Wenn es um grüne Verkehrspolitik in Innenstädten geht, ist Paris ganz vorne mit dabei. Schon seit mehreren Jahren werden dort Maßnahmen umgesetzt, die hierzulande ihresgleichen suchen. Aber inwieweit kann eine solche Entwicklung ein Vorbild für deutsche Städte sein? Ein Verkehrsexperte gibt einen Ausblick.
Die Uferstraße an der Seine wurde für Autos gesperrt. Schlagzeilen machte hierzulande auch die Erhöhung der Parkgebühren für SUVs in Paris. 6 Stunden Parken sollen nun 225 Euro und nicht mehr wie bisher 75 Euro kosten - Anwohner und andere Gruppen ausgenommen. Dies berichtete die "FAZ". Und nach den olympischen Spielen geht es weiter: Geschaffen werden soll ein verkehrsberuhigter Bereich für Teile der Pariser Innenstadt.
Ist dies alles als Vorbild geeignet für deutsche Städte? "Man kann vom Mut der Pariser lernen", sagt der Berliner Verkehrsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Stadt sei immer voller Autos gewesen und dort nun dem Rad einen so großen Stellenwert zu geben, sei sehr mutig gewesen, sagt Knie. Über lange Jahre waren häufig Amsterdam und andere niederländische Städte bekannt dafür, etwa Radwege gegenüber Straßen für Autos auszubauen. Auch in Belgien oder in London gab es zuletzt einige Initiativen. Dies sei aber kein Vergleich, zu dem, was in den letzten Jahren in Paris geschehen sei, sagt der Mobilitätsexperte aus Berlin.
Nüchtern fällt hingegen sein Blick auf Deutschland aus. "Wir in Deutschland haben Angst vor der eigenen Courage", sagt Knie. Vielerorts sei die Frage vorherrschend: "Kann man dem Auto Platz wegnehmen, ohne dass das Abendland untergeht?" Hinzu komme in Deutschland auch noch eine bestimmte rechtliche Ausgangssituation. Denn die deutsche Straßenverkehrsordnung kenne noch immer das Auto als den zentralen Akteur.
Dabei gäbe es auch hierzulande durchaus gute Erfahrungen mit einzelnen solcher Verkehrsreformen. "Verkehr ist ja sehr in Routinen eingebettet. Sobald etwas weggenommen wird, sind die Menschen irritiert", sagt der Berliner Forscher. Aber eigentlich habe es kaum eine Maßnahme gegeben, die wieder zurückgenommen werden musste, weil die Leute es nicht akzeptiert haben. Bei der Umsetzung sei vor allem ein Punkt zentral, erläutert der Experte: Man müsse in den kommunalen Parlamenten Mehrheiten haben und die Menschen vor Ort müssten mitreden können.
Maßnahmen deutscher Städte bisher weniger weitreichend als in Paris
In deutschen Städte gab es in letzter Zeit immer wieder Aufsehen, wenn es um das Thema Verkehrskonzepte ging. Zuletzt etwa in Hannover. So will der dortige Oberbürgermeister Belit Önay bis 2030 eine weitgehend autofreie Innenstadt erreichen. Sein Ende vergangenen Jahres vorgestelltes Konzept sah vor, in den kommenden Jahren die meisten ebenerdigen innerstädtischen Parkplätze aufzulösen. Viele Straßen in der Innenstadt sollen dem Konzept zufolge für den normalen Autoverkehr gesperrt werden. Die Straßen, die dann noch für Autos zugänglich seien, könnten dann nur noch mit 20 oder 30 km/h befahren werden, berichtete der NDR.
In eine ähnliche Richtung will auch die Stadt Hamburg. Das Ziel des Senats ist es, dass bis 2030 80 Prozent der Wege durch die Stadt ohne Auto zurückgelegt werden. Zudem sollen nach Informationen des NDR neue Rad- und Fußwege gebaut werden.
