- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich per Videobotschaft an den Bundestag gewandt.
- Selenskyj sprach von einer neuen Mauer zwischen Freiheit und Unfreiheit in Europa: "Diese Mauer wird größer durch jede Bombe, die auf uns fällt. Mit jeder unterlassenen Entscheidung, die uns helfen könnte."
- Eine Aussprache zwischen den Abgeordneten zum Thema lehnt die Ampel-Koalition ab.
Es kommt immer wieder vor, dass ausländische Staatsoberhäupter im Bundestag reden. Und der Papst war auch schon da. Das aber gab es im deutschen Parlament noch nie: Am Donnerstagmorgen erscheint der ukrainische Staatspräsident
Die Rede beginnt mit Verspätung: Die Verbindung nach Kiew stehe noch nicht, weil es dort gerade einen Anschlag gegeben habe, sagt Bundestagsvizepräsidentin
Selenskyj: "Es wird alles zerstört, rund um die Uhr"
Selenskyj wendet sich nicht nur an die Bundesregierung und den Bundestag, sondern auch an das "Volk Deutschlands". Putin zerstöre alles, "was wir in der Ukraine aufgebaut haben". Der Präsident stellt den Dank für deutsche Unterstützung zurück. Er beklagt eine Mauer, die Europa durchzieht. "Wir kämpfen um unser Leben, um unsere Freiheit. Sie sind durch eine Art Mauer von uns getrennt. Eine Mauer zwischen Freiheit und Unfreiheit", sagt Selenskyj. "Und diese Mauer wird größer durch jede Bombe, die auf uns fällt. Mit jeder unterlassenen Entscheidung, die uns helfen könnte."
Wirtschaftliche Sanktionen hätten nicht ausgereicht, um den Krieg zu stoppen, sagt Selenskyj. Immer noch würden deutsche Konzerne Geschäfte mit Russland machen. Der Präsident berichtet von Kinderkrankenhäusern, Kliniken, Wohnhäusern, die von russischen Raketen getroffen werden. "Es wird alles zerstört, rund um die Uhr." Es werde ununterbrochen geschossen, damit die Menschen sich nicht retten.
"Ein Volk wird vernichtet"
"Sie könnten das alles sehen, wenn Sie hinter die Mauer schauen würden", sagt Selenskyj, der sich dann noch ausdrücklich bedankt für jede Unterstützung. Für jeden Menschen, der die Mauer beseitigen wolle. Doch Worte seien nichts wert. "In Europa wird ein Volk vernichtet. Es wird vernichtet, was uns teuer ist, wofür wir leben."
Konkrete Forderungen – etwa nach einer Flugverbotszone über der Ukraine – nennt Selenskyj in seiner Ansprache nicht. Aber für ihn ist unmissverständlich, dass das Land für seine Verteidigung gegen Russland weitere Unterstützung braucht. Ronald Reagan habe während des Kalten Krieges zum sowjetischen Staatschef Gorbatschow gesagt: Tear down this wall, reißen Sie diese Mauer nieder. Selenskyj wendet sich an den deutschen Bundeskanzler
Ampel lehnt Diskussion im Anschluss ab
Flaggen schwenken ist im Plenum verboten, doch manche Abgeordnete zeigen mit anderen Zeichen ihre Solidarität. Gitta Connemann (CDU) trägt eine gelbe Maske zum hellblauen Blazer, Maja Wallstein (SPD) ein blau-gelbes Halstuch.
Der Krieg in der Ukraine hat die deutsche Politik in Windeseile verändert: Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet – das wäre vor einigen Wochen noch schwer vorstellbar gewesen. Doch das Drängen der Ukraine auf weitere Hilfen trifft bei manchen Politikerinnen und Politikern einen wunden Punkt. Jüngstes Beispiel ist der SPD-Politiker Sören Bartol, der am Mittwoch auf Twitter geschrieben hatte, er finde den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk mittlerweile "unerträglich". Melnyk hatte zuvor gefordert, Bundeskanzler Olaf Scholz müsse mit einer Regierungserklärung auf Selenskyjs Ansprache reagieren.
Den Tweet hat Bartol mittlerweile gelöscht und sich entschuldigt. Doch er zeigt, dass auch im Bundestag die Nerven bei dem einen oder anderen blank liegen. Eine Debatte über das Thema, die die CDU/CSU-Fraktion beantragt, lehnt die Ampel-Koalition ab. Die Abgeordneten überziehen sich deswegen nach der Ansprache von Selenskyj mit gegenseitigen Beschimpfungen und Zwischenrufen. Nach einem besonderen, ergreifenden Moment geht der Bundestag zum üblichen Parteienzwist über.
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