Mit der Kindergrundsicherung will die Ampelkoalition die zunehmende Kinderarmut in Deutschland bekämpfen. Doch bei der Umsetzung knirscht es erneut. Worum geht es? Und droht das Projekt noch zu scheitern? Ein Überblick.

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Eines lässt sich feststellen, egal wie man zu ihr steht: Die Kindergrundsicherung ist ein Vorhaben der Superlative. Aus Sicht der Grünen handelt es sich um das wichtigste familienpolitische Projekt der laufenden Wahlperiode, die SPD spricht von einer der "größten und schwierigsten Sozialreformen der vergangenen Jahre". Und die CDU warnt vor einem "Bürokratiemonster".

Auf jeden Fall droht die Einführung der Kindergrundsicherung auch zu einer unendlichen Geschichte der Ampelkoalition zu werden. Erneut haben sich vor allem Grüne und FDP verhakt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

Was ist die Kindergrundsicherung eigentlich?

Die Kindergrundsicherung ist keine zusätzliche Sozialleistung. Sie soll fünf bereits bestehende Leistungen zusammenfassen. Dazu gehört in erster Linie das Kindergeld, das in der Kindergrundsicherung aufgehen würde. Das Gleiche gilt für den Kinderzuschlag und weitere Zahlungen für besonders finanzschwache Familien.

Die Kindergrundsicherung soll aus zwei Teilen bestehen:

  • Der Kindergarantiebetrag soll das Kindergeld ersetzen. Er ist also unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die Höhe steht noch nicht fest. Sie soll aber mindestens der Höhe des Kindergelds entsprechen – also pro Monat 250 Euro.
  • Familien mit geringem oder gar keinem Einkommen können zudem den Kinderzusatzbetrag bekommen. Auch hier steht die Höhe noch nicht fest, da sie unter anderem von der Preisentwicklung abhängt. Das Bundesfamilienministerium geht zur Zeit von einem monatlichen Gesamtbetrag (inklusive Kindergarantiebetrag) zwischen 530 Euro und 636 Euro pro Kind aus. Die Höhe ist abhängig vom Alter des Kindes.

Ab wann soll die Kindergrundsicherung ausgezahlt werden?

Geplanter Starttermin ist der 1. Januar 2025. Paus will daran auf jeden Fall festhalten. Allerdings gibt es unter anderem bei der Bundesagentur für Arbeit Zweifel, ob der Termin realistisch ist. Für die Auszahlung des Kindergarantiebetrags soll die Familienkasse zuständig sein, die bei der BA angesiedelt ist. Der Aufwand für die Umsetzung der Reform ist offenbar groß. Sönke Rix, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, bezeichnet die Kindergrundsicherung als eine der "größten und schwierigsten Sozialreformen der vergangenen Jahre".

Was erhofft sich die Familienministerin vom Projekt?

Es gibt zwar bereits über das Kindergeld hinaus Sozialleistungen für arme Familien. Allerdings werden sie von den Familien häufig gar nicht beantragt – wegen bürokratischer Hürden oder weil die Anspruchsberechtigten von dieser Möglichkeit schlicht gar nicht wissen.

"Momentan blicken viele nicht mehr durch, welche unterschiedlichen Leistungen existieren und auf welche sie Anspruch haben. Dazu kommt, dass viele Dokumente schwer zu verstehen sind", sagte Familienministerin Paus vergangenes Jahr im Interview unserer Redaktion.

Die Kindergrundsicherung soll deshalb einfach und digital zu beantragen sein. Der Zusatzbetrag soll dadurch mehr Familien erreichen als bisher. Paus zentrales Ziel lautet, Kinderarmut besser zu bekämpfen. Der Paritätischen Gesamtverband hatte in der vergangenen Woche einen Rekordwert verkündet: Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland ist dem Sozialverband zufolge inzwischen von Armut betroffen.

Was soll die Kindergrundsicherung kosten?

Über die Kosten des Projekts hatte es im vergangenen Jahr erstmals lange Diskussionen in der Ampelkoalition gegeben. Familienministerin Paus soll eine zusätzliche Summe von zwölf Milliarden Euro pro Jahr gefordert haben, Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) soll nur zu einem Plus von zwei Milliarden Euro bereit gewesen sein.

Im Spätsommer setzte sich Lindner weitgehend durch: Die Koalition einigte sich auf Mehrausgaben ab 2025 in der Höhe von 2,4 Milliarden Euro.

Worüber gibt es jetzt Diskussionen?

Paus will für die Auszahlung rund 5.000 zusätzliche Stellen schaffen. "Das zusätzliche Personal bedeutet eine Bürokratieentlastung für die Bürger. Im Moment tragen sie die Bürokratielast, müssen von Pontius zu Pilatus rennen", sagte die Grünen-Politikerin in der vergangenen Woche der "Rheinischen Post". Ihr Argument: Aus der "Holschuld" der Familien müsse eine "Bringschuld" des Staates werden.

Das meint auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Krumwiede-Steiner: "Wir wollen zukünftig 5,6 Millionen statt 1,9 Millionen armutsgefährdete Kinder erreichen und dafür sind mehr Stellen notwendig, weil mehr Kinder Leistungen erhalten und wir die Länder und Kommunen entlasten", sagt sie unserer Redaktion. Mit dem Projekt vereinfache man den Alltag der Familien und treibe zudem die Digitalisierung voran. "Je weiter diese fortgeschritten sein wird, desto weniger Stellen werden nötig sein", so die Familienpolitikerin.

Der liberale Koalitionspartner sieht das anders. Die Vorstellung von der "Bringschuld" des Staates finde er "verstörend", sagt Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner. Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen kritisiert im "Tagesspiegel" (Bezahlinhalt): "Das eigentliche Ziel der Kindergrundsicherung war es, bestehende Leistungen für Familien zu bündeln und diese problemlos digital zugänglich zu machen. Mit ihren jetzigen Vorstellungen hat sich Ministerin Paus meilenweit vom Koalitionsziel entfernt."

Auch die oppositionelle CDU bezeichnet die Kindergrundsicherung als "Bürokratiemonster".

Kann die Kindergrundsicherung noch scheitern?

Derzeit beraten die Parlamentarier und Parlamentarierinnen des Bundestags über die Kindergrundsicherung. Über das Projekt an sich sind sich die drei Koalitionsparteien zwar weitgehend einig. Doch an der konkreten Umsetzung entzündet sich immer wieder Streit. So wie jetzt wieder. Solange Paus 5.000 zusätzliche Stellen fordere, könne man über das Projekt nicht seriös verhandeln, kritisiert FDP-Politikerin Jensen.

Über ein Scheitern der Reform wird nun in Berlin spekuliert. "Sie wird kommen", sagt Grünen-Politikerin Krumwiede-Steiner trotzdem: "Ich bin optimistisch, dass die nächsten Verhandlungsrunden zeigen, dass die Ampel ihrer Koalitionsvereinbarung, Familien zu stärken und Kinder aus der Armut zu holen, mit der Kindergrundsicherung nachkommt."

Zumindest könnte sich das Startdatum nach hinten verschieben. Selbstverständlich werde weiterverhandelt, teilt SPD-Fraktionsvize Sönke Rix mit. Man habe den Gesetzentwurf aber erst spät erhalten. "Und da die Kindergrundsicherung so komplex ist und der Regierungsentwurf unseren Zielen nicht ausreichend gerecht geworden ist, werden wir nicht umhinkommen, diese schrittweise einzuführen", sagt Rix.

Verwendete Quellen

Kinder spielen in einem Hort oder einem Kindergarten

Kindergeld wird Kindergarantiebetrag: Was ändert sich?

Das Thema Kindergrundsicherung sorgt für Streit in der Ampel-Koalition. Staatliche Hilfen werden gebündelt und sollen ab dem Jahr 2025 für bis zu 5,6 Millionen bezugsberechtigte Familien, die von Armut bedroht sind, schnell und unkompliziert zu beantragen sein.
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