In den Städten ringen unterschiedliche Interessen miteinander
Doch innerhalb der Städte gehen solche Reformdiskussionen nicht ohne Konflikte vonstatten. In Hannover etwa zerbrach über das neue Verkehrskonzept gar die Regierungskoalition aus SPD und Grünen. Den Sozialdemokraten waren die Reformideen ihres Koalitionspartners "zu radikal". Wie die "HAZ" berichtete, einigte sich die SPD zwischenzeitlich mit anderen Parteien auf den Erhalt einiger der Innenstadtparkflächen, die nach Plänen des Oberbürgermeisters eigentlich verschwinden sollten.
Ein anderes Beispiel für eine Richtungsänderung in der Verkehrspolitik bietet Berlin. Dort hatte der ehemalige rot-grün-rote Senat in den vergangenen Jahren mit dem dortigen Mobilitätsgesetz eine Entwicklung hin zu weniger Autos in den Innenstädten und einer Stärkung von Fußgängern und Radfahrern forciert. Der neue schwarz-rote Senat setzt jedoch etwas andere Schwerpunkte. Seither werden in Berlin etwa Radwege überklebt oder Tempo-30-Zonen abgeschafft, wie die "SZ" berichtete.
Dass es nicht nur den Gegnern einer grünen Verkehrspolitik zu schnell, sondern auch deren Befürwortern zu langsam geht, zeigte das Beispiel München. Eigentlich galt auf dem Mittleren Ring der Stadt ein Diesel-Fahrverbot nur bis zur Dieselnorm 4. Doch die Deutsche Umwelthilfe klagte nun erfolgreich darauf, dass auch Fahrzeuge der Dieselnorm 5 von dem Verbot betroffen sein müssen, wie der ADAC meldete.
Die Interessenlagen der einzelnen Verkehrsteilnehmer laufen dabei gelegentlich gegenläufig zueinander und die Unzufriedenheit steigt auf allen Seiten. Dies hob zuletzt der ADAC-Monitor "Mobil in der Stadt" von Beginn des Jahres hervor. Im Schnitt sank in nahezu allen deutschen Städten, die in dieser Untersuchung abgebildet wurden, die Zufriedenheit der einzelnen Verkehrsgruppen. Autofahrer stören sich am ehesten an aus ihrer Sicht zu hohen Parkgebühren. Radfahrer fordern mehr Verkehrssicherheit für sich ein. Dies macht deutlich, wie komplex die Gemengelage hinsichtlich einer zukünftigen Verkehrspolitik in den Städten ist.
Experte fordert Abkehr von der "Ideologie des Autos"
Nach Ansicht des Mobilitätsforschers Andreas Knie reichen die bisherigen Anstrengungen deutscher Städte noch längst nicht aus. Zudem liefen in all diesen Auseinandersetzungen die Debatten oft schief. Besonders dann, wenn mit dem Begriff des Verbotes hantiert würde. Etwa, wenn man eine Autofahrspur zu einer Fahrradspur oder einem Fußweg mache, oder wenn von Tempo 50 auf 30 oder 10 heruntergegangen werde. "Das sind ja keine Verbote, sondern eher neue Regelungen", sagt Knie.
Dass die Umsetzung solcher Konzepte nicht ohne Probleme gelinge, liege vor allem an einer regelrechten "Ideologie des Autos", sagt Knie. Und damit verbunden dem Wert, den das Auto für viele Menschen als Statussymbol und als volkswirtschaftliche Kenngröße lange hatte und noch immer habe. Hieraus folgten dann auch rechtlich abgesicherte Privilegien wie das Dieselprivileg oder verschiedene Subventionierungen.
Ziel einer künftigen Verkehrspolitik müsse es laut Knie sein, "die Bevorzugung des Autos wegzunehmen". Und dieser Umstand sei in der breit geführten Debatte jedoch noch gar nicht richtig angekommen, bemängelt der Experte. Immerhin gäbe es in den Städten selbst immer mehr Menschen, die der Ansicht seien, dass es so, wie es jetzt ist, auch nicht mehr weiter gehe: "Das stimmt mich ganz zuversichtlich."
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung (DiMo)" am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).
Verwendete Quellen
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