Kamala Harris will die demokratische Bewerberin für die US-Präsidentschaft werden. Für Europa und Deutschland dürfte sie eine einfachere Partnerin sein als Donald Trump. Aber reine Nächstenliebe ist von ihr auch nicht zu erwarten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch und Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

In München ist Kamala Harris schon fast eine alte Bekannte. Seit sie US-Vizepräsidentin ist, hat sie jede Münchner Sicherheitskonferenz besucht: 2022, 2023 und 2024. Als Außenpolitikerin ist die Demokratin nur wenig in Erscheinung getreten. Umso interessanter ist, was sie beim wichtigsten Gipfeltreffen der internationalen Sicherheit zu sagen hatte – zu den USA und ihrer Rolle in der Welt.

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Schließlich blickt die Welt seit Sonntag auf die 59-Jährige. Joe Biden hat entschieden, dreieinhalb Monate vor der Wahl aus dem Rennen um die US-Präsidentschaft auszusteigen. Harris möchte an seiner Stelle übernehmen – und gegen den Republikaner und Ex-Präsidenten Donald Trump antreten.

Damit hätte sie die Chance, als erste Frau im Weißen Haus die wohl mächtigste Person der Welt zu werden. Was würde eine Präsidentschaft von Harris für Europa und Deutschland bedeuten?

Harris‘ klares Bekenntnis zur Nato: "Das bedeutendste Militärbündnis, das es je gab"

In diesem Jahr war die Stimmung bei der Münchner Sicherheitskonferenz gedämpft. Der politische Westen wirkte verunsichert angesichts des unablässigen russischen Kriegs gegen die Ukraine, angesichts autoritärer Tendenzen in der ganzen Welt, angesichts eines möglichen Wahlsiegs von Donald Trump.

Kamala Harris trat in ihrer Rede im vergangenen Februar wie ein Anti-Trump auf. Es gebe in den USA einige Menschen, die sich von der Welt abschotten, Absprachen missachten, Diktatoren unterstützen wollen, sagte sie. Das sei "gefährlich, destabilisierend und kurzsichtig". Wer nur nach innen blicke, könne Bedrohungen von außen nicht abwehren. "Isolation ist kein Schutz."

Harris bekannte sich daher zum globalen Führungsanspruch der USA, zur militärischen Unterstützung der Ukraine – und zum amerikanisch-europäischen Militärbündnis Nato, das von Donald Trump und seinen Anhängern schon totgesagt wurde. Das Bekenntnis zur Nato sei "heilig", sagte Harris. "Die Nato ist das bedeutendste Militärbündnis, das es je gab."

Politikwissenschaftler: Gute Nachricht für Europa

Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Thomas Greven wären eine mögliche Kandidatur und Präsidentinnenschaft von Kamala Harris gute Nachrichten für Europa. Greven lehrt am "John F. Kennedy Institute for North American Studies" an der Freien Universität Berlin. Europa sei nach wie vor auf eine transatlantisch aktive USA angewiesen, sagt er auf Anfrage unserer Redaktion.

Harris als Schwarze Frau mit jamaikanischen und indischen Wurzeln steht sowohl als Person als auch mit ihren Themen für das Gegenteil von Donald Trump. Sie macht sich etwa für das Recht auf Abtreibung und Klimaschutz stark und will das Waffenrecht verschärfen.

Nils Schmid (SPD): "Harris ist eine starke Persönlichkeit"

"Kamala Harris hat in den letzten Jahren gezeigt, dass sie eine starke Verbündete im Kampf für Frauenrechte ist und gleichzeitig für die Erhöhung von Rechtsstaatlichkeit und innerer Sicherheit, einsteht. Das sind Themenbereiche, die im aktuellen Wahlkampf, entscheidend sein werden", sagt Deborah Düring, außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion unserer Redaktion. "Als aktuelle Vizepräsidentin ist Harris eine Vertreterin des Multilateralismus und der Förderung transatlantischer Beziehungen, um die großen globalen Herausforderungen wie die Klimakrise und Sicherheitsfragen anzugehen."

Auch Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hat ein positives Bild der aktuellen Vizepräsidentin: "Auch wenn Harris, die eine starke Persönlichkeit ist, nicht all die ihr übertragenen Aufgaben erfolgreich lösen konnte, hat sie beispielsweise im Hinblick auf die Stärkung der Rechte von Frauen klar gepunktet", sagt Schmid unserer Redaktion.

Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) und Kamala Harris bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2024. © dpa/Sven Hoppe

Strategische Interessen an erster Stelle

Auf gewisse Weise ist die Vizepräsidentin für Berlin noch ein wenig beschriebenes Blatt. Bundeskanzler Olaf Scholz habe sie bei den Münchner Sicherheitskonferenzen sowie bei der Friedenskonferenz auf dem Schweizer Bürgenstock getroffen, sagt Regierungssprecherin Christian Hoffmann am Montagmittag. Er habe sie als "erfahrene und kompetente Politikerin kennengelernt". Mehr Informationen gibt die Regierung nicht preis.

Eine US-Präsidentin Harris wäre wahrscheinlich eine einfachere Partnerin für Europa als Trump. Was aber nicht heißen muss, dass sie keine Bedingungen stellt. Amerikanische Interessen dürften auch für sie im Mittelpunkt stehen.

"Sie müssen verstehen, dass unser Ansatz nicht auf der Tugend der Nächstenliebe beruht. Wir gehen so vor, weil es in unserem strategischen Interesse ist", sagte sie in diesem Jahr in München. Harris würde Bidens Wirtschaftspolitik, die die europäische Konkurrenz unter großen Druck gesetzt hat, fortsetzen. Zudem pochen auch die US-Demokraten auf höhere Militärausgaben der europäischen Nato-Staaten.

"Außenpolitisch müssen Europa und Deutschland sich so oder so auf andere Zeiten einstellen."

Roderich Kiesewetter

"Das bedeutet konkret für uns, dass wir außen- und sicherheitspolitisch zumindest in Europa und unseren Nachbarregionen die Vereinigten Staaten massiv entlasten müssen", sagt Roderich Kieswetter, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Er stellt gegenüber unserer Redaktion auch klar: "Außenpolitisch müssen Europa und Deutschland sich so oder so auf andere Zeiten einstellen." Die stärkere Ausrichtung der USA auf den asiatischen Raum würde unter jedem Präsidenten fortgesetzt werden.

SPD-Politiker Schmid sieht das ähnlich: Sollte Harris Kandidatin werden und die Wahl gewinnen, sieht er gute Chancen für transatlantische Beziehungen, die weiter auf "Partnerschaft, Respekt und Vertrauen" beruhen. Allerdings werde auch sie auf eine stärkere Lastenverteilung setzen, "sodass wir Europäer noch mehr für unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit tun müssen".

CDU-Politiker Kiesewetter sagt, er habe Harris als "eine charismatische, humorvolle und scharfsinnige Frau" erlebt. "Zudem hat sie sich in ihrer Zeit als Generalstaatsanwältin von Kalifornien einen Namen als harte, aber faire Juristin gemacht."

Von einer möglichen US-Präsidentin würde er sich ein selbstbewusstes Auftreten auch auf internationaler Ebene wünschen. Die USA hätten etwa im Nahen Osten zuletzt durch zurückhaltende Positionen an Stärke verloren. "Nur mit Stärke und Entschlossenheit werden wir aber die Stärke des Rechts durchsetzen und das Recht des Stärkeren verhindern können."

"Sie kann große Teile der Basis mobilisieren"

Allerdings stellt sich die Frage: Wie einflussreich wäre eine Präsidentin Harris überhaupt? Schon Joe Biden hatte es schwer, die militärische Unterstützung der Ukraine innenpolitisch durchzusetzen. Und nach einem Wahlsieg von Harris wären die USA womöglich polarisierter als je zuvor.

So weit ist es aber ohnehin noch nicht. Noch ist das alles hypothetisch, noch kann Donald Trump als Sieger aus der Wahl hervorgehen.

Laut Politikwissenschaftler Greven haben sich die meisten US-Amerikaner ihr Urteil über Trump längst gebildet: "Man liebt oder hasst ihn." Biden hingegen habe die meisten Menschen gleichgültig gelassen – oder sie hätten wegen seines Alters an seiner Eignung gezweifelt. Harris könnte das nun aufbrechen.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Würden sich die Reihen schnell hinter ihr schließen, könnte es aus Sicht des USA-Experten schwieriger für Trump werden. Vor allem dann, wenn Harris einen jüngeren weißen Mann aus dem Süden oder Mittleren Westen mit Regierungserfahrung zu ihrem Vize ernennt. "Sie kann große Teile der Basis mobilisieren."

Verwendete Quellen

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