Das US-amerikanische Repräsentantenhaus hat 61 Milliarden US-Dollar Militärhilfen für die Ukraine beschlossen. Auch in Deutschland werden nun Stimmen lauter, die mehr Engagement der Bundesregierung fordern. Können diese Lieferungen den Krieg zugunsten der Ukraine entscheiden?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nach langem Stillstand durch die Blockade-Haltung der Republikaner billigte das US-Repräsentantenhaus am Wochenende mit einer überparteilichen Mehrheit das vorbereitete Hilfspaket von 61 Milliarden US-Dollar, umgerechnet 57 Milliarden Euro. Darin sind auch dringend benötigte Waffenlieferungen zur Verteidigung der Ukraine gegen Russland enthalten. Nun muss noch der Senat über das Paket abstimmen, die Zustimmung gilt allerdings als gesichert.

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Opposition fordert mehr Engagement von der Bundesregierung

In der Ukraine begrüßte Präsident Wolodymyr Selenskyj die Entscheidung, drängte auf schnelle Waffenlieferungen und lobte vor allem den republikanischen Vorsitzenden, Mike Johnson, der dem Hilfspaket zum Durchbruch verhalf, weil er es zur Abstimmung stellte. Die USA gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 hat die US-Regierung Militärhilfen in Höhe von mehr als 44 Milliarden US-Dollar (rund 41 Milliarden Euro) bereitgestellt oder zugesagt.

Aber auch in anderen Staaten wird derzeit über weitere Waffenlieferungen diskutiert. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach laut "Zeit" von einem "starken Signal in dieser Zeit". Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg lobte die Entscheidung als eine Investition in die Sicherheit der Staaten des Militärbündnisses.

Die deutsche Opposition fordert indessen mehr Engagement von der EU und Deutschland in Sachen Waffenlieferungen. Der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, forderte dem "Tagesspiegel" zufolge Konsequenzen für die Bundesregierung. "Für uns in Deutschland muss diese amerikanische Entscheidung eine Steilvorlage sein, auch unsererseits die Ukraine-Hilfen zu steigern", sagte Hardt. "Wir müssen helfen und hoffen, dass die Ukraine den Imperialismus Putins zum Stehen bringt. Sonst werden früher oder später wir selbst herausgefordert." Doch kann die US-Militärhilfe den Krieg zugunsten der Ukraine entscheiden und Putin stoppen?

"Schon in zwei bis drei Wochen werden sie dort einen Unterschied an der Front machen"

Frank Sauer, Privatdozent Bundeswehr Universität München

Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München begrüßt die Entscheidung des US-Parlaments. Gegenüber unserer Redaktion erklärt er, erfreulich sei, dass Teile der Lieferung bereits vorauseilend gepackt und in Europa bereitgestellt wurden, sodass sie jetzt via Polen sehr schnell die Ukraine erreichen. "Schon in zwei bis drei Wochen werden sie dort einen Unterschied an der Front machen", erklärt Sauer. Das auf den Weg gebrachte Paket enthalte dringend benötigte Artilleriemunition und Lenkflugkörper für die Luftverteidigung. Außerdem seien Bradley-Schützenpanzer Teil der Lieferung.

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Interessant sei laut Sauer zudem, dass die USA der Ukraine bereits im März im Geheimem als Teil eines 300 Millionen Dollar schweren Pakets die ballistische Kurzstreckenrakete ATACMS mit großer Reichweite zur Verfügung gestellt habe. "Diese reichen 300 Kilometer weit und gewähren der Ukraine endlich die sehr lang ersehnte Fähigkeit, russische Ziele weit hinter der Front zu bekämpfen", sagt Sauer. Die Ukraine hat im Gegenzug das Versprechen abgegeben, diese Waffen nur auf ihrem Territorium einzusetzen und scheint sich bisher daran zu halten.

Kann die Ukraine mit den Militärhilfen den Krieg gegen Russland gewinnen?

Seit vergangenen Herbst scheint die Ukraine nicht mehr in der Lage zu sein, Geländegewinne zu verzeichnen. Die Überlegenheit der russischen Kriegsmaschinerie drohte die ukrainische Armee zu erdrücken. Zuletzt war sogar von russischen Durchbrüchen an der Front die Rede. Der ukrainische Präsident Selenskyj forderte daher immer wieder mehr Unterstützung durch den Westen.

Das Paket der USA kann nun helfen, die Munitionslücken zu schließen. Ein wirklicher Gamechanger ist es laut Experte Frank Sauer aber nicht: "Es wird allenfalls helfen, den zuletzt massiv gewordenen russischen Druck zu reduzieren und zu verhindern, dass Russland weiter kleine Geländegewinne macht." Entscheidend sei hier die Artilleriemunition. Der Krieg hat sich längst zu einer Materialschlacht entwickelt, bei der Unmengen von Geschossen benötigt werden.

Auf lange Sicht müsste Putin aber durch eine starke ukrainische Armee an den Verhandlungstisch gezwungen werden, erläutert der Experte: "Erst kürzlich ließ Putin die Welt in einem Interview wissen, dass er garantiert nicht verhandeln werde, wenn der Gegenseite gerade die Munition ausgeht. Letzteres ist jetzt zum Glück erstmal nicht mehr der Fall."

Was tun Deutschland und die EU, um die Ukraine zu unterstützen?

Die Bundesregierung übernahm ergänzend zur Unterstützung der USA und Großbritanniens zuletzt den Ausbau der Luftverteidigung der Ukraine. Unter anderem hatte sie das deutsche Iris-T-System mit geringer und mittlerer Reichweite in die Ukraine geliefert. Ein wirklich weitreichender Schritt, sagt Sauer: "Die Bundeswehr selbst hat diese neuen Systeme noch nicht."

Aktuell gehe es in der Debatte innerhalb der EU und der Nato vor allem darum, wer weitere Patriot-Luftabwehrsysteme abgeben könne. "Bisher werden die Flugkörper dafür nur in den USA produziert. Die Produktion in Deutschland läuft demnächst erst an", sagt der Experte. Die Munition sei daher knapp. Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock würden deshalb Druck auf die Bündnispartner ausüben, weitere Luftverteidigungssysteme und Raketen an die Ukraine abzugeben.

Über den Gesprächspartner

  • PD Dr. Frank Sauer ist Experte für internationale Politik. Er hat Politikwissenschaft, Soziologie, Philosophie und Rechtswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt studiert. Nach seiner Promotion in Frankfurt habilitierte er sich an der Universität der Bundeswehr München. Dort ist er seit 2023 Privatdozent. Sauer tritt regelmäßig als Experte im Fernsehen auf und ist Co-Host des Podcasts "Sicherheitshalber".

Verwendete Quellen

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