• Beim Parteitag in Bonn stellen sich die Grünen hinter den außenpolitischen Kurs der Bundesregierung.
  • Anton Hofreiter fordert seit Monaten besonders laut die Unterstützung der Ukraine mit Waffen.
  • Im Interview mit unserer Redaktion sagt der frühere Fraktionvorsitzende: "Eine realistische Chance auf ernsthafte Verhandlungen besteht nur, wenn wir die Kosten des Krieges für das Regime Putin erhöhen."
Ein Interview

Herr Hofreiter, sind die Grünen noch eine Friedenspartei?

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Anton Hofreiter: Ja, wir sind weiter eine Friedenspartei. Aber wir sind schon lange auch eine Menschenrechts- und Freiheitspartei. Und wir ringen schon sehr, sehr lange miteinander, wie wir das in ein gutes Verhältnis setzen. Denken Sie an die intensiven Debatten zum Kosovokrieg, die zum Teil noch deutlich emotionaler waren als jetzt. Im Fall der Ukraine ist für mich die Situation klarer als bei manchen anderen Einsätzen.

Inwiefern?

Wir haben es mit einem Angriffskrieg zu tun, von einem Land auf ein anderes, von einer Diktatur auf eine Demokratie. Wir haben es mit einem imperialistischen Krieg zu tun, Putin will die Ukraine kolonisieren. Ich habe auch mit mir gerungen, aber für mich ist klar: Wir müssen das überfallene Land unterstützen.

Wie lange haben Sie selbst mit sich gerungen, um zum Schluss zu kommen, dass Sie sogar die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern unterstützen?

Man darf nicht vergessen, dass der Krieg in der Ukraine bereits 2014 begonnen hat. Noch 2014, 2015 war ich der Meinung: Der richtige Weg sind Verhandlungen. Es gab damals auch gute Argumente. Deutschland und Frankreich hatten die Aufgabe, das Minsker Abkommen zu verhandeln, und die USA und Großbritannien liefern Waffen. Dem lag aber schon damals eine Fehleinschätzung des Regimes Putin zugrunde. Das Ringen hat also acht Jahre gedauert, aber nach dem 24. Februar war schnell klar, wer der Aggressor ist.

Anton Hofreiter: "Ich habe auch Unbehagen. Das haben wir doch alle"

Nach der Beschädigung der Krim-Brücke hat Russland die Ukraine massiv mit Raketen beschossen. Wenn Deutschland jetzt auch noch Kampfpanzer an die Ukraine liefert, wird das die Kämpfe doch noch schlimmer machen.

Erstens: Putin hat den Krieg angefangen. Putin eskaliert den Krieg. Man weiß inzwischen, dass die umfangreichen Luftangriffe länger geplant sein mussten. Nachdem der Sprengsatz an der Krim-Brücke explodiert ist, hätten die Russen sie gar nicht so schnell umsetzen können. Zweitens: In meinen Augen besteht nur dann eine realistische Chance auf ernsthafte Verhandlungen, wenn wir die Kosten des Krieges für das Regime Putin erhöhen. Das geht nur, wenn wir die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine stärken. Wir müssen die Lieferungen der Luftabwehrsysteme beschleunigen. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Ukraine überfallene Gebiete befreien kann. Dazu braucht sie auch gepanzerte Fahrzeuge, also Schützenpanzer und Kampfpanzer.

Glauben Sie, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann?

Das kommt immer darauf an, was man unter Gewinnen versteht. Wenn Gewinnen bedeutet, dass die Ukraine die besetzten Territorien befreit, dann ja. Aber es geht natürlich nicht darum, dass Russland besiegt wird. Die Ukraine will ja gar nicht als aggressive Macht agieren. Sie will einfach nur ihr eigenes Gebiet befreien.

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Es gibt trotzdem bei vielen Menschen in Deutschland ein großes Unbehagen und die Angst, in diesen Krieg reingezogen zu werden. Das kann die Politik nicht ignorieren.

Ich habe auch Unbehagen. Das haben wir doch alle. Niemand will diesen Krieg, alle wünschen sich Verhandlungen. Aber man muss doch die Frage beantworten: Wie erreichen wir Verhandlungen? Dazu gehören immer zwei Seiten, die bereit dazu sind. Wir müssen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Russland verhandeln will. Außerdem hat die Ukraine einfach ein Anrecht, sich zu verteidigen, denn sie ist das überfallene Land. Und man sieht die schweren und schwersten Kriegsverbrechen der russischen Armee in Gebieten, die sie erobert.

"Ich verstehe die SPD überhaupt nicht"

Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet wären für viele Mitglieder Ihrer Partei vor einem Jahr undenkbar gewesen. Leitet die Ukraine-Debatte eine allgemeine Kehrtwende ein? Werden die Grünen auch in anderen Konflikten für Waffenlieferungen sein?

Wir führen schon sehr lange eine Debatte zu dem Thema. In meinen Augen war es kein Kurswechsel bei den Werten, sondern ein Kurswechsel bei den Methoden. Menschenrechte lassen sich im Fall der Ukraine nur verteidigen, indem man dem überfallenen Land und den überfallenen Menschen hilft. Ich halte es aber für einen schweren Fehler, dass die SPD so sehr darauf gedrungen hat, dass die Bundesregierung Waffen nach Saudi-Arabien liefert. Ich verstehe die SPD da überhaupt nicht. Sie ist bereit, Waffen an die Diktatur in Saudi-Arabien zu liefern – aber sie ist total zögerlich, Waffen an die demokratische Ukraine zu liefern, die sich verteidigen will.

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Der Waffenlieferung an Saudi-Arabien haben aber auch die Grünen-Minister im Bundessicherheitsrat zugestimmt. Werfen die Grünen an der Macht alle Prinzipien über Bord?

Ich halte diesen Schritt für einen Fehler. Um es ganz offen zu sagen: Es passierte auf massiven Druck der SPD. Es gibt da auch ein Dilemma, weil es sich um europäische Waffenprojekte handelt. Wir dürfen auch auf europäischer Ebene Waffenlieferungen nicht nur als Geschäft sehen, sondern auch stärker aus humanitären und geostrategischen Erwägungen. Da halte ich die Unterstützung der Diktatur Saudi-Arabien mit Waffen für ein Problem.

Zur Person: Anton "Toni" Hofreiter wurde 1970 in München geboren und hat Biologie studiert. 2003 promovierte er an der Ludwigs-Maximilians-Universität. 2005 zog er für Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag ein, wo er Vorsitzender des Verkehrsausschusses und 2013 bis 2021 Vorsitzender der Grünen-Fraktion war. 2021 übernahm er im Vorsitz des Europa-Ausschusses. Hofreiter gehört zum linken Flügel der Partei.
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