Der Verfassungsschutz ist alarmiert: Rechte und linke Extremisten, Cyber-Attacken und Islamisten bereiten den Behörden Sorgen. Auch andere Staaten nehmen die Bundesrepublik ins Visier. Allen voran: Russland.

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Wo der Gegner steht, ist klar. Zumindest wenn es darum geht, welche Länder versuchen, auch auf deutschem Boden zu agieren. Ihr Ziel: Demokratie, freie Meinungsbildung und wirtschaftliche Stabilität schwächen. Es sind — mit unterschiedlichen Schwerpunkten — Russland, China, Iran und die Türkei.

Das geht aus dem neuen Verfassungsschutzbericht hervor, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Vor allem der Überfall Russlands auf die Ukraine habe die Sicherheitslage in Deutschland verändert. Mit Spionage und der Verbreitung von Desinformationen versuche Moskau, Einfluss zu nehmen. Oder mit anderen Worten: Propaganda zu betreiben.

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Innenministerin Faeser: "Zeitenwende für die innere Sicherheit"

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) fasste das Lagebild vor der Hauptstadt-Presse so zusammen: "Russlands Krieg gegen die Ukraine bedeutet auch für die innere Sicherheit eine Zeitenwende." Eben jener Kurswechsel zeigt sich etwa darin, dass die Bundesrepublik im vergangenen Jahr 40 russische Diplomaten ausgewiesen hat, die als mutmaßliche Spione aktiv waren.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang geht nicht davon aus, dass Russland von Deutschland ablasse. Im Gegenteil. Er rechne mit "klandestineren und aggressiveren" Spionagetätigkeiten Moskaus, sagte Haldenwang. So sei denkbar, dass Russland seine Aktivitäten in den digitalen Raum verlege und sich zunehmend auf Cyber-Attacken konzentriere. Mit Sorge beobachten die Behörden, wie Russland nach wie vor versucht, eigene Narrative — etwa zum Krieg in der Ukraine — in sozialen Netzwerken zu streuen. Die Kreml-Propaganda findet, in unterschiedlicher Ausrichtung, auch bei rechten und linken Extremisten in Deutschland Anklang.

Rechtsextremismus bleibt größte Gefahr

Auch wenn die Bedrohung von außen zugenommen hat: Die größte Gefahr für die innere Sicherheit liegt immer noch in Deutschland selbst. Und sie geht von rechts aus. Das unterstrichen Innenministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. Der Rechtsextremismus sei "unverändert die größte Gefahr für die demokratische Grundordnung", sagte die SPD-Politikerin.

In Zahlen ausgedrückt: Die Summe der Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund ist im vergangenen Jahr auf rund 21.000 gestiegen. Das ist ein Plus von 3,8 Prozent. Auch das Potenzial gewaltbereiter Personen in der Szene ist um 500 auf 14.000 angestiegen. "Wir dürfen die mörderische Gefahr durch Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus niemals unterschätzen", sagte Faeser.

So hätten Angriffe auf Geflüchtete stark zugenommen. Faeser warnte vor "geistigen Brandstifern", die den Boden für Gewalt bereiteten. Dazu gehören auch Gruppen wie die Identitäre Bewegung, das Institut für Staatspolitik und das rechtsextreme Compact-Magazin. Und auch der Kurs der AfD gehe stramm nach rechts. Deren Jugendorganisation, die Junge Alternative (JA), wird bereits als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.

Zahl der Reichsbürger steigt an: Opposition kritisiert "politisches Dunkelfeld"

Der Blick der Behörden richtet sich zudem weiter auf sogenannte Reichsbürger. Ideologischer Kern dieser Szene ist es, die Bundesrepublik nicht als legitimen Staat anzuerkennen. Im letzten Jahr waren Umsturzpläne einer Reichsbürger-Gruppe bekannt geworden. "Das zeigt, dass es sich nicht um harmlose Querulanten und Querköpfe handelt", sagte Faeser.

Der Verfassungsschutz geht von rund 23.000 Reichsbürgern in Deutschland aus. Das sind 2.000 mehr als noch im Jahr davor. Rund fünf Prozent zählt der Inlandsgeheimdienst zur extremen Rechten.

Eine Einschätzung, die bei der Opposition für Kritik sorgt. "Hier wird absichtlich ein politisches Dunkelfeld geschaffen", sagt Linken-Innenexpertin Martina Renner unserer Redaktion. Obwohl die Behörden Reichsbürger nicht dem Rechtsextremismus zuordneten, sei diese Szene gewachsen. Das heißt also: "Die tatsächliche Gefahr ist noch größer", sagte Renner.

Minus bei linksextremen Straftaten – doch die Szene bleibt gewaltbereit

Bedrohlich ist auch die linksextreme Szene. Auch wenn die Zahl der Straftaten um 37,4 Prozent zurückgegangen ist, herrsche noch immer ein hohes Gewaltpotential vor. Jüngstes Beispiel: Der Prozess gegen die Studentin Lina E. Nach dem Urteilsspruch kam es in mehreren deutschen Städten zu teils heftigen Ausschreitungen.

Außerdem sei die Hemmschwelle gesunken, politische Gegner anzugreifen. "Der demokratische Staat duldet keine Selbstjustiz", sagte Innenministerin Faeser, die zudem davon sprach, dass Polizeibeamte in der Szene als Feindbild dienten, entmenschlicht und "aufs Übelste verunglimpft" würden. "Dem stelle ich mich als Bundesinnenministerin entgegen", sagte die SPD-Politikerin.

Faeser: "Wir setzen harte Gangart gegen Islamisten weiter durch"

Erfolge erzielten die Behörden beim Thema Islamismus. Drei Anschläge konnten im letzten Jahr verhindert werden. Aber: Deutschland bleibe unmittelbares Anschlagsziel von Organisationen und Einzeltätern. "Wir setzen unsere harte Gangart gegen Islamisten weiter durch", kündigte Innenministerin Faeser an.

Nur: Mitunter ist es für die Behörden gar nicht mehr so einfach, zu erkennen, aus welcher Szene ein potentieller Gefährder komme. Verfassungsschutzpräsident Haldenwang sagte, dass die Grenzen zwischen den Lagern "punktuell verschwimmen". Ein festes ideologisches Gerüst liege nicht immer vor, es seien vielmehr Versatzstücke, aus denen sich die tendenziell immer jüngeren Menschen bedienten. "Das macht die Verortung schwieriger", erläuterte der Verfassungsschützer.

Eines aber bleibe: Extremisten instrumentalisieren Krisen. Egal, ob links, rechts oder islamistisch.

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