• In der Corona-Pandemie war Jens Spahn als Gesundheitsminister ständig präsent.
  • Der CDU-Politiker musste das Amt mittlerweile an Karl Lauterbach übergeben und kümmert sich als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union um die Themen Wirtschaft, Klima, Energie, Mittelstand und Tourismus.
  • Spahn kritisiert die in seinen Augen bloße Ankündigungspolitik der Ampel-Koalition, ihm fehlen konkrete und vor allem schnelle Maßnahmen, um die Bürgerinnen und Bürger in der aktuellen Krise zu entlasten.
Ein Interview

Herr Spahn, sollte Deutschland weiterhin russisches Gas, Öl und Kohle einkaufen, obwohl Wladimir Putin damit seine Kriegskasse füllt und seine Gräueltaten in der Ukraine fortsetzt?

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Jens Spahn: Nein, wir müssen schrittweise und schnellstmöglich "Putin-frei" werden, also unabhängig von russischen Energielieferungen. Spätestens zum Winter 2023/24, auch beim Gas. Das ist ein realistisches Ziel. Dafür braucht es aber einen klaren Plan der Ampel und wir erwarten, dass er dem Bundestag vorgelegt wird. Bis auf Interviewäußerungen von Minister Habeck haben wir weder für dieses noch für andere Szenarien einen umfassenden Plan gesehen.

Welche Szenarien?

Das eine Szenario ist, dass wir aktiv die Importe beenden - erst Kohle, dann Öl, dann Gas. Aber in welchen Schritten und mit welchen Zielmarken geht das? Was sind konkrete Maßnahmen und Folgen? Und das andere Szenario: Putin stellt jetzt sofort die Energielieferungen ein. Was heißt das für Deutschland? Was heißt das für die Bürgerinnen und Bürger? Was heißt das für unsere Industrie? Auch da fehlt bisher ein klarer, transparenter Plan.

Was genau wollen Sie denn wissen?

Ein Beispiel: Wenn der Wirtschaftsminister nach Katar reist, ist das grundsätzlich richtig. Doch wenn man nachfragt, was vereinbart wurde und ab wann Katar Gas liefert, hören wir bis heute wenig Konkretes. Da drängt sich der Eindruck auf, dass die Ampel im Nebel stochert.

BASF-Chef Martin Brudermüller warnte gerade vor einer "Zerstörung" der Volkswirtschaft, Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz vor deren "Implosion". Ist das ein realistisches Szenario?

Wir müssen es ernst nehmen, wenn große Unternehmen uns solche Hinweise geben. Es geht um viele Arbeitsplätze. Ich habe schon als Gesundheitsminister gesagt: Wir können uns als alterndes Land Gesundheit, Rente, Pflege dauerhaft nur leisten, wenn wir unsere Industrie-Produkte in die Welt verkaufen. Deswegen sollte die Ampel gemeinsam mit der energieintensiven Industrie nach Lösungen suchen. Wir brauchen diese Produktion weiterhin in Deutschland und ihre Wettbewerbsfähigkeit hängt maßgeblich von den Energiepreisen ab.

Aber die Energiekosten steigen und steigen...

Deswegen ist es wichtig, die Unabhängigkeit von Putin zu erreichen. Und wir müssen die Unternehmen und die Bevölkerung entlasten. Als Union fordern wir schon seit Februar eine Senkung der Energiepreise, vor zwei Wochen hat die Ampel dann auch endlich ein Entlastungspaket angekündigt – doch wir warten bis heute auf die konkrete Umsetzung. Nun hören wir, es soll bis Juni dauern. Das ist inakzeptabel.

Experten wie der deutsch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Prof. Rüdiger Bachmann sagen, natürlich würden wir eine Rezession spüren, Warnungen vor einer wirtschaftlichen Katastrophe seien aber übertrieben. Was denn nun?

Mit Sicherheit kann das leider keiner vorhersagen. Man kann die Auswirkungen auf Lieferketten, auf Investitionen, auf Planungsfragen modellieren. Mit unterschiedlichen Ergebnissen, wie wir sehen. Aus Sicht der Verantwortlichen bleibt es dann eine Abwägung, auch des Risikos. Und damit die Frage, ob unsere deutsche Volkswirtschaft ohne eindeutige Erkenntnisse einem Großexperiment unterzogen werden sollte. Es ist immer leicht etwas zu fordern, wenn man die Folgen nicht verantworten muss.

Auch nicht angesichts des menschlichen Leids in der Ukraine?

Wir müssten ein Embargo durchhalten können. Wenn garantiert wäre, dass mit dem Gasembargo in vier oder sechs Wochen der Krieg vorbei ist, sollten wir nicht eine Sekunde zögern. Es kann aber passieren, dass der Krieg nach einem solchen Stopp unvermindert weitergeht und wir in eine schwere Wirtschaftskrise taumeln. Wie lange hält dann die Akzeptanz, wie lange halten wir das dann durch? Das beständig abzuwägen ist verantwortungsvoll, so sehr ich persönlich angesichts des Leids, der Verbrechen in der Ukraine sofort diese Lieferungen beenden möchte.

Darf man bei der Beschaffung von Energie überhaupt nach Moral fragen?

