Deutschlands Schülerinnen und Schüler sind schlecht wie nie – das zeigt die jüngste Pisa-Studie. Aber gilt das für ganz Deutschland? Entgegen dem bundesweiten Trend hat sich Hamburg in nationalen Bildungsvergleichen in den letzten Jahren stark verbessert. Woran liegt das?

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Die Pisa-Studie 2023 hat es offengelegt: Deutschlands Schülerinnen und Schüler schneiden schlechter ab als je zuvor. In den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften ist Deutschland nur noch europäisches Mittelmaß. Aber gilt das tatsächlich für das ganze Land, wo es doch 16 verschiedene Bildungssysteme gibt?

Darüber gibt die Pisa-Studie keinen Aufschluss – veröffentlicht werden nur nationale Durchschnittswerte. Doch Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) vermutet, dass Hamburgs Schülerschaft bei Pisa besser abgeschnitten hat als die anderen Bundesländer.

Hamburg ist Krisengewinner

Diese kühne Vermutung basiert auf innerdeutschen Vergleichsstudien: Lange bildete der Stadtstaat zusammen mit Bremen und Berlin das Schlusslicht in Sachen Bildung. In der IQB-Grundschulstudie landete Hamburg 2021 dann überraschend auf Platz 6 – das beste Ergebnis seit Beginn der Untersuchungen. Im IQB-Bildungstrend der Klassenstufe 9 erreichte Hamburg 2022 sogar Platz 4. Wie ist Hamburg dieser Aufstieg gelungen?

"Hamburg hat vor allem besser abgeschnitten, weil die anderen Länder schlechter geworden sind", sagt Sven Quiring, Vorsitzender des Hamburger Landesverbands der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Wir haben in Hamburg keine großen Sprünge nach vorne gemacht – weder jetzt bei der letzten Pisa-Untersuchung, noch bei den Untersuchungen der IQB."

Tatsächlich sackten fast alle Bundesländer in der IQB-Studie im Vergleich zu den Tests aus den Vorjahren ab. Als Grund wurde – wie auch jetzt bei der Pisa-Studie – vor allem die Corona-Pandemie angeführt. Doch die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in der Hansestadt blieb entgegen dem bundesweiten Trend stabil. Etwas scheint Hamburg im Vergleich also besser gemacht zu haben als andere.

Hohe Ausgaben für Bildung

"Hamburg hat in den letzten zehn Jahren viel Geld in die Hand genommen", bestätigt Quiring. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat die Hansestadt 2021 12.900 Euro pro Schülerin und Schüler investiert – und damit 3.000 Euro mehr als im Durchschnitt (9.900 Euro bundesweit).

Nur Berlin hat mit 14.200 pro Kopf mehr Geld in seine Schülerschaft investiert – allerdings nicht mit vergleichbarem Erfolg: Laut den Autorinnen und Autoren der IQB-Studie 2021 wurden in Berlin, aber auch in Bremen (Ausgaben: 10.900 Euro pro Kopf) die Mindeststandards häufiger verfehlt, als dies deutschlandweit der Fall ist. Investitionen sind folglich nicht alles.

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Ein Bildungsplan für die Vorschule

Auf eine Lehrkraft kommen laut GEW Baden-Württemberg in Hamburg aktuell rechnerisch 13,3 Schülerinnen und Schüler. Baden-Württemberg schneidet mit einer Relation von 16,9 demnach bundesweit am schlechtesten ab. In beiden Bundesländern sind die Grundschulklassen zwar vergleichbar groß – doch in Hamburg werden circa 30 Prozent mehr Unterrichtsstunden pro Klasse erteilt. Das liegt nach Ansicht der GEW auch daran, dass Hamburg sein schulisches Ganztagsangebot seit 2011 stark ausgebaut hat.

Doch in Hamburg gibt es nicht nur mehr Ganztagsunterricht als in anderen Bundesländern. Es gibt auch regelmäßige Lernstandserhebungen, kostenlose Nachhilfe und sogenannte Lernferien. Beides hat dazu beigetragen, Rückstände durch Corona aufzuholen, glauben Bildungsexpertinnen und -experten. Eine weitere Hamburger Besonderheit: Kinder mit Nachholbedarf werden im Grunde ein Jahr früher eingeschult.

Bildungsplan für die Vorschule

Rund eineinhalb Jahre vor der Einschulung werden Kinder in Hamburg an eine nahegelegene Grundschule eingeladen. Dort stellen Fachkräfte fest, ob die Kinder altersgerecht entwickelt sind und über ausreichend Deutschkenntnisse verfügen. Falls nicht, müssen diese Kinder verpflichtend eine Vorschule besuchen oder schulische Vorförderung in der Kita bekommen.

Kein Kind soll ohne substantielle Deutschkenntnisse eingeschult werden, so die Idee. "Wir verlieren in Hamburg nicht erst Monate, bevor ein Kind überhaupt in Bildungseinrichtungen kommt", sagt Quiring. Zwar bieten auch andere Länder vorschulische Sprachförderung an – nach Angaben des "Spiegel" allerdings nicht mit derselben Konsequenz wie Hamburg.

Auch in Hamburg noch "Luft nach oben"

In ein uneingeschränktes Loblied über die Bildungssituation in Hamburg will der GEW-Landesvorsitzende dennoch nicht einstimmen. "Die Ergebnisse zeigen nämlich auch, dass wir in Hamburg seit Jahren bei den Schülerinnen und Schülern eine stabile Quote von 30 Prozent haben, die die Mindeststandards im Lesen, Schreiben und Rechnen nicht erfüllen."

Am hohen Anteil von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte – in Hamburg mit 51 Prozent höher als in vielen anderen Bundesländern – liege das nicht. "Wir müssen den Fokus vom Migrationshintergrund wegbekommen", sagt Quiring. Zwar gebe es einen Zusammenhang zwischen Migration und Armut. Studien belegten jedoch, dass Kinder von Eltern mit Migrationshintergrund, die einen hohen sozioökonomischen Status haben, die höchsten Quoten für Gymnasialempfehlung hätten. "Da liegen wir bei über 80 Prozent", sagt Quiring. "Armut ist das Problem."

Untersuchungen wie die Langzeitstudie des Frankfurter Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt zeigen immer wieder, dass es einen Zusammenhang zwischen Armut und Bildung gibt. "Das ist in Hamburg sehr ausgeprägt", sagt Quiring. Trotz aller Maßnahmen habe es die Bildungspolitik bislang nicht geschafft, den Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Bedingungen und Bildungserfolg zu entkoppeln.

"Wir sollten die Ergebnisse der Bildungsstudien von Hamburg daher nicht zu sehr feiern", sagt Quiring. Auch in der Hansestadt sei beim Thema Bildung noch "Luft nach oben".

Über den Gesprächspartner

  • Sven Quiring ist Vorsitzender des Hamburger Landesverbandes der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Verwendete Quellen

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