen rufen auch Politiker dazu auf, Anfeindungen zu unterlassen. So stellte Bundesinnenministerin
CDU-Generalsekretär Mario Czaja sagte mit Bezug auf russische Mitbürger: "Die Angriffe auf sie, Pöbeleien gegen sie sind nicht in Ordnung. Dagegen müssen wir gemeinsam vorgehen."
Bundesaußenministerin
Antirussische Ressentiments mögen als unmittelbarer Reflex auf die grauenhaften Bilder aus der Ukraine erklärbar sein. Der Historiker und Diskriminierungsexperte Harry Waibel rückt die aktuellen Geschehnisse jedoch in einen größeren Kontext: "Die antirussischen Einstellungen in großen Teilen der deutschen Bevölkerung, die bis 1945 überdeutlich sichtbar wurden, fanden verdeckt und auch zum Teil offen nach 1945 weiterhin statt."
Besonders in der DDR habe es einen militanten Rassismus gegeben, "der sich auch gegen sowjetische Staatsangehörige, uniformiert oder zivil, fortsetzte". In der Bundesrepublik seien die antislawischen, rassistischen Einstellungen weitgehend überdeckt gewesen "durch die starke Ablehnung des autoritären Kommunismus in der Sowjetunion".
Waibel sieht ein besonderes Problem vor allem bei jenen, "die aus einer Haltung der Diskriminierung zu offenen gewalttätigen Angriffen übergehen". Solche Reflexe könnten die Gräben zwischen Deutschen und Russen weiter vertiefen, so der Historiker.
Positives Signal: Russen zeigen sich solidarisch mit Ukrainern
Doch es gibt auch ganz andere Facetten der Problematik. Davon berichtet Nikolaus Haufler aus dem Landesvorstand der CDU Hamburg. Haufler wurde 1984 in Tscheljabinsk in Russland geboren und lebt seit 1995 in Hamburg.
"Ich persönlich habe keine negativen Erfahrungen gemacht", berichtet er auf Anfrage unserer Redaktion. "Aber das ist natürlich ein Diskussionsthema. Wir sprechen darüber, aber konkrete Erlebnisse scheinen selten zu sein." Immerhin weiß er von einer Verwandten, die seit Kurzem von ihrer Nachbarin geschnitten werde.
Vor allem aber berichtet er von großer Solidarität – auch zwischen in Deutschland lebenden Russen und Ukrainern. "Ich war gestern in einer russischen Bar in Berlin", erzählt Haufler: "Die hatten die ukrainische Flagge rausgehängt. Und das ist auch deren Position, ich habe darüber mit dem Besitzer gesprochen."
Haufler sieht es als "ganz großes positives Signal", wie viele Russlanddeutsche und Russen sich für die humanitäre Hilfe für die Ukrainer engagieren würden. "Viele haben sofort losgelegt und geholfen."
Haufler selbst kommt gerade von der ukrainischen Grenze zurück. Dort hatte er als Dolmetscher an einer Hilfsaktion der Jungen Union teilgenommen.
Anna Netrebko und Waleri Gergijew: Ist es richtig, wenn russische Stars ihren Job verlieren?
Auch Harry Waibel sieht in den enormen Solidaritätsaktionen gegenüber den Kriegsflüchtlingen ein wichtiges Zeichen. Genauso wie in den harten Maßnahmen gegenüber russischen Stars wie der Sopranistin Anna Netrebko oder dem Dirigenten Waleri Gergijew, die aufgrund ihrer Nähe zu Putin Engagements verloren hatten.
"Beide Künstler sehen sich nicht in der Lage, den Einmarsch und den Angriffskrieg Putins in die Ukraine zu verurteilen. Daher finde ich es richtig, dass ihre Verträge gekündigt wurden", sagt Waibel.
Nikolaus Haufler nimmt ebenfalls zu diesen Fällen Stellung: "Ich bin gegen Gesinnungstests, aber bei so einem prominenten Menschen wie Gergijew muss man nachfragen, das halte ich für sehr berechtigt."
Über die Experten:
Verwendete Quellen:
- Interview mit Harry Waibel
- Interview mit Nikolaus Haufler
- ARD: Report vom 8. März 2022; Wie Russen und Ukrainer den Krieg erleben
- zdf.de: Russen angefeindet – Politiker appellieren
- Website der Botschaft der Russischen Föderation in Deutschland
- ntv.de: Wachsende Russenfeindlichkeit besorgt Faeser
- Twitter-Account von Annalena Baerbock
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