CDU, CSU und SPD hatten in ihren Wahlprogrammen Antworten auf wichtige gesellschaftliche Fragen versprochen. Wie viel davon findet sich nach den Sondierungen im Programm für eine neue "GroKo" wieder?
Ein Zeichen des Aufbruchs oder ein Programm ohne Ehrgeiz? Die Meinungen über die Sondierungsergebnisse zwischen CDU, CSU und SPD gehen weit auseinander. Die SPD musste die Bürgerversicherung aufgeben, die CDU auf Steuersenkungen verzichten.
Wie sieht es bei anderen wichtigen Versprechen aus, die die Parteien in ihren Wahlprogrammen gemacht hatten? Ein Überblick:
Digitalisierung
Das wurde vereinbart: Bis 2025 soll der flächendeckende Ausbau schneller Gigabit-Netze abgeschlossen sein. Dafür rechnen die Parteien mit Kosten von zehn bis zwölf Milliarden Euro.
Der andere konkrete Punkt ist ein "zentrales, einheitliches digitales Portal", für die Kommunikation von Bürgern und Unternehmen mit der Verwaltung.
Analyse: Die Wahlprogramme waren beim Thema Digitalisierung ausführlicher und ambitionierter. Im Unionsprogramm hieß es zum Beispiel, Deutschland solle "Leitmarkt" für den neuen 5G-Mobilfunk werden, den Nachfolger des aktuellen LTE.
Die SPD versprach, an der Netzneutralität festzuhalten. Alle öffentlichen Einrichtungen sollten offene und kostenlose W-LAN-Hotspots anbieten. Auch zur Digitalisierung der Arbeitswelt findet sich im Sondierungspapier wenig. Es heißt dort nur, diese solle als "Chance für mehr und bessere Arbeit" dienen.
Pflege
Das wurde vereinbart: In der medizinischen Behandlungspflege wollen die möglichen GroKo-Partner 8.000 neue Fachkraftstellen schaffen.
Für mehr Pflegepersonal in Altenheimen und Krankenhäusern sollen eine Ausbildungsoffensive sowie Programme zum Wiedereinstieg und zur Weiterbildung beitragen.
Die Parteien wollen sich zudem dafür einsetzen, dass Tarifverträge in der Altenpflege "flächendeckend zur Anwendung kommen".
Analyse: Zum Teil sind die Sondierungsergebnisse konkreter als die Wahlprogramme - etwa was die 8.000 neuen Fachkraftstellen angeht. SPD und Union hatten im Wahlkampf ein "Sofortprogramm für mehr Personal" beziehungsweise eine "Konzentrierte Aktion Pflege" versprochen.
Das können sie jetzt umsetzen, unter welchem Namen auch immer. Noch unklar ist, wie konkrete Maßnahmen aussehen könnten - etwa um die Zahl der Tarifverträge zu erhöhen.
Krankenversicherung
Das wurde vereinbart: Die Beiträge zur Krankenversicherung sollen in Zukunft wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden.
Den Zusatzbeitrag hatten seit 2005 nur die Beschäftigten getragen.
Analyse: Diese Parität in der Krankenversicherung war möglicherweise ein Zugeständnis an die SPD. Ihr ganz großes Reformprojekt konnten die Sozialdemokraten allerdings nicht durchsetzen.
Von der Bürgerversicherung, die das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung beenden soll, ist im Sondierungspapier kein Wort.
Dass die SPD sie hätte durchsetzen können, galt als eher unwahrscheinlich. Allerdings hatten führende Sozialdemokraten wie Vizekanzler Sigmar Gabriel vor den Verhandlungen auf die Bürgerversicherung gepocht.
Wohnen
Das wurde vereinbart: Union und SPD wollen erreichen, dass in Deutschland 1,5 Million neue Wohnungen entstehen. Die Mietpreisbremse wollen die Parteien auf ihre Wirksamkeit überprüfen. Die Modernisierungsumlage soll sinken, damit sie nicht zu unverhältnismäßigen Mietsteigerungen führt.
Analyse: Bei diesem Thema bleiben die Parteien eher vage. Die SPD hatte in ihrem Programm zum Beispiel gefordert, dass Bewohner einen Teil der Miete vom Vermieter zurückerstattet bekommen, wenn sich herausstellt, dass ihre Zahlungen zu hoch waren.
Die Mietpreisbremse gilt inzwischen als Instrument mit begrenzter Wirkung, der Mieterbund hatte deshalb verlangt, sie "nachzuschärfen". "Antworten auf die Mietpreisentwicklung der letzten Jahre, explodierende Wiedervermietungsmieten und jetzt auch Bestandsmieten fehlen bisher", teilte Lukas Siebenkotten, der Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes, mit.
Familie und Bildung
Das wurde vereinbart: Das Kindergeld soll um 25 Euro pro Monat und Kind steigen. Eltern von Grundschulkindern erhalten einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz.
