Die abgehörte Bundeswehr-Konferenz hat es deutlich gemacht – Deutschland ist hybrider Kriegsführung ausgesetzt. Und die Mittel und Methoden sind sehr umfangreich, wie ein Sicherheitsexperte erläutert.

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Offiziere, die durch ungesicherte Verbindungen an einer Videokonferenz teilnehmen, die dann von Russland mitgeschnitten und veröffentlicht wird. Diese peinliche Panne machte in den vergangenen Wochen Schlagzeilen und zeigte, dass die russische Führung auch "weiche" Mittel der Kriegsführung einsetzt. Dies war jedoch nicht der erste Versuch der Einflussnahme. So hat es im Jahr 2017 bereits einen Hackerangriff auf den Bundestag gegeben.

Wie der Spiegel berichtet, hätten sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine die Aktivitäten der Akteure in der hybriden Kriegsführung schlagartig erhöht. Verschiedene Hackergruppen riefen dazu auf, gezielt die Websites deutscher Behörden oder Unternehmen durch Überlastungen lahmzulegen. Davon waren bereits die Internetauftritte des Verteidigungsministeriums oder die SPD-Homepage von Olaf Scholz betroffen.

Kritische Infrastruktur bedroht

Ebenfalls sehr aktiv seien russlandfreundliche Akteure in sozialen Medien wie X oder Telegram. Einer Auswertung des Auswärtigen Amtes zufolge hätten rund um den vergangenen Jahreswechsel 50.000 Fake-Accounts deutschsprachige Falschinformationen gestreut. Hierbei ging es hauptsächlich um den Vorwurf, die deutsche Regierung leiste wegen der Ukraine-Hilfen angeblich zu wenig für die eigene Bevölkerung.

Doch die Angriffsflächen bilden nicht allein die sozialen Medien. Anfällig seien auch besonders IT-Netze und die kritische Infrastruktur. Dies sagt Andreas Heinemann-Grüder, er ist Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte an der Uni Bonn. Hierzu zählt etwa die Wasser- und Stromversorgung. Sowie ebenso Lebensmitteltransportwege oder der öffentliche Nahverkehr. Aber auch die Hochtechnologieforschung etwa in der Deutschen Luft- und Raumfahrt sei betroffen, so der Bonner Experte. Nicht zu vernachlässigen sei auch die "defizitäre Überprüfung von Mitarbeitern in sicherheitsrelevanten Arbeitsplätzen". Erst Ende 2022 war herausgekommen, dass im BND ein für die Sicherheitsüberprüfung zuständiger Mitarbeiter vertrauliches Material an russische Sicherheitsdienste weitergegeben hatte.

Als "Journalisten" getarnte Agenten

Oft kommen Einfallstore für hybride Kriegsführung unscheinbar daher. Gefährlich seien dementsprechend "vermeintlich harmlose Organisationen", so Heinemann-Grüder. Hierbei ginge es oberflächlich um kulturellen Austausch, um Dialog und Völkerfreundschaft. Über solche Formate würden auch immer wieder "Einflussagenten" eingeschleust. Russland, die Türkei und China würden dies besonders stark betreiben. Weiterhin würden auch aktiv Mittel zur Käuflichkeit deutscher Politiker eingesetzt. Nicht hilfreich sei dabei, dass diese Käuflichkeit in Deutschland bisher nicht entsprechend aufgearbeitet werde, wie etwa bei dem Energieprojekt "NordStream II".

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hätten sich die Methoden der russischen Dienste verändert. Russland habe bis vor zwei Jahren in Europa ein riesiges Netz an Spionen gehabt, sagt Andreas Heinemann-Grüder. Deren Aufgaben würde nun zum Teil von Agenten übernommen, die offiziell als "Journalisten" fungierten. Zudem würden ebenfalls russische Agenten, die sich als ukrainische Flüchtlinge tarnen, ins Land eingeschleust.

Deutschland befinde sich dabei nicht im alleinigen Zentrum russischer Aktivitäten, biete aber einige Besonderheiten. Denn zahlreiche deutsche Unternehmen seien nach wie vor noch in Russland geschäftlich tätig, sagt Andreas Heinemann-Grüder. Zudem würden "Putin-Versteher" und "sogenannte Pazifisten" Angriffspunkte für die "soft power" von Putins Regime bieten.

Studie: Prorussische Gruppen sprechen gezielt demokratiekritische Gruppen an

Ähnliche Erkenntnisse belegte eine kürzlich veröffentlichte Studie des Institute for Strategic Dialogue, einer britischen Nichtregierungsorganisation, über die tagesschau.de berichtete. Demnach versuchen russische Akteure, gezielt Menschen auch in Deutschland anzusprechen, die ohnehin kritisch auf das hiesige politische System blickten. Dabei verbündeten sich diese mit ganz unterschiedlichen Akteuren. Die Themen sind dabei ganz vielfältig. Mal geht es um Migration, mal um den Klimawandel oder um eine gendergerechte Sprache. Entscheidend sei jedoch immer, dass diese Gruppen russlandfreundlich seien.

Auch aus Frankreich wurde in den vergangenen Tagen von einem Beispiel der hybriden Kriegsführung berichtet, wie die FAZ meldete. Es geht dabei um die Ende 2023 in Paris weitverbreitete Angst vor einer "Bettwanzenplage". Nun hat der französische Europaminister erklärt, dass die Regierung Hinweise habe, dass diese Stimmung durch Konten in sozialen Medien stark befeuert wurde, die mit Russland in Verbindung gestanden hätten. Die französische Regierung vermutet, dass Russland Frankreich vor den Olympischen Spielen in Paris schaden und potenzielle Gäste der Spiele verunsichern wollte. Es wurde sogar eine Verbindung zwischen der Aufnahme ukrainischer Geflüchteter und der Verbreitung von Bettwanzen gezogen, sagte der französische Minister.

Experte: Schutz von deutschen Behörden "teilweise unterirdisch"

Mit Blick auf den Schutz Deutschlands sei noch sehr viel zu tun, sagt der Politikwissenschaftler Heinemann-Grüder. Es mangele an einer systematischen und nachhaltigen Analyse von Desinformationskampagnen und ihrer Wirksamkeit. Auch die Sicherheitsvorkehrungen in öffentlichen Einrichtungen seien "teilweise unterirdisch", behauptet der Sicherheitsexperte. Es fehle "eine systematische Analyse und die Behebung von Gefährdungen". Es müsse viel mehr in die Aufdeckung solcher kriminellen Aktivitäten investiert werden. Nicht zuletzt müssten sich deutsche Stellen stärker auf die Erfahrungen anderer Länder verlassen. Heinemann-Grüder nennt hier Estland als Beispiel.

Nicht zuletzt müssten die deutschen Geheimdienste dazulernen. "Es fehlt den deutschen Nachrichtendiensten und dem Staatsschutz in Bezug auf russische, chinesische oder türkische Einflussnahme an elementarer Qualifikation", sagt der Bonner Sicherheitsexperte. Ohnehin sollten alle Menschen, die mitbekämen, dass Personen zum Kampf für ausländische Mächte angeworben würden, dies dem Verfassungsschutz mitteilen. Er selbst, so der Sicherheitsexperte, habe herausgefunden, dass 32 deutsche Staatsangehörige derzeit aufseiten der Russen gegen die Ukraine kämpften – und zwar ganz ohne systematische Erforschung.

Über den Experten:

  • Prof. Dr. Andreas Heinemann-Grüder ist Politikwissenschaftler und arbeitet am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) sowie am Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) der Universität Bonn

Verwendete Quellen:

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