Das ist eine sehr grundsätzliche Frage. Auch jenseits von Gas und Öl haben wir Handelsbeziehungen mit vielen Ländern auf der Welt, die nicht unseren freiheitlich-demokratischen Grundsätzen entsprechen. Es bleibt immer richtig, ethische Fragen zu stellen, insbesondere die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. Gleichzeitig können wir den Gegebenheiten der Gegenwart nicht entkommen. Und dazu gehört, dass unser tägliches Leben im Moment noch zu stark von fossilen Energieträgern abhängt. Dieses Dilemma existiert, das ist ein Teil der Wahrheit.

Wie entkommt man dem Dilemma?

Ein Baustein ist, den Handel mit unseren demokratischen Freunden und Partnern zu stärken, gerade jetzt. Das ist eine unmittelbare Lehre. Dass die Ampelkoalition es nicht schafft, das CETA-Abkommen mit Kanada zu ratifizieren, finde ich problematisch. Mit welchem Land wollen wir denn noch Handel treiben, wenn nicht mal mit Kanada? Als Union haben wir ein entsprechendes Gesetz in den Bundestag eingebracht, die Ampel macht aber einen Eiertanz drum herum, weil sie sich nicht verhalten will.

Wirtschaftsminister Habeck will mit dem sogenannten Osterpaket den Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch schnell und drastisch erhöhen. Unterstützen Sie den Schritt?

Wir wollen die Klimaziele erreichen. Deshalb und aus unserer staatspolitischen Verantwortung heraus unterstützen wir die ambitionierten Ziele der Ampel, gerade bei den erneuerbaren Energien. Als Opposition hinterfragen wir die Regierung aber auch und wollen wissen, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Und da sehe ich beim Osterpaket keine konkreten Maßnahmen unterlegt. Ambitionierte Ziele bleiben heiße Luft, wenn sie nicht in der Sache unterlegt sind.

Fänden Sie es gut, die Gasförderung in der Nordsee zu forcieren?

Ja, denn es ist grundsätzlich wichtig, dass wir ideologiefrei und offen alle Optionen prüfen, die uns im ersten Schritt unabhängiger machen von Russland und Putin und im zweiten Schritt insgesamt von fossilen Energieträgern.

Gibt es noch weitere Optionen?

Wir sollten bei der CCS-Technologie (Verfahren zur Reduzierung von CO2-Emissionen in die Atmosphäre durch die technische Abspaltung am Kraftwerk und "dauerhafte" Einlagerung in unterirdische Lagerstätten; Anmerk. d. Red.) wieder aktiver werden. Wir waren mal weltweit führend in dieser Forschung, haben das leider weitestgehend eingestellt, auch aus ideologischen Gründen. Ebenso sollten wir die noch aktiven Kernkraftwerke länger laufen lassen. Wir stehen zum Ausstieg aus der Kernenergie. Aber es ginge jetzt darum, sie in einer Zeit wie dieser drei bis fünf Jahre länger laufen zu lassen, um auch so kurzfristig dem Ziel einer Putin-freien Energieversorgung näher zu kommen. Ich verstehe nicht, dass ein grüner Klimaminister lieber Braunkohlekraftwerke länger am Netz lässt als CO2-neutrale Kernkraftwerke.

Finden Sie, die Regierung tut genug, um die Auswirkungen der steigenden Preise abzufedern?

Was wir mit dem bisherigen Energiepaket haben, ist ein politischer Kompromiss, der die Ampel befriedet. Aber er ist keiner, der das Problem löst. Es werden nur bestimmte Gruppen der Bevölkerung bei der Entlastung in den Blick genommen. Studenten oder Rentner beispielsweise fallen bei der Ampel ganz durchs Raster. Wenn drei Parteien miteinander regieren, gibt es oft den Versuch, jeweils die eigene Klientel glücklich zu machen. Die einen kriegen den reduzierten Spritpreis, die anderen dafür das 9-Euro-Ticket für den ÖPNV. Aber diejenigen, die den Laden am Laufen halten, die zum Teil mit 1.800 bis 2.200 Euro netto eine vierköpfige Familie ernähren, sind zu selten im Blick. Und bei mir auf dem Land hilft niemandem, wenn das Bahnticket günstiger wird. Da fährt nämlich keine Bahn. Deswegen reicht das alles so nicht.

Wie würden Sie vorgehen?

Wir haben vorgeschlagen, vor allem auf breiter Front bei den Energie- und Umsatzsteuern zu entlasten, weil das in der Breite tatsächlich alle entlastet. Und die Ampel muss die Industrie, die Wirtschaft stärker in den Blick nehmen, um Arbeitsplätze zu sichern. Immerhin gibt es zu Hilfen für vom Krieg und seinen Folgen betroffene Unternehmen jetzt mal eine Ankündigung der Ampel. Die hoffentlich schnell umgesetzt wird.

Die Umsetzung des Energiepakets der Koalition soll zum 1. Juni erfolgen...

Wir diskutieren das mittlerweile seit Februar, als wir im Deutschen Bundestag zum ersten Mal die Forderung erhoben haben, Energiepreise zu senken und zu entlasten. Und jetzt haben wir mittlerweile April, im Juni soll es vielleicht die entsprechenden Entlastungen geben, aber alle dafür notwendigen Gesetzentwürfe haben wir bislang noch nicht gesehen. Da passen Wort und Tat einfach nicht zusammen, zumal in Krisenzeiten wie diesen. Darunter leiden die Familien und die Pendler. Sie zahlen nämlich jeden Tag, ihnen hilft es nicht, wenn es heißt, in ein paar Monaten komme was. Wir brauchen jetzt die Entlastung.

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