Außerdem lässt sich aus dem Sondierungspapier ein Schritt zu beitragsfreien Kitas herauslesen. Das Kooperationsverbot, das den Bund in der Bildungspolitik bisher einschränkt, wollen SPD und Union lockern.
Sie versprechen eine "Investitionsoffensive" für Schulsanierungen und die digitale Ausstattung sowie höheres Bafög.
Analyse: Hier konnte die SPD wichtige Forderungen durchsetzen. Die Union hatte auf dem Gebiet wenig versprochen, denn Politiker von CDU und CSU haben bisher immer besonderen Wert auf die Hoheit der Bundesländer in der Bildungspolitik gelegt.
Allerdings dürfte der Union dieser Schritt leichtgefallen sein: Die beschlossenen Entlastungen im Familien- und Bildungsbereich werden viele Familien positiv zu spüren bekommen.
Arbeitsrecht
Das wurde beschlossen: Für Arbeitnehmer soll es ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit geben. Allerdings ist es abhängig von der Betriebsgröße: Uneingeschränkt gilt dieses Recht nur für Betriebe mit mehr als 200 Mitarbeitern.
Analyse: Mit dem Rückkehrrecht hat die SPD eine Forderung aus ihrem Wahlprogramm umgesetzt - aufgrund der Abhängigkeit von der Betriebsgröße allerdings in abgeschwächter Form.
Gescheitert ist die Partei mit einem weiteren Vorhaben: Die SPD wollte es Arbeitgebern verbieten, Arbeitsverträge ohne Grund zu befristen. Das wird im Papier mit den Sondierungsergebnissen nicht erwähnt.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und SPD-Vize-Chefin Malu Dreyer räumte in der Talkshow "Hart aber fair" ein, dass es sich dabei um einen "Schmerzpunkt" handelt.
Finanzen
Das wurde vereinbart: Die Einkommensteuer wird weder steigen noch sinken, auch nicht für bestimmte Einkommensgruppen.
Den Solidaritätszuschlag wollen Union und SPD schrittweise abschaffen, in einem ersten Schritt soll die Abgabe für 90 Prozent der bisherigen Soli-Zahler wegfallen. Geringverdiener sollen bei den Sozialbeiträgen entlastet werden.
Analyse: Hier haben sich die Parteien gegenseitig einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die SPD wollte den Spitzensteuersatz eigentlich von 42 auf 45 Prozent erhöhen.
Das hat die Union verhindert - im Gegenzug konnte sie aber nicht ihr Wahlversprechen umsetzen, die Einkommensteuer um ein Volumen von 15 Milliarden Euro zu senken.
Sowohl Sozial- als auch Christdemokraten hatten zudem im Wahlkampf angekündigt, den 42-Prozent-Steuersatz erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 60.000 Euro gelten zu lassen (nicht wie bisher ab 54.000 Euro).
Davon ist im Sondierungspapier keine Rede mehr.
Klimaschutz
Das wurde vereinbart: CDU, CSU und SPD schreiben über das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken: "Die Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 wollen wir so schnell wie möglich schließen."
Für die Kohlekraftwerke versprechen die Parteien einen Ausstiegsplan mit einem Abschlussdatum - und einen Fonds, der die betroffenen Regionen beim Strukturwandel unterstützt. Bis 2030 sollen Erneuerbare Energien einen Anteil von 65 Prozent an der Energieerzeugung ausmachen.
Analyse: Mit der Formulierung, man wolle die Handlungslücke "so schnell wie möglich schließen", rücken die Parteien faktisch vom 40-Prozent-Ziel bis 2020 ab. CDU und CSU hatten in ihrem Programm noch geschrieben: "Wir halten an unseren bestehenden Energie- und Klimazielen fest und setzen sie Schritt für Schritt um."
Der Bundesverband Erneuerbare Energien glaubt, dass die Branche 2030 mehr als 65 Prozent der Energie erzeugen könnte.
Einwanderung
Das wurde vereinbart: Deutschland soll ein Gesetz bekommen, das die Zuwanderung von Fachkräften regelt. Abgesehen von dieser sogenannten Erwerbsmigration soll die Zahl der Zuwanderer die Spanne von 180.000 bis 220.000 Menschen pro Jahr nicht übersteigen.
Über den Familiennachzug von Flüchtlingen sollen pro Monat 1.000 Menschen nach Deutschland kommen können.
Analyse: In diesem Punkt hat sich vor allem die CSU durchgesetzt. Der Wert von 180.000 bis 220.000 Menschen klingt stark nach der Obergrenze von 200.000 Menschen, auf die sich CDU und CSU geeinigt hatten.
Der Umfang des Familiennachzugs gilt als eher gering. In Teilen der SPD stoßen diese Zugeständnisse auf scharfe Kritik.
Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, Aziz Bozkurt, teilte mit: "Mit den beiden Obergrenzen, zum einen für die Zuwanderung und zum anderen für den Familiennachzug, wurden im Sondierungspapier rote Linien überschritten."
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