Der Streit um eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen ist zurück. Entlang der Parteilinien sind die Fronten verhärtet. Das sind die Argumente der Befürworter und Gegner eines Tempolimits.

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"Mein Maserati fährt zweihundertzehn – schwupp, die Polizei hat's nicht gesehen. Das macht Spaß, ich geb' Gas!" Freiheit gegen Vernunft, Emotionen statt Fakten. Der fast 40 Jahre alte NDW-Hit bringt die derzeit wieder kontrovers geführte Debatte um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen auf den Punkt.

Ist doch die Bundesrepublik weltweit das einzige Industrieland, das auf Autobahnen kein Tempolimit eingeführt hat – noch nicht? Denn in der großen Koalition zeichnet sich ein neuer Streit über eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen ab, obwohl der Bundestag eine solche erst im Oktober mehrheitlich abgelehnt hat.

Auf dem Großteil der Autobahnen gilt nach wie vor freie Fahrt: Auf 70 Prozent der insgesamt 26.000 Autobahnkilometer (Summe beider Fahrtrichtungen) gilt keine Höchstgeschwindigkeit. Ginge es nach SPD, Grünen und Linkspartei, soll es bald überall ein Tempolimit geben. Union, FDP und AfD stemmen sich dagegen.

Wir haben uns die zentralen Argumente und Positionen sowohl der Befürworter als auch der Gegner einer dauerhaften Geschwindigkeitsbegrenzung angeschaut. Die Debatte um des Deutschen liebstes Kind zeigt vor allem eines: Eine einfache Antwort gibt es nicht – und ein zu niedriges Tempolimit kann unter Umständen sogar gefährlich sein.

Das Umwelt-Argument

Die Position der Tempolimit-Befürworter: "Eine allgemeine Höchstgeschwindigkeit von Tempo 130 kostet keinen Cent und spart aufs Jahr gerechnet je nach Berechnung zunächst zwischen einer und zwei Millionen Tonnen CO2", argumentiert SPD-Fraktionsvizechef Matthias Miersch in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Verkehrsexperten sehen das CO2-Einsparungspotential ähnlich. Denn tatsächlich steigt ab Tempo 130 der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid stark an.

Auch der ADAC sagt, dass ein Tempolimit zum Klimaschutz beiträgt. Zwei Millionen Tonnen CO2 pro Jahr entsprechen knapp zwei Prozent der Emissionen des Pkw-Verkehrs. Nebenbei würde auch der Lärm reduziert.

"Ein Tempolimit unterstützt den erforderlichen Technologiewandel in der europäischen Automobilindustrie", erklären die Grünen. Demnach würden Geschwindigkeiten über 130 Stundenkilometern die Reichweite von Elektroautos deutlich vermindern. Im Umkehrschluss fördere also ein Tempolimit Entscheidungen für den Kauf eines E-Autos.

Die Position der Tempolimit-Gegner: "Ein Tempolimit auf unseren Autobahnen würde den gesamten CO2-Ausstoß in Deutschland um weniger als 0,5 Prozent senken", sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer der "Bild am Sonntag" bereits im Januar. Unterstützung bekam er nun von FDP-Chef Christian Lindner. Auch er sagt: "Der Beitrag eines generellen Tempolimits zur globalen CO2-Einsparung wäre marginal."

Statt eines Tempolimits brauche Deutschland ein CO2-Limit. "Das würde dazu führen, dass Wasserstoff oder andere klimafreundliche Treibstoffe in Zukunft Benzin und Diesel ersetzen können", sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Das Sicherheits-Argument

Tempolimit-Befürworter: Fakt ist: Je schneller Fahrzeuge bei einem Zusammenstoß sind, desto größeren Kräften sind die Insassen ausgesetzt. "Mit sinkenden Geschwindigkeiten werden die Anhaltewege kleiner, wenn es zum Konfliktfall kommt. Der Unfall findet dann also überhaupt nicht statt. Und wenn er stattfindet, ist immerhin die Crash-Energie geringer", sagte Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), im Januar unserer Redaktion. Er ist fest davon überzeugt, dass das Autofahren durch eine festgelegte Höchstgeschwindigkeit sicherer werde.

Denn so entfielen auch die "sehr hohen Differenzgeschwindigkeiten auf Autobahnen zwischen linker und mittlerer Spur", erklärte Brockmann. Damit werde die Gefahr verhindert, dass "Sie mit 130 oder 140 Stundenkilometern auf die linke Spur fahren und von hinten kommt jemand mit 180 plus X angerauscht". Laut Grünen verunglücken "eine hohe Anzahl der auf Autobahnen Getöteten und Schwerverletzten" bei diesen sogenannten Geschwindigkeitsunfällen.

Auch eine Praxisstudie zeigt, wie drastisch sich die Unfallzahlen nach der Einführung eines Tempolimits reduzierten: Auf einem 62 Kilometer langen Abschnitt der Autobahn A24 haben sich die jährlichen Unfallzahlen annähernd halbiert.

Tempolimit-Gegner: Etwa ein Drittel aller Kraftfahrzeugkilometer werden auf Autobahnen gefahren, sagt der ADAC (der sich in der Debatte selbst neutral positioniert). Im Vergleich dazu ist die Anzahl der Unfälle mit Personenschaden (6,7 Prozent) sowie mit Verkehrstoten (12,9 Prozent – in anderen EU-Staaten sind es allerdings nur 8 Prozent) geringer. So verunglückten 2018 3.275 Menschen auf Deutschlands Straßen tödlich – davon allerdings nur 424 auf Autobahnen. Unfallversicherer schätzten die Autobahntoten aufgrund Raserei auf etwa 80.

"Das Problem, das wir haben, sind die Landstraßen", betonte der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Oliver Luksic, schon im Oktober. Ein Tempolimit auf Autobahnen gehe daher "am Thema vorbei".

Eine Erhebung von "Zeit Online" vom Frühjahr 2019 hat zudem gezeigt, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit aller Pkw selbst auf den freien Strecken ohne Tempolimit bei 122 Stundenkilometern liegt – wohl auch wegen Staus und Baustellen.

UDV-Leiter Brockmann warnte aber vor einem zu geringen Tempolimit. So gebe es bei einer gleichbleibenden Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen "nur noch wenig Überholmanöver, man muss wenig bis gar nicht mehr in den Rückspiegel gucken, man hat einfach nichts zu tun". Das würde die Verkehrssicherheit verschlechtern.

Das Freiheits-Argument

Tempolimit-Befürworter: Die Daten von "Zeit Online" legen nahe, dass den meisten Autofahrern 120 Kilometer in der Stunde als Reisegeschwindigkeit genügt. Es sind also nur wenige, die notorischen Raser, die im Alltag tatsächlich schneller fahren. Auch der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach sieht in einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf Tempo 130 "nur Vorteile". Er erklärt auf Twitter: "Freiheit zu rasen und andere zu gefährden ist verzichtbar."

Tempolimit-Gegner: Freie Fahrt für freie Bürger: "Das Prinzip der Freiheit hat sich bewährt", sagt hingegen Verkehrsminister Scheuer. "Wer 120 fahren will, kann 120 fahren. Wer schneller fahren möchte, darf das auch. Was soll der Ansatz der ständigen Gängelung?"

Ihm zufolge würden Fahrverbote den Alltag "einschränken" und die Bürger "zornig" machen.

Das Kosten-Argument

Tempolimit-Befürworter: Bei geringeren und gleichmäßigeren Geschwindigkeiten ist der Spritverbrauch geringer, die Reichweite höher. SPD-Politiker Lauterbauch hofft zudem, dass durch ein Tempolimit kleinere Autos, mit grundsätzlich geringerem Verbrauch, beliebter werden. Zudem sei laut seinem Parteikollegen Miersch ein Tempolimit sozial gerecht, weil es für einen Sportwagenfahrer ebenso gelte wie für den eines Kleinwagens.

Eine US-Studie hatte 2012 gezeigt, dass Fahrer teurer und leistungsstarker Autos eher zu Verkehrsverstößen neigen als die Fahrer preiswerter Modelle.

Tempolimit-Gegner: Schon seit Jahren steigt die durchschnittliche Motorleistung bei neu zugelassenen Pkw. Dass diese Entwicklung durch ein Tempolimit gestoppt wird, bestreitet der ADAC mit Blick auf Deutschlands Nachbarländer mit Tempolimit: "In der Schweiz ist der Anteil an leistungsstarken Fahrzeugen höher, in Österreich geringfügig niedriger als in Deutschland."

Dazu komme aus Sicht der deutschen Autoindustrie der bestehende Wettbewerbsvorteil. Die auf Exporte ausgerichtete Branche verkauft ihre PS-starken Fahrzeuge auch mit dem Marketinglabel "autobahn-proofed" – sprich auf Autobahnen getestet.

Das Stau-Argument

Tempolimit-Befürworter: Ein gleichmäßiges Tempo auf Autobahnen verbessere den Grünen zufolge den Verkehrsfluss und erhöht die Kapazität der vorhandenen Straßenflächen wodurch die Staugefahr verringert werde. SPD-Politiker Lauterbach fügt auf Twitter hinzu, dass es weniger Stau durch gefährliches Bremsen gebe.

Tempolimit-Gegner: Staus entstehen weniger durch Geschwindigkeit, sondern "eher durch plötzliches, unerwartetes und unkooperatives Verhalten eines Autofahrers", erklärt der Verband der Automobilindustrie (VDA) in seinem Positionspapier gegen ein generelles Tempolimit.

Der ADAC befürwortet "eine flexible, situationsgerechte Geschwindigkeitsregelung in Abhängigkeit vom jeweiligen Verkehrsaufkommen und den Witterungsbedingungen". Diese sei demnach besser als ein pauschales Tempolimit dazu geeignet, den Verkehrsfluss zu verbessern.

Verkehrsminister Scheuer will den Verkehr künftig vor allem durch digitale Systeme leiten. Damit könne man den Verkehr an neuralgischen Stellen punktgenau steuern. (mf)

Verwendete Quellen:

  • dpa
  • ADAC: "Tempolimit auf Autobahnen"
  • Antrag der Grünen-Bundestagsfraktion: "Allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen"
  • "Zeit Online": "Wo Deutschland rast"
  • "The New York Times": "The Rich Drive Differently, a Study Suggests"
  • "GEO": „"eniger Verletzte, weniger Kosten: Studie zeigt, wie drastisch ein Tempolimit die Unfallzahlen senkt"
  • VDA: "Fakten gegen ein generelles Tempolimit